Alles dreht sich nur noch um die Arbeit

Arbeit steht im Zentrum der modernen Gesellschaften. James Suzman beantwortet in seinem neunen Buch „Sie nannten es Arbeit“ unter anderem folgende Fragen: Warum überlassen die meisten Menschen der Arbeit einen so großen Teil ihres Lebens? Warum arbeiten sie immer mehr, obwohl sie so viel produzieren wie noch nie? Warum fühlen sich immer mehr Menschen überlastet und ausgebrannt? Die Bevölkerung der Steinzeit arbeitete weit weniger. Und dennoch waren sie relativ gesund und wurden älter als die meisten Menschen, die ihnen nachfolgte. Denn sie arbeiteten, um zu leben und lebten nicht, um zu arbeiten. Erst die Sesshaftwerdung des Menschen und die zunehmende Arbeitsteilung schufen die Grundlagen für das heutige Verhältnis der Menschheit zur Arbeit. James Suzman ist Sozialanthropologe und Autor des Buches „Wohlstand ohne Überfluss“, in dem er die Gesellschaften der Jäger und Sammler als erste Wohlstandsgesellschaften porträtierte.

Vier Stunden Arbeit pro Tag sind genug

Vor rund 18.000 Jahren entstanden die ersten schicksalhaften Ansätze zu einer landwirtschaftlichen Produktion. Sie wurden zur Basis für das rapide Wachstum des energetischen Fußabdrucks der Menschheit auf der Erde. Gleichzeitig entstand dabei ihre zwanghafte Beziehung zur Arbeit. Circa vor 6.000 Jahren entwickelten sich dann der Ackerbau und die Viehzucht in vielen Teilen der Welt zu einem maßgeblichen Mittel der Existenzsicherung. Für frühe bäuerliche Gemeinschaften waren Dürren, Überschwemmungen und Kälteeinbrüche zur Unzeit mit die bedrohlichsten Umweltrisiken.

Wie John Maynard Keynes 150 Jahre später vertrat auch Benjamin Franklin, einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten, die Überzeugung, menschlicher Erfindungsreichtum könne künftige Generationen aus einem Dasein voller Arbeit und Mühsal befreien: „Wenn jeder Mann und jede Frau jeden Tag vier Stunden an etwas Sinnvollem arbeiten würden, würde diese Arbeit genug hervorbringen, um uns mit allen Notwendigkeiten und Annehmlichkeiten des Lebens zu versorgen.“

Das Gute ist wertvoller als das Nützliche

Bis zu Beginn der industriellen Revolution lebten selbst in den fortgeschrittensten und produktivsten bäuerlichen Zivilisationen rund achtzig Prozent aller Menschen noch auf dem Land und betrieben Landwirtschaft. Doch die zwanzig Prozent, die in der Antike schon in Städten lebten, waren Pioniere einer ganz neuen Arbeitskultur. Es entstanden neue spezialisierte Berufe wie Zimmermann, Steinmetz oder Architekt, Baumeister, Wasserbauer und Abwasserentsorger.

Um den Weg zu einem guten Leben zu finden, sollten die Menschen ihr persönliches materielles Anspruchsdenken im Sinne der Gleichheitsmaxime mäßigen. John Maynard Keynes postulierte in diesem Sinne, dass sie das Gute höher bewerten sollten als das Nützliche. James Suzman geht es in seinem Buch vor allem darum, den krankhaften Klammergriff zu lockern, mit dem die Ökonomie der Knappheit das Arbeitsleben im Schwitzkasten hält. Zudem möchte er die damit verbundene, nicht durchhaltbare Fixierung auf wirtschaftliches Wachstum aufbrechen.

Sie nannten es Arbeit
Eine andere Geschichte der Menschheit
James Suzman
Verlag: C. H. Beck
Gebundene Ausgabe: 398 Seiten, 2. Auflage: 2021
ISBN: 978-3-406-76548-3, 26,95 Euro

Von Hans Klumbies