Fabian Scheidler zeigt in seinem neuen Buch „Der Stoff aus dem wir sind“, wie sich die Vorstellung einer durch und durch berechenbaren, maschinenartigen Welt zusammen mit dem Kapitalismus über die letzten 400 Jahre entwickelt hat. Heute lebt die Menschheit in einer Welt des Geo-Engineering und der digitalen Fantasien, die Nerds im Silicon Valley entwickeln. Die Zukunft könnte jedoch auch auf den Tugenden der Verbundenheit, Selbstorganisation, Empathie und Kreativität beruhen. Die Zivilisation muss endlich damit beginnen, ihren selbstzerstörerischen Kurs zu korrigieren. Denn die Warnrufe von Zehntausenden Wissenschaftlern werden immer drängender. Und Millionen von Menschen gehen weltweit für die Rettung des Planeten auf die Straße. „Der Stoff aus dem wir sind“ erkundet zudem die Ursprünge jener Illusion der Trennung zwischen Mensch und Natur, die tief in der westlichen Zivilisation verankert ist. Der Publizist Fabian Scheidler schreibt seit vielen Jahren über globale Gerechtigkeit.
Der Graben zwischen Natur und Kultur ist tief
Es existiert ein tiefer Graben, der die modernen Staaten auf allen Ebenen durchzieht. Fabian Scheidler beschreibt ihn so: „Es ist die Spaltung von Natur und Kultur, Seele und Körper, Materie und Geist, Innensicht und Außensicht.“ Der Autor will mit seinem Buch zudem zeigen, dass diese Spaltung und Entfremdung sich nicht aus den Erkenntnissen der Wissenschaften selbst speist. Sondern sie nährt sich aus ihrer selektiven und verzerrten Interpretation.
Zwei Faktoren verschleiern die Verbundenheit des Menschen mit seiner Umwelt. Nämlich die technokratische Ideologie und die Herrschaft des Geldes. Vor allem das Geld nährt die Illusion, es gebe so etwas wie isolierte Individuen. Die Maske des Geldes verdunkelt das große Netz menschlicher Beziehungen, ohne das eine gelingende Existenz nicht möglich ist. Die systematische Ausbeutung eines Teils der Menschheit durch einen anderen kann so unsichtbar bleiben.
Das sechste große Artensterben verwüstet die Erde
Die industrielle Zivilisation hat das Leben auf der Erde in das sechste große Artensterben seiner Geschichte gestürzt. Ob Homo sapiens es überleben wird, ist für Fabian Scheidler alles andere als gewiss. Denn es kann schon in den nächsten Jahrzehnten zu einem Zusammenbruch der globalen Nahrungsmittelproduktion kommen. Die Konflikte, die daraus erwachsen können, sind völlig unabsehbar. Deshalb ist ein Tiefenumbau der modernen Gesellschaften unausweichlich.
Die Sphäre der Innenwelten ist nicht von den großen Menschheitsfragen zu trennen. Es ist dringend erforderlich, das Leiden vieler Menschen an der Entfremdung ernst zu nehmen und den verdrängten Innenwelten eine Stimme zu geben. Der größte Feind der Erkenntnis ist die Illusion des Wissens. Deshalb schlägt Fabian Scheidler in die Wand des eingebildeten Wissens eine Bresche. Dabei handelt es sich um eine Öffnung, die es den Menschen erlaubt, die Welt und sich selbst wieder mit jenem staunenden Blick zu betrachten, der Kinder oft eigen ist.
Der Stoff aus dem wir sind
Warum wir Natur und Gesellschaft neu denken müssen
Fabian Scheidler
Verlag: Piper
Gebundene Ausgabe: 300 Seiten, Auflage: 2021
ISBN: 978-3-492-07060-7, 20,00 Euro
Von Hans Klumbies