Kann man zu klug sein? Das ist eine beliebte Frage an Absolventen des Studiums der Philosophie. Zu deren Stoff gehören die drei Ethiken des Aristoteles. Nein, lautet die Antwort. Alle anderen Tugenden dagegen sind eine Frage des rechten Maßes. Denn im Übermaß verkehren sie sich zu Lastern. Mit der Ausnahme der Klugheit. Maimonides rät, wenn man über irgendetwas im Zweifel ist, sollte man sich nicht dazu zwingen anzunehmen, dass etwas Unerwiesenes bewiesen ist. Wer nicht danach trachtet, das zu erkennen, was er nicht zu erkennen vermag, hat seiner Meinung nach bereits die menschliche Vollkommenheit erreicht. Wer sich aber bemüht mehr zu erkennen, als sein Erkenntnisvermögen zulässt, derjenige wird noch mangelhafter werden als alle Mangelhaften. Und es wird ihm widerfahren, dass die Fantasie Gewalt über ihn bekommt.
Ein Mensch vermag nicht alles zu begreifen
Weil die Vernunft gestört und ihr Licht bei einem solchen Menschen ausgelöscht ist, neigt er sich den hässlichen und schlechten Charaktereigenschaften zu. Dies geschieht auch oft bei Kranken, die wenn ihre Sehkraft schwach ist, viele Arten trügerischer Fantasien wahrnehmen. Oder wie es denen geschieht, die unvorsichtiger Weise leuchtende oder feine Dinge betrachten. In diesem Sinne ist gesagt worden: „Wenn du Honig findest, iss davon, bis du genug hast, damit du seiner nicht überdrüssig werdest und ihn ausspeiest.“
Maimonides rät: „Forsche nicht nach dem, was dir zu wunderbar ist, grüble nicht über das dir Verborgene. Was zu wissen dir gestattet ist, das betrachte, und befasse dich nicht mit Geheimnissen. Das heiß, lass deine Vernunft nicht schrankenlos walten, ausgenommen in dem was der Mensch zu begreifen vermag.“ Hingegen ist die Beschäftigung mit dem Dinge, dessen Erkenntnis nicht in der Natur des Menschen liegt, sehr schädlich. Der Mensch soll sich nicht voreilig irreale Gebilde der Einbildungskraft zum Gegenstand seiner Forschung machen.
Maimonides will keine Denkverbote
Wenn in ihm unerwartete Zweifel aufsteigen oder er für den Gegenstand seines Forschens keinen Beweis findet, soll er von dieser Forschung abstehen und sie beenden. Maimonides will damit sagen, dass die menschliche Vernunft eine Grenze hat, über die sie nicht hinausgehen kann. Zu beachten bleibt: Die beste Nahrung zumal für die Seele, ist bei Maimonides wie bei Aristoteles die Wissenschaft. Denkverbote liegen dem Denker fern, der einer sein will.
Niemand ist eingeladen, sich unterhalb des Erreichbaren zur Ruhe zu setzen und blöd vor Weisheit in die Sonne zu lächeln. Maimonides lebte von 1135/38 bis 1204. Nach einigen Jahren in Fes weilte er besuchsweise in Jerusalem und dem Heiligen Land, bevor er sich 1168 in Fustat, Kairo niederlässt. Er hat bleibenden Einfluss auf die abendländische Philosophie vom heiligen Thomas von Aquin bis zu Immanuel Kant hinterlassen. Mit seinem „Führer der Unschlüssigen“ hat er einen der großen Klassiker des jüdischen Denkens geschrieben. Quelle: „Handbuch der Menschenkenntnis“ von Georg Brunold (Hg.)
Von Hans Klumbies