Tätige Freiheit ist keine Faulheit

Wer auf die antike Tradition zurückblickt, kann unter anderem folgendes erkennen: Die klassische „Oase“, das, was als das höchst Anstrebenswerte galt, war, von jeglicher Arbeit frei zu sein, um „Muße“ zu haben. Diese benötigte man für die wirklich wichtigen Dinge wie Philosophie, Politik und Kunst. Dazu braucht man zuerst einmal Freiheit vom Werk, von der Arbeit und vom Dauerstress. Sophie Loidolt ergänzt: „Erst dadurch öffnen sich die anderen Tätigkeitsräume des Betrachtens und des Erscheinens vor und mit anderen.“ Diese hervorgebrachte tätige Freiheit „zu“ ist daher keine Faulheit. Sie ist nur eine andere Form des Tätigseins als Arbeiten. Wer heutzutage Muße hat, wird leicht als dumpfer, aber keineswegs aufsässiger Typ angesehen. Prof. Dr. Sophie Loidolt ist Gastprofessorin am Philosophieinstitut der Universität Kassel und Mitglied der „Jungen Akademie“ der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Weiterlesen

Die Wirklichkeit verändert sich ständig

Georg Wilhelm Friedrich Hegel denkt, dass in der Geschichte mehr vor sich geht als „das eine Ereignis, das auf das andere folgt“. Die Wirklichkeit, in welcher der Mensch lebt, ist selbst in einer permanenten Transformation begriffen. Die Veränderungen betreffen auch grundlegende Kategorien wie Wahrheit, Recht und politische Ordnung. Ger Groot ergänzt: „Nicht nur die Tatsachen verändern sich, sondern auch der Maßstab, nach dem sie beurteilt und verstanden werden. Daher verändert sich auch ihre Bedeutung.“ Was in einem Moment der Geschichte wahr ist, muss es in einem anderen Moment nicht sein. Was heute als gerecht gilt, muss fünfhundert Jahre früher nicht per se als gerecht gegolten haben. Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam und ist Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

Weiterlesen

Europa hat ein gewaltiges Potenzial

Jürgen Wertheimer beschreibt in seinem Buch „Europa“ den gleichnamigen Erdteil als ein labiles und zugleich seit mehr als 2000 Jahren bestehendes Gebilde. Europa ist stets im Zerfall und Aufbau zugleich begriffen. Es hat immer dann am besten funktioniert, wenn eine gewisse artistische Balance zwischen Ansprüchen der Autonomie und Bedürfnissen der Bindung herrschte. Bei der inneren Widersprüchlichkeit Europas ist das alles andere als eine Selbstverständlichkeit. In seinem Buch unternimmt Jürgen Wertheimer den Versuch, sich diesem verwirrenden Kontinent zu nähern und ihn in all seinen Gegensätzen zu erkunden. Im Vergleich zu anderen Kulturen ist Europa viel filigraner und zerbrechlicher. Das ist aber nicht nur seine Schwäche, sondern auch seine Stärke. Jürgen Wertheimer ist seit 1991 Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Komparatistik in Tübingen.

Weiterlesen

Die sexuelle Revolution richtet sich gegen das Patriarchat

Die Soziologin Véronique Mottier schreibt: „Der Aufruf der freudschen Linken zur sexuellen Revolution hatte große Auswirkungen auf die linken und feministischen Bewegungen.“ Er war gegen die Unterdrückung des Kapitalismus und Patriarchat gerichtet. Es entstanden auch verschiedene Formen der Sexualtherapie, die eine Freisetzung der sexuellen Energien versprachen. Das alles geschah zwischen 1960 und 1980. In der Folge wurde die Sexualität als biologische Kraft verstanden, die von der bürgerlichen Gesellschaft unterdrückt wird. Laut Eva Illouz hatte dieses revolutionäre Verständnis der Sexualität einen tiefen und weitreichenden Einfluss auf die Gesellschaft. Dieser war sowohl für die Organisation der Wirtschaft als auch für die Familie sehr bedeutsam. Eva Illouz ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität von Jerusalem sowie Studiendirektorin am Centre européen de sociologie et de science politique de la Sorbonne.

Weiterlesen

Friedrich Nietzsche entwickelt eine Philosophie des Fragens

Schaut man genauer hin, verbergen sich schon in Friedrich Nietzsches Werk „Menschliches, Allzumenschliches“ Aphorismen, seine Kurz- und Kürzesttexte. Sie nehmen hier in ihrer Gestalt die verschiedensten Formen an. Andreas Urs Sommer kennt sie: „Selbstgespräche gibt es ebenso wie kurze Dialoge. Sprichwörtlich pointierte Epigramme ebenso wie Experimentanleitungen. Merksätze ebenso wie Miniaturerzählungen, Prosagedichte ebenso wie Parabeln.“ Vielen dieser Texte gemeinsam ist, wenigstens dem Anspruch nach, ihr „dickes Ende“: Das in ihnen nämlich sehr viel mehr steckt, als der knappe Raum, den sie einnehmen, eigentlich zu fassen erlaubt. In seinem Nachlass schrieb Friedrich Nietzsche 1885: „In Aphorismen-Büchern gleich den meinigen stehen zwischen und hinter kurzen Aphorismen lauter verbotene lange Dinge und Gedanken-Ketten.“ Andreas Urs Sommer lehrt Philosophie an der Universität Freiburg i. B. und leitet die Forschungsstelle Nietzsche-Kommentar der Heidelberger Akademie der Wissenschaften.

Weiterlesen

Die Globalisierung ist eine permanente Revolution

In den letzten Jahren hat der Begriff der Globalisierung im internationalen Diskurs einiges von seinem Sex-Appeal eingebüßt. Vielleicht hat die große Finanzkrise von 2008 die Grundannahmen der Globalisierung erschüttert. Oder man hat einen öffentlichen Diskurs satt, der die optimistischen Vorhersagen von der angeblich irreversiblen, technologiegetriebenen Globalisierung feiert, deren dunkle Seiten gefährlich herunterspielt. Nadav Eyal vertritt dennoch folgende These: „Aber die schwankende Beliebtheit des Begriffs ändert nichts an der unzweideutigen Wahrheit: Die Globalisierung ist eine permanente Revolution.“ Dieser alte kommunistische Begriff der Revolution verdeutlicht die Aggressivität, mit der die Digitalisierung die Gegenwart dauerhaft und intensiv verändert. In ihrem Rahmen wird das menschliche Leben materiell und ideell von der Auseinandersetzung mit der Welt als Ganzer diktiert. Nadav Eyal ist einer der bekanntesten Journalisten Israels.

Weiterlesen

Die Vernunft ist nicht die Instanz der Wahrheit

Friedrich Nietzsches Zweifel an der Zuträglichkeit der Vernunft war nie stark genug, um ihn selbst auf deren Gebrauch verzichten zu lassen. In der Logik seiner Argumente und im Scharfsinn seiner Kritik tritt dies für Volker Gerhardt eindrucksvoll hervor. Gewiss, die Vernunft ist nicht die Instanz der Wahrheit, wohl aber das Organ, um Wahrheitsansprüche zu erheben und zu prüfen. Die Vernunft bedarf des Körpers, um sich zu sammeln, sich auszudrücken und sich bestimmen zu können. Die Vernunft des Leibes erscheint Friedrich Nietzsche so vollkommen, dass er von der „großen Vernunft“ des Leibes spricht. Diese grenzt er von der deutlich abgewerteten „kleinen Vernunft“ des Bewusstseins ab. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

Weiterlesen

In der Stille kommt das Denken und Wollen zur Ruhe

„Schaffe Leere bis zum Höchsten! Wahre die Stille bis zum Völligsten.“ Diese Worte sind Teil einer berühmten Stelle aus dem Daodejing (Tao Te King) des Laotse. Albert Kitzler weist auf eine bedeutenden Kulturhistoriker hin, der über dieses Zitat sagte: „Es gibt vielleicht keine weisere Stelle in der ganzen Weltliteratur.“ „Stille“ ist hier das zur Ruhe kommen des unaufhörlichen Denkens und Wollens. Es geht dabei um den ruhigen Fluss des Lebens und das Zurückkommen zu sich selbst. Wichtig dabei ist die Erkenntnis und Annahme des natürlichen Kreislaufs alles Lebendigen, einschließlich des persönlichen Schicksals. Man kann sagen, es handelt sich dabei um den Inbegriff aller Gelassenheit. Der Philosoph und Jurist Dr. Albert Kitzler ist Gründer und Leiter von „MASS UND MITTE“ – Schule für antike Lebensweisheit.

Weiterlesen

Raum und Zeit existieren

Die Synthese zwischen den Zeitbegriffen von Aristoteles und Isaac Newton ist ein Glanzstück im Denken von Albert Einstein. Sie lautet, dass die Zeit und der Raum, von denen Isaac Newton intuitiv erahnte, dass sie neben der greifbaren Materie bestünden, existieren. Carlo Rovelli erklärt: „Zeit und Raum sind reale Dinge. Allerdings sind sie keineswegs absolut, überhaupt nicht unabhängig von dem, was geschieht. Und absolut nicht geschieden von den anderen Substanzen der Welt, wie Newton dachte.“ Man darf sich laut Isaac Newton eine große Leinwand vorstellen, auf der die Geschichte der Welt gemalt ist. Aber diese Leinwand besteht aus der gleichen Substanz, aus denen die anderen Dinge der Welt gefertigt sind, die des Steins, des Lichts und der Luft. Carlo Rovelli ist seit dem Jahr 2000 Professor für Physik in Marseille.

Weiterlesen

Die Kommunikation im Strafrecht besteht aus vier Ebenen

Kommunikation im weiten Sinn ist ein zentraler Faktor des Strafens und des Strafrechts. Sie hat insoweit vier unterschiedliche Ebenen: Erstens eine Ebene der „empathischen“ Entstehung von normativen Ordnungen der Sanktionierung. Zweitens eine Ebene der Entstehung und der Organisation von vorstaatlicher Macht und Monopolisierung der Gewalt. Drittens eine Ebene der gesellschaftlichen Vermittlung von „Sinn“. Viertens eine Ebene der technischen und symbolischen „Abwicklung“ von Strafrecht. Thomas Fischer geht näher auf die dritte Ebene ein und weist darauf hin, dass damit zunächst ganz banale Dinge gemeint sind: „Das Sanktionieren abweichenden Verhaltens ist zwar Bestandteil jedes gesellschaftlichen Lebens. Es ist aber, jedenfalls jenseits sehr kleiner früherer Gemeinschaften, nicht allgegenwärtig und unmittelbar spürbar.“ Thomas Fischer war bis 2017 Vorsitzender des Zweiten Senats des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe.

Weiterlesen

Die Schnelllebigkeit nimmt überall zu

„Mehr tun in der gleichen Zeit“. Mit dieser Formel umschreibt Horst Opaschowski einen Wandel der letzten Jahre, der allen Aktivitäten den Stempel der Hektik aufdrückt. Immer mehr Beschäftigungen erledigen die Menschen im Stil des Fast-foods beziehungsweise gleichzeitig. Die Schnelllebigkeit nimmt überall zu. Für zeitaufwendige Beschäftigungen bleibt den Menschen immer weniger Zeit, oder richtiger: sie nehmen sich weniger Zeit. In ganz früheren Zeiten bestimmte das Sonnenzeitmaß die Geschwindigkeit des täglichen Lebens. Es begann mit dem Aufgang und endete mit dem Untergang der Sonne. Im Winter wurde mehr, im Sommer weniger geschlafen. Horst Opaschowski gründete 2014 mit der Bildungsforscherin Irina Pilawa das Opaschowski Institut für Zukunftsforschung. Bis 2006 lehrte er als Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Hamburg. Ab 2007 leitete er die Stiftung für Zukunftsfragen.

Weiterlesen

Roger de Weck beschreibt die Kraft der Demokratie

Überall auf der Welt bedrängt der Autoritarismus demokratische Gesellschaften. Doch warum bleiben Liberale und Linke so defensiv? Die Schwäche der Demokraten ist viel gefährlicher als die Lautstärke der Reaktionäre, warnt Roger de Weck in seinem neuen Buch „Die Kraft der Demokratie“. Er beschreibt Methoden und Schwachstellen der Rechten. Der Autor ist fest davon überzeugt, dass man sie sehr wohl stoppen kann in ihrem Kulturkampf wider die Liberalität. Im letzten Kapitel seines Buchs macht der dazu zwölf ganz konkrete Vorschläge. Die liberale Demokratie wurde zum dem Zweck geschaffen, für die Stärke des Rechts zu sorgen, wider das Recht des Stärkeren. Doch mittlerweile sehnen sich viele Menschen wieder nach dem „starken Mann“. Sie huldigen ihm, solange er anmaßend und aggressiv auftritt. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

Weiterlesen

Der Rechtspopulismus gedeiht in ländlichen Regionen

Herbert Renz-Polster kennt das auffälligste Kennzeichen der rechtspopulistischen Strömungen: „Sie haben auf dem Land deutlich mehr Anhänger als in der Stadt.“ Und dieser Unterschied ist umso deutlicher, je tiefer der Graben zwischen Stadt und Land in einer Nation ausfällt. In Deutschland kommen rund 75 Prozent der Wähler der AfD aus Gemeinden unter 50.000 Einwohnern. Warum konzentriert sich der Hang zum Autoritarismus so hartnäckig auf das weite Land? Die erste Antwort, die Herbert Renz-Polster gibt, ist überraschend simpel: „Weil die Binnenmigration, die seit der Antike beständig in allen Ländern stattfindet, einem klaren Muster folgt.“ Wer da den Jobs oder den größeren Entfaltungsmöglichkeiten in der Stadt hinterherwandert, gehört eher zu den für die neuen Aufgaben qualifizierteren, flexibleren und gegenüber Neuerungen offeneren Menschen. Der Kinderarzt Dr. Herbert Renz-Polster hat die deutsche Erziehungsdebatte in den letzten Jahren wie kaum ein anderer geprägt.

Weiterlesen

Konflikte sind der Motor des Fortschritts

Konflikte drängen zur Bewegung, sind manchmal anstößig und stoßen an. Reinhard K. Sprenger weiß: „Dieses Belebende können wir entdecken, wenn wir auf die Konflikte schauen, die uns selbst betreffen. Alles, was wir können, all unsere Talente verdanken wir Grenzsituationen: Widerständen und Problemen.“ Sie fordern einen Menschen heraus, lassen ihn wachsen und durch sie entwickeln sich neue Sichtweisen und Fähigkeiten. Wenn die gesellschaftliche Lebensqualität darin besteht, jeder einzelnen Person zur bestmöglichen Verwirklichung ihrer individuellen Fähigkeiten zu verhelfen, dann war das historisch noch immer mit häufig erbitterten Konflikten verbunden. Das Negative ist für Reinhard K. Sprenger das eigentlich Positive. Der englische Philosoph Francis Bacon bürgerte 1620 den Konflikt als Fortschrittsmotor der Neuzeit ein: „Viele werden ratlos umherirren, und die Erkenntnis wird groß sein.“ Reinhard K. Sprenger zählt zu den profiliertesten Managementberatern und wichtigsten Vordenkern der Wirtschaft in Deutschland.

Weiterlesen

Friedrich Nitzsche wollte die dionysische Kultur stärken

Friedrich Nietzsches Gegenentwurf zur sokratischen Kultur wird tragische Kultur genannt. Sie entwickelt sich aus seiner grundlegend kritischen Stellung zu Sokrates (469 – 399 v. Chr.). Der griechische Philosoph gilt als Stammvater einer Epoche. Diese suchte die Vernunft und Wissenschaft zur Herrschaft zu bringen und keine Mythen mehr kennt. Christian Niemeyer erläutert: „Entsprechend auch sah sich der frühe Nietzsche weniger als ein den Ideen der Aufklärung verpflichteter Jünger der Wahrheit denn als ein von Friedrich Wagner ermunterter Exponent der über sich selbst zu Bewusstsein gelangten griechischen Antike.“ Friedrich Nietzsches Programm bestand entsprechend darin, die als dionysisch gefasste künstlerische Kultur zu stärken. Er wollte sie der apollinisch strukturierten, auf Erkenntnis, Wissenschaft und Wahrheit setzenden Gegenwart als andere, bessere Seite entgegenhalten. Der Erziehungswissenschaftler und Psychologe Prof. Dr. phil. habil. Christian Niemeyer lehrte bis 2017 Sozialpädagogik an der TU Dresden.

Weiterlesen

Die Mündigkeit weiß um die eigenen Grenzen

Mündig zu sein, ist ein Wunsch, seit die Neuzeit den Menschen in verträglichen Dosen in die Freiheit entlässt. In ihrer aufgeklärtesten Form weiß die Mündigkeit auch um die eigenen Grenzen. Weil nur ein mündiger Mensch weniger vollkommen als entstellt ist. Ulf Poschardt erläutert: „Die Sehnsucht des Menschen, seine Träume, seine Verrücktheiten und Poesien, sein Spleen, seine Unbedingtheit, es wissen zu wollen, sind der Urtrieb, den eine vernünftige Zivilisation nur sehr bedingt zulässt.“ Beim Verehrer der Mündigkeit Theodor W. Adorno ist die innere Unruhe beim Mündigwerden auch Ideologiekritik. Mündig zu sein heißt auch, im Ideal mehr verstanden zu haben, als nötig war, um sich selbst als Individuum konstant herauszufordern. Seit 2016 ist Ulf Poschardt Chefredakteur der „Welt-Gruppe“ (Die Welt, Welt am Sonntag, Welt TV).

Weiterlesen

Deutschland muss mehr für die Bildung tun

Die Kultur zu Anfang des 21. Jahrhunderts ist eine Kultur der „Sofortness“. Der Kunde will alles, und zwar sofort. Er ist faul und ungeduldig. Richard David Precht warnt: „Wer alles will, und zwar sofort, ist auf die großen Umbrüche unserer Zeit schlecht vorbereitet. Was zählt, sind langfristiges Denken, Entscheidungsstärke in komplizierten Vorgängen und ethische Haltungen.“ All dies zu trainieren, ist seiner Meinung nach eine wichtige Aufgabe des Bildungssystems. Leider werden die Kinder in den Schulen nur äußerst unzureichend auf die Herausforderungen ihres zukünftigen Lebens vorbereitet. Deutschland muss mehr für die Bildung tun. Für viele Wirtschaftsvertreter ist die Sache einfach: Eine digitale Gesellschaft braucht mehr digitales Know-how. Der Philosoph, Publizist und Bestsellerautor Richard David Precht zählt zu den profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.

Weiterlesen

Georg Pieper stellt die Varianten der Angst vor

Zunächst einmal muss man sich klarmachen, dass Angst nicht immer etwas Schlechtes ist, das man überwinden muss. Georg Pieper erläutert: „Angst schützt uns vor Gefahren und davor, Dinge zu tun, die uns schaden könnten. Evolutionär gesehen ist Angst überlebenswichtig, ohne Angst hätte die Menschheit nicht überlebt.“ Angst gibt es in ganz verschiedenen Ausprägungen. Die Psychologie unterscheidet zwischen „state anxiety“, Angst als Zustand, und „trait anxiety“, Angst als Eigenschaft. Die Zustandsangst ist eine vorübergehende Reaktion auf eine reale Gefahr. Hier ist Angst in der Regel sinnvoll und sichert unter Umständen sogar das Überleben. Sie kann sich aber auch übertrieben stark entwickeln. Dann hat jemand zum Beispiel vor jedem Hund Angst. Der Psychologe, Therapeut und Traumaexperte Georg Pieper betreut seit Jahrzehnten Menschen nach extremen Katastrophen.

Weiterlesen

Frank Berzbach nimmt überall die Schönheit wahr

Die Schönheit ist in vollendeter Form frei von Skepsis, sie kennt keinen Zweifel. Und dies nicht nur in Bezug auf abgetrennten Einzelformen, sondern im umfassenderen Sinn. Frank Berzbach erläutert: „Das Puzzle der Einzelstücke lässt sich über die Wahrnehmbarkeit von Schönheit zusammensetzen. Und dann scheint, ein seltener Moment, alles am rechten Platz zu sein und man selbst mittendrin.“ Es gibt eine Schönheit, deren Teil man wird, wenn man sich ihr aussetzt. Ob in Bezug auf ein Gemälde, einen schönen Menschen, einen Ort oder eine Landschaft. Man spürt die Anwesenheit, eine Stimmung entsteht. Der Philosoph Gernot Böhme hat dies „Anmutung“ und „Atmosphäre“ genannt. Diese können so kraftvoll werden, dass sie die Form von „Halbdingen“ annehmen. Dr. Frank Berzbach unterrichtet Psychologie an der ecosign Akademie für Gestaltung und Kulturpädagogik an der Technischen Hochschule Köln.

Weiterlesen

Die Disruption ist das Phänomen der Gegenwart

In seinem ersten Buch „Die große Zerstörung“ vertritt Andreas Barthelmess die These, dass sich viele Menschen von den digitalen Brüchen und den dadurch entstehenden Zerstörungen überfordert fühlen. Deshalb polarisiert sich die Gesellschaft. Es entstehen Gruppen, die sich unversöhnlich und feindselig gegenüberstehen. Künstliche Intelligenz und autonomen Maschinen vernichten Arbeitsplätze. Facebook, Google und Chinas Datenmacht steuern auf einen globalen Staatsstreich zu. Doc im Bruch liegt für Andreas Barthelmess auch die Lösung: „Digitale Bewegungen wie #MeToo und Fridays for Future machen Hoffnung auf eine neue demokratischen Weltordnung.“ Der Autor analysiert scharfsinnig die digitale Kultur und macht konkrete Vorschläge für die Politik. Das Gefühl der Alternativlosigkeit kennt er nicht. Vor allem aber glaubt er an das vereinte Europa: „In flexiblen Allianzen macht es sich auf zur globalen Bürgergesellschaft.“ Andreas Barthelmess ist Ökonom, Start-up-Unternehmer und Publizist.

Weiterlesen

Die Ökonomie ist der Schlüssel zur Welt

Faulheit ist seit jeher ein Laster. Sie ist nicht gottgefällig, auch nicht vernunftgefällig, sondern eine Verschwendung der Talente. Doch nicht nur die Mönche und Protestanten beten und arbeiten. Auch für den Weltmenschen Johann Wolfgang von Goethe steht am Anfang die Tat. Und selbst Oblomows treuer Freund Stolz ein „Deutscher“ natürlich, sieht in der Arbeit den Sinn des Lebens. Sophie Loidolt stellt sich in diesem Zusammenhang folgende Frage: „Doch was heißt das eigentlich: Arbeit, Tat, tätig sein. Um darauf eine Antwort zu finden, beschäftigt sie sich mit einer von Hannah Arendts Grundfragen. In ihrem philosophischen Hauptwerk stellt sie die Frage: „Was tun wir, wenn wir tätig sind?“ Prof. Dr. Sophie Loidolt ist Gastprofessorin am Philosophieinstitut der Universität Kassel und Mitglied der „Jungen Akademie“ der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Weiterlesen

Das Glück hat einen brüchigen Charakter

Wenn die Weisheit an die Seite des Glücks tritt, heißt es nicht mehr nur, das Leben, das man führt zu lieben, sondern das Leben an sich zu lieben. Frédéric Lenoir konkretisiert: „Das Leben mit seinen Höhen und Tiefen zu lieben, mit seinen guten und schlechten Momenten, seiner Dosis an Freude und Traurigkeit.“ Die Weisheit soll dabei nicht über den unvorhersehbaren und brüchigen Charakter des Glücks hinwegtäuschen. Sondern sie soll dazu dienen, das Glück so intensiv und dauerhaft wie möglich zu gestalten. Und dies jenseits der Unwägbarkeiten des Lebens, jenseits äußerer Umstände, angenehmer und unangenehmer Gefühle im Alltag. Weisheit bedeutet, das zu lieben, was ist. Wobei Frédéric Lenoir noch einmal die Tatsache betont, dass Weisheit ein Ideal ist und ein Ziel. Dieses kann man möglicherweise erreichen, aber vielleicht niemals vollständig verwirklichen. Frédéric Lenoir ist Philosoph, Religionswissenschaftler, Soziologe und Schriftsteller.

Weiterlesen

Die Wahrheit befindet sich in einer tiefen Krise

Es ist schwer und oft prinzipiell unmöglich, unter der herrschenden Flut von Informationen zu entscheiden, was denn nun stimmt und was nicht. Bernhard Pörksen schreibt: „In der Situation einer allgemeinen Verunsicherung wuchert der Verdacht, regiert der Zweifel und dominiert das Geraune. Es suggeriert den Durchblick, aber offenbart eigentlich doch nur Verwirrung und Verstörung.“ Zudem kommuniziert der vernetzte Mensch unter den gegenwertigen Medienbedingungen konstant mit „Entitäten“. Deren Absichten und Interessen, deren Integrität oder Status – Mensch oder Maschine, neutraler Beobachter oder Propagandist – lassen sich nicht sicher einschätzen. Daher stellt sich die Frage, was überhaupt als echte, wahrheitsgetreue und authentische Kommunikation betrachtet werden kann – und was eben nicht. Die digitale Öffentlichkeit stellt den vernetzten Menschen also vor das Problem, die zahlreich verbreiteten Falsch- und Fehlinformationen überhaupt zu erkennen. Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen.

Weiterlesen

Rechtspopulisten sehen in der Globalisierung eine Gefahr

In Deutschland sieht etwas mehr als die Hälfte die Globalisierung als Chance, die andere Hälfte als Bedrohung. Unter den Wählern am linken und rechten Rand jedoch sind die Werte im Gesamtvergleich besonders hoch. So fühlen sich 78 Prozent der Wähler der Alternative für Deutschland (AfD) und 54 Prozent der linken Wähler von der Globalisierung bedroht. Bei allen anderen Parteien liegen die Werte nur zwischen 23 und 38 Prozent. Philipp Hübl weiß, dass das kein deutsches Phänomen ist: „In ganz Europa verbindet die Wähler von Rechtspopulisten nicht Einkommen oder Bildungsstand, sondern diese Gemeinsamkeit: Globalisierung stellt für sie eine Gefahr dar.“ Die Anhänger der Rechtspopulisten sind also nicht primär Systemkritiker. Sie sind vor allem Modernitätsverweigerer. Philipp Hübl ist Philosoph und Autor des Bestsellers „Folge dem weißen Kaninchen … in die Welt der Philosophie“ (2012).

Weiterlesen

Terry Eagleton lehnt den Kulturrelativismus ab

Der Kulturrelativismus ist eine äußerst fragwürdige Position. Nur Rassisten sind der Meinung, es sei vollkommen rechtens, in Borneo zu vergewaltigen und zu morden, nicht aber in Brighton. Die Ansicht, einige Standpunkte seien besser und wahrer als andere, ist weder „elitär“ noch „hierarchisch“. Terry Eagleton betont: „Völlig zu Recht hat der Philosoph Richard Rorty einmal festgestellt, dass man sich nicht mit Menschen auf Debatten einzulassen braucht, die die Auffassung vertreten, dass jede Ansicht zu einer bestimmten Frage so gut sei wie jede andere, da es solche Ansichten überhaupt nicht gebe.“ Den Parteigängern des Kulturrelativismus widerstrebt es, ihre eigenen Werte absolut zu setzen, da sie für die Lebensweisen anderer offen sind. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

Weiterlesen