Die Kultur zu Anfang des 21. Jahrhunderts ist eine Kultur der „Sofortness“. Der Kunde will alles, und zwar sofort. Er ist faul und ungeduldig. Richard David Precht warnt: „Wer alles will, und zwar sofort, ist auf die großen Umbrüche unserer Zeit schlecht vorbereitet. Was zählt, sind langfristiges Denken, Entscheidungsstärke in komplizierten Vorgängen und ethische Haltungen.“ All dies zu trainieren, ist seiner Meinung nach eine wichtige Aufgabe des Bildungssystems. Leider werden die Kinder in den Schulen nur äußerst unzureichend auf die Herausforderungen ihres zukünftigen Lebens vorbereitet. Deutschland muss mehr für die Bildung tun. Für viele Wirtschaftsvertreter ist die Sache einfach: Eine digitale Gesellschaft braucht mehr digitales Know-how. Der Philosoph, Publizist und Bestsellerautor Richard David Precht zählt zu den profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.
Bildung soll zu einem erfüllten Leben führen
Für viele klingen die Forderungen aus der Wirtschaft plausibel. Zumindest auf den ersten Blick. Doch wer sich mit dem Thema länger beschäftigt, dem fällt auf, wie voraussetzungsreich ein solches Bildungsziel ist. Es unterstellt erstens, dass es die Aufgabe des Bildungssystems ist, dem Arbeitsmarkt passgenau die entsprechenden Arbeitskräfte bereitzustellen. Und es nimmt zweitens an, dass die Arbeitsmärkte der Zukunft so aussehen wie jetzt. Zusätzlich mit einer höheren Nachfrage nach Informatikern und Entrepreneuren.
Richard David Precht kritisiert: „Größere gesellschaftliche Umbrüche durch die digitale Revolution kommen in diesem Modell nicht vor. Und Bildung ist vor allem eines – Ausbildung!“ Eine zweite Position formuliert ein anderes Bildungsziel: Bildung bedeutet, so viele junge Menschen wie möglich dazu zu befähigen, ein erfülltes Leben zu leben. Der gegenwärtige und gemutmaßte Bedarf der derzeitigen Arbeits- und Leistungsgesellschaft ist für sie nicht der höchste Maßstab. Möglicherweise benötigt man in Zukunft vor allem Berufe, in denen Empathie einen hohen Stellenwert besitzt.
Die Bildung der Persönlichkeit steht an erster Stelle
Das höchste Bildungsziel kann auch nicht darin bestehen, möglichst viele Kinder dazu zu bringen, hohe unternehmerische Gewinne erzielen zu wollen. Alle Bildungsziele, die den Arbeitsmarkt über die Bildung der Persönlichkeit stellen, sind laut Richard David Precht kurzsichtig. Eine funktionierende Gesellschaft braucht nicht nur Menschen, die in der digitalen Ökonomie erfolgreich sind. Es braucht es solche, welche die Werte und die Handwerkskunst bewahren. Und Menschen, die sich für ihre Mitmenschen einsetzen, Traditionen pflegen, sich kümmern und über alternative Gesellschaftsmodelle nachdenken.
Eine Welt allein aus Geeks, Finanzspekulanten, Stars auf You Tube und Influencern ist weder möglich noch wünschenswert. Und es muss kein Nachteil sein, wenn morgen noch jemand Koch, Ökobauer, Sozialarbeiter, Tischler oder klassischer Musiker werden will. Der Maßstab für ein neues Bildungssystem kann also nicht ein gemutmaßter Arbeitsmarkt sein. Sondern es muss das Ziel sein, die Kinder dazu zu befähigen, sich in einer zukünftigen Welt gut zurechtzufinden. Sie müssen das, was sie als Mensch und als Individuum ausmacht, kultivieren. Quelle: „Jäger, Hirten, Kritiker“ von Richard David Precht
Von Hans Klumbies