Die Schnelllebigkeit nimmt überall zu

„Mehr tun in der gleichen Zeit“. Mit dieser Formel umschreibt Horst Opaschowski einen Wandel der letzten Jahre, der allen Aktivitäten den Stempel der Hektik aufdrückt. Immer mehr Beschäftigungen erledigen die Menschen im Stil des Fast-foods beziehungsweise gleichzeitig. Die Schnelllebigkeit nimmt überall zu. Für zeitaufwendige Beschäftigungen bleibt den Menschen immer weniger Zeit, oder richtiger: sie nehmen sich weniger Zeit. In ganz früheren Zeiten bestimmte das Sonnenzeitmaß die Geschwindigkeit des täglichen Lebens. Es begann mit dem Aufgang und endete mit dem Untergang der Sonne. Im Winter wurde mehr, im Sommer weniger geschlafen. Horst Opaschowski gründete 2014 mit der Bildungsforscherin Irina Pilawa das Opaschowski Institut für Zukunftsforschung. Bis 2006 lehrte er als Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Hamburg. Ab 2007 leitete er die Stiftung für Zukunftsfragen.

Zeit wird zur knappen Ware

Es war ein Leben mit den Naturzyklen zwischen Tag-, Nacht- und Jahreszeiten. Zeit war kein Thema, sondern ein Gottesgeschenk. Etwa seit dem 17. Jahrhundert „läuft“ die Zeit im wahrsten Sinne des Wortes schneller. Das Gefühl kommt auf, dass einem die Zeit davonläuft. Insbesondere seit der Reformation wird den Menschen bewusst, dass sie mit der subjektiv als kostbar empfundenen Zeit „sparsam“ umgehen sollten. Zeit wird zur knappen Ware und mit Geld verrechnet: „Time is money“.

Horst Opaschowski erläutert: „Zeit wird durch die Pausenlosigkeit des Immer und Raum durch das Prinzip des Überall ersetzt.“ Von der Sesshaftigkeit befreit, könne die Menschen seither alles überall und jederzeit tun. Sie fangen nicht mehr an und sie hören nicht mehr auf. Sie tun immer mehr zur gleichen Zeit. Bevor das englische Wort „speed“ die heutige Bedeutung Schnelligkeit bekam, bezeichnete es im Altenglischen Erfolg und Wohlstand. Heute heißen Drogen, die den Herzrhythmus beschleunigen und ein rastloses Gefühl von Aufregung und Energie auslösen, im Slang „Speed“.

Zeit wird zur knappen Ware

Gemeint sind Amphetamine, die auch Hochleistungssportler konsumieren, um ihre Schnelligkeit zu verbessern. Das 21. Jahrhundert macht die Menschheit zum „Speed Age“, zum Zeitalter der Hochgeschwindigkeit, in dem die Menschen rasant am Gestern oder Vorgestern vorbeirauschen. In Zeiten der Digitalisierung spielt sich das Leben immer mehr auf der Überholspur ab. Aus Aktivität wird Hyperaktivität, Schnelligkeit verwandelt sich in Schnelllebigkeit: ein Leben in der Gesellschaft des Non-Stop.

PC, Handy und Internet führen das fort, was vor Jahrzehnten mit der TV-Fernbedienung begonnen hatte. Seitdem können die Menschen permanent von hier nach dort springen, das Ende mit der Mitte und dem Anfang vertauschen. Die heutige Zeit gleicht, wie dies der Philosoph Peter Sloterdijk vermutet einem gigantischen Unternehmen der Mobilmachung, einem Produkt aus Unbewusstheit und Höchstgeschwindigkeit. Sozialforschungen weisen nach, dass die intensive Nutzung von Multi-Media in der privaten Lebensgestaltung keine Effekte der Zeitersparnis hat, sondern vielmehr entgegengesetzt im Sinne einer Zeitfalle wirkt. Quelle: „Wissen, was wird“ von Horst Opaschowski

Von Hans Klumbies