Die Wahrheit befindet sich in einer tiefen Krise

Es ist schwer und oft prinzipiell unmöglich, unter der herrschenden Flut von Informationen zu entscheiden, was denn nun stimmt und was nicht. Bernhard Pörksen schreibt: „In der Situation einer allgemeinen Verunsicherung wuchert der Verdacht, regiert der Zweifel und dominiert das Geraune. Es suggeriert den Durchblick, aber offenbart eigentlich doch nur Verwirrung und Verstörung.“ Zudem kommuniziert der vernetzte Mensch unter den gegenwertigen Medienbedingungen konstant mit „Entitäten“. Deren Absichten und Interessen, deren Integrität oder Status – Mensch oder Maschine, neutraler Beobachter oder Propagandist – lassen sich nicht sicher einschätzen. Daher stellt sich die Frage, was überhaupt als echte, wahrheitsgetreue und authentische Kommunikation betrachtet werden kann – und was eben nicht. Die digitale Öffentlichkeit stellt den vernetzten Menschen also vor das Problem, die zahlreich verbreiteten Falsch- und Fehlinformationen überhaupt zu erkennen. Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen.

Jeder kann mit Identitäten und Rollen spielen

Und wie jeder längst weiß: Diese zu produzieren und in Umlauf zu bringen ist heute leichter denn je. Bernhard Pörksen erläutert: „Jeder kann unter den Bedingungen digitaler Kommunikation Fake-Identitäten kreieren. Er kann die eigene Geschichte mit einiger Raffinesse inszenieren und dann ausprobieren. Anschließend sieht er, ob sein Publikum die medial erschaffene Realität für echt hält.“ Jeder kann mit Identitäten und Rollen spielen, kann sich maskieren, das eigene Selbst und die eigenen Person als eine variable Projektion entwerfen. An deren Authentizität glauben dann andere. Solange, bis sie den Trick begreifen oder man ihnen das Betriebsgeheimnis einer erfolgreichen Manipulation offenbart hat.

Im Allgemeinen gilt jedoch: Man muss die Möglichkeit der Täuschung zwar prinzipiell in Rechnung stellen, verfügt jedoch kaum über die Möglichkeit der privaten und persönlichen Authentizitätskontrolle. Man hat zwar eine Ahnung, dass etwas nicht stimmen könnte. Allerdings vermag man jedoch nicht selbst hinter den Vorhang zu schauen. Man kann keine definitiven Belege liefern, schon gar nicht aus eigener Anschauung und persönlicher Recherche. Die diffuse Ahnung des Zweifelhaften und eine charakteristische Ungewissheit der Echtheit nährt und verstärkt sich aus mehreren Gründen.

Jeder kann Fälschungsexperimente machen

Bernhard Pörksen erklärt: „Zum einen hat sich das Spiel mit der öffentlichkeitswirksamen Inszenierung von Wirklichkeiten demokratisiert. Es steht nun allen offen.“ Natürlich waren Medienbilder schon immer ein beliebtes Objekt der Fälschung. Und die Möglichkeiten der digitalen Bildmanipulation existieren seit Jahrzehnten. Aber heute kann jeder selbst, sei es mit Photoshop oder irgendeiner anderen Software, bequem kleine Fälschungsexperimente machen. Und anschließend diese barrierefrei in die öffentlichen Kreisläufe einspeisen.

Die Möglichkeit der Fälschung ist also durch die persönliche Erfahrung gedeckt. Das ist die private Empirie der Manipulation. Zum anderen gehört die Annahme, man könne in der öffentlichen Sphäre leichthändig getäuscht werden, inzwischen zum Alltagswissen oder doch zur Alltagsahnung des Medienkonsumenten. Man kann zum Beispiel leicht herausfinden, dass selbst Videos von Augenzeugen, also scheinbar besonders authentische Dokumente, zum Instrument der Propaganda geworden sind. Quelle: „Die große Gereiztheit“ von Bernhard Pörksen

Von Hans Klumbies