Raum und Zeit existieren

Die Synthese zwischen den Zeitbegriffen von Aristoteles und Isaac Newton ist ein Glanzstück im Denken von Albert Einstein. Sie lautet, dass die Zeit und der Raum, von denen Isaac Newton intuitiv erahnte, dass sie neben der greifbaren Materie bestünden, existieren. Carlo Rovelli erklärt: „Zeit und Raum sind reale Dinge. Allerdings sind sie keineswegs absolut, überhaupt nicht unabhängig von dem, was geschieht. Und absolut nicht geschieden von den anderen Substanzen der Welt, wie Newton dachte.“ Man darf sich laut Isaac Newton eine große Leinwand vorstellen, auf der die Geschichte der Welt gemalt ist. Aber diese Leinwand besteht aus der gleichen Substanz, aus denen die anderen Dinge der Welt gefertigt sind, die des Steins, des Lichts und der Luft. Carlo Rovelli ist seit dem Jahr 2000 Professor für Physik in Marseille.

Die Raumzeit existiert auch ohne Materie

„Felder“ nennen Physiker die Substanzen, die das Gewebe der physikalischen Realität ausmachen. Diese haben mitunter exotische Namen: Dirac-Felder sind das Gewebe, aus dem sich Tische und Sterne zusammensetzen. Das „elektromagnetische“ Feld ist der Stoff, aus dem das Licht besteht und letztlich der Ursprung der Kräfte. Das Feld treibt Elektromotoren an und richtet die Kompassnadel nach Norden aus. Es gibt auch das „Gravitationsfeld“. Es ist der Ursprung der Schwerkraft.

Aber es ist auch das Gewebe, aus dem Isaac Newtons Raum und Zeit gewirkt ist und auf dem sich die übrige Welt abbildet. Uhren sind Mechanismen, welche die Ausdehnung dieses Feldes messen. Metermaße sind Stücke Materie, die einen anderen Aspekt seiner Dimensionen messen. Die Raumzeit ist das Gravitationsfeld und umgekehrt. Wie Isaac Newton intuitiv erkannte, existiert sie auch ohne Materie an sich. Aber sie ist keine von den übrigen Dingen der Welt geschiedene Entität – wie Newton annahm –, sondern ein Feld wie die anderen.

Das Gravitationsfeld ist weder gleichförmig noch fest

Eher als ein Gemälde auf einer einzelnen Leinwand ist die Welt eine Überlagerung vieler Leinwände. Das Gravitationsfeld ist dabei nur ein Feld unter anderen. Carlo Rovelli weiß: „Wie die anderen ist es weder absolut noch gleichförmig oder fest. Vielmehr krümmt, streckt, kontrahiert und ballt es sich zusammen mit den anderen.“ Gleichungen beschreiben die wechselseitige Beeinflussung sämtlicher Felder. Und die Raumzeit ist ein solches Feld. Das Gravitationsfeld kann auch glatt und flach wie eine ebene Oberfläche sein.

Wenn man es mit einem Maßstab ausmisst, stößt man auf die Geometrie Euklids. Aber das Feld kann auch Wellen – Gravitationswellen – schlagen. Es kann sich zusammenballen und auseinanderziehen. Die Leinwand, die das Gravitationsfeld bildet, ist wie ein großes elastisches Blatt, das sich auseinanderziehen lässt. Von seinem Strecken und Krümmen rührt die Schwerkraft her, das Fallen der Körper. Physiker nennen die Raumzeit „gekrümmt“, weil sie verzerrt ist. Quelle: „Die Ordnung der Zeit von Carlo Rovelli

Von Hans Klumbies