Terry Eagleton lehnt den Kulturrelativismus ab

Der Kulturrelativismus ist eine äußerst fragwürdige Position. Nur Rassisten sind der Meinung, es sei vollkommen rechtens, in Borneo zu vergewaltigen und zu morden, nicht aber in Brighton. Die Ansicht, einige Standpunkte seien besser und wahrer als andere, ist weder „elitär“ noch „hierarchisch“. Terry Eagleton betont: „Völlig zu Recht hat der Philosoph Richard Rorty einmal festgestellt, dass man sich nicht mit Menschen auf Debatten einzulassen braucht, die die Auffassung vertreten, dass jede Ansicht zu einer bestimmten Frage so gut sei wie jede andere, da es solche Ansichten überhaupt nicht gebe.“ Den Parteigängern des Kulturrelativismus widerstrebt es, ihre eigenen Werte absolut zu setzen, da sie für die Lebensweisen anderer offen sind. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

Kultur ist bedeutsam für das Überleben der Menschen

Für die meisten Kulturalisten ist die Überzeugung, es gebe universelle Grundlagen für die menschliche Existenz, eine Illusion. Ihnen zufolge sind die Kulturen eigenständig. Man dürfe nicht davon ausgehen, sie ruhten auf irgendetwas Fundamentalerem als sich selbst, vergleichbar Gott, Geist, Materie, der menschlichen Natur, der Lebenskraft, der Dialektik, dem Gang der Geschichte oder der Struktur des Kosmos. Wenn man alles relativ zur Kultur begreift, wird diese selbst zu einem Absolutum.

Terry Eagleton weiß: „Es gibt jedoch noch etwas Grundlegenderes als Kultur, nämlich die materiellen Bedingungen, die sie sowohl möglich wie notwendig machen.“ Alle Menschen sind Frühgeburten, kommen in einem Zustand auf die Welt, in dem sie nicht aus eigener Kraft überleben können; und griffe die Kultur nicht sofort als eine Art Versorgungssystem ein, würden sie binnen kurzem sterben. Kultur in dieser umfassenden Bedeutung des Wortes ist für die Menschen und ihr Überleben von entscheidender Bedeutung.

Kultur ist auch das Ergebnis von Ausbeutung und Unglück

Dank seinem Gattungswesen sind Menschen in der Lage, sich komplexer Arbeits- und Kommunikationsformen zu bedienen, die für die Grundlage dessen sorgen, was man als Kultur oder Zivilisation bezeichnet. Menschen haben einen Körper, der ihnen erlaubt, sich über die ganze Erde zu verbreiten. Das mag einerseits eine Voraussetzung für ihren Erfolg sein, kann aber auch zur Ursache einer Katastrophe werden. Kultur hat ihre materiellen Bedingungen und ist insofern nicht das letzte Wort im menschlichen Dasein.

Die Kultur ist nicht nur das Ergebnis von Arbeit, sondern auch von Ausbeutung und Unglück. „Wie viel Blut und Grausen ist auf dem Grunde aller guten Dinge!“, ruft Friedrich Nietzsche aus, der Leiden für durchaus akzeptabel hält, solange es den Parthenon und Genies wie ihn hervorbringt. Ludwig Wittgenstein vertritt in seinen „Philosophischen Untersuchungen“ die Auffassung, dass die Lebensformen – Terry Eagleton würde Kulturen sagen – das einfach „Gegebene“ seien. Gegeben seien Lebensformen insofern, als es keine rationale Rechtfertigung für sie gebe. Quelle: „Kultur“ von Terry Eagleton

Von Hans Klumbies

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