Der Rechtspopulismus gedeiht in ländlichen Regionen

Herbert Renz-Polster kennt das auffälligste Kennzeichen der rechtspopulistischen Strömungen: „Sie haben auf dem Land deutlich mehr Anhänger als in der Stadt.“ Und dieser Unterschied ist umso deutlicher, je tiefer der Graben zwischen Stadt und Land in einer Nation ausfällt. In Deutschland kommen rund 75 Prozent der Wähler der AfD aus Gemeinden unter 50.000 Einwohnern. Warum konzentriert sich der Hang zum Autoritarismus so hartnäckig auf das weite Land? Die erste Antwort, die Herbert Renz-Polster gibt, ist überraschend simpel: „Weil die Binnenmigration, die seit der Antike beständig in allen Ländern stattfindet, einem klaren Muster folgt.“ Wer da den Jobs oder den größeren Entfaltungsmöglichkeiten in der Stadt hinterherwandert, gehört eher zu den für die neuen Aufgaben qualifizierteren, flexibleren und gegenüber Neuerungen offeneren Menschen. Der Kinderarzt Dr. Herbert Renz-Polster hat die deutsche Erziehungsdebatte in den letzten Jahren wie kaum ein anderer geprägt.

Stadtluft macht frei

Zurück bleiben dagegen die weniger wandlungsfähigen, die älteren, zu Änderungen weniger bereiten Menschen. Personen also, die ihre Sicherheit eher aus der Bewahrung des Bestehenden beziehen. Und diese bilden eindeutig eine für den rechtspopulistischen Pessimismus empfänglichere Auswahlmannschaft. In der Stadt wirkt gleich ein zweiter, seit der Antike besungener politischer Effekt: Stadtluft macht frei. Der vielfältige Begegnungsraum der Stadt ist nämlich die ideale Matrix für die kulturelle „Impfung“.

Allein schon, dass man in der Stadt den Anderen und den Andersartigen in einem gesicherten, alltäglichen Kontext begegnet, kann Neues entstehen. Es entwickeln sich neue Bewertungen, neue Ansichten, neue Lebensstile, eben das ganze kulturelle Wachstumsprogramm. Herbert Renz-Polster bringt das Muster auf einen ganz einfachen Nenner: „Der kulturelle Wandel läuft in der Stadt schneller ab als auf dem Land.“ Im Vergleich zur Stadt ist das Leben auf dem Land eine Art Freilichttheater.

Eltern erziehen ihre Kinder auf dem Land strenger

Im Landestheater werden Stücke aufgeführt, die in der Stadt vor zehn, zwanzig oder fünfzig Jahren dran waren. Zudem werden Kinder auf dem Land strenger behandelt als in der Stadt, nämlich konservativer, härter und distanzierter. In ländlichen Gegenden sind die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern aber auch in ihrer Tiefenstruktur stärker belastet. So erfahren Kinder vergleichsweise weniger emotionale Unterstützung durch ihre Eltern. Außerdem sind sie häufiger Einflüssen ausgesetzt, die ihre Entwicklung gefährden.

Die insgesamt geringere Ressourcenbasis auf dem Land zeigt sich aber auch in anderen Bereichen. Etwa an einem insgesamt schlechteren Gesundheitszustand der Kinder, insgesamt schlechteren Schulleistungen und mehr Verhaltensproblemen. Die Unterschiede sind so deutlich, dass sie für insgesamt schlechtere Entwicklungsbedingungen für Kinder im ländlichen Raum stehen. Das heißt allerdings nicht, dass das Aufwachsen auf dem Land generell für Kinder problematisch ist. Quelle: „Erziehung prägt Gesinnung“ von Herbert Renz-Polster

Von Hans Klumbies