Die Kommunikation im Strafrecht besteht aus vier Ebenen

Kommunikation im weiten Sinn ist ein zentraler Faktor des Strafens und des Strafrechts. Sie hat insoweit vier unterschiedliche Ebenen: Erstens eine Ebene der „empathischen“ Entstehung von normativen Ordnungen der Sanktionierung. Zweitens eine Ebene der Entstehung und der Organisation von vorstaatlicher Macht und Monopolisierung der Gewalt. Drittens eine Ebene der gesellschaftlichen Vermittlung von „Sinn“. Viertens eine Ebene der technischen und symbolischen „Abwicklung“ von Strafrecht. Thomas Fischer geht näher auf die dritte Ebene ein und weist darauf hin, dass damit zunächst ganz banale Dinge gemeint sind: „Das Sanktionieren abweichenden Verhaltens ist zwar Bestandteil jedes gesellschaftlichen Lebens. Es ist aber, jedenfalls jenseits sehr kleiner früherer Gemeinschaften, nicht allgegenwärtig und unmittelbar spürbar.“ Thomas Fischer war bis 2017 Vorsitzender des Zweiten Senats des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe.

Der Begriff der „Wahrheit“ ist kompliziert

Es ist gerade ein wichtiges Ziel der Sanktionierungen und ein Effekt ihres Erfolgs, dass sich die Einhaltung der Regeln sozusagen von außen nach innen verlagert. Der Pfad führt von der Gesamtgemeinschaft zu kleinen Gruppen, schließlich im Wege einer „Internalisierung“ in das Selbst-Bewusstsein der einzelnen Personen. Regeln, deren Verletzung mit Strafe bedroht ist, verstehen sich nicht „von alleine“. Es gibt kein „natürliches“ Strafrecht. Was erlaubt und was verboten ist, über dies muss in einer Gesellschaft permanent „gesprochen“ werden.

In großen Bevölkerungen ist ein unmittelbarer kommunikativer Austausch der Einzelnen meist auf sehr wenige Personen beschränkt. Im gesellschaftlichen Maßstab ist er gar nicht mehr möglich. Es ist daher erforderlich, dass Strukturen entstehen, die für die Definition von „Wahrheit“ und für deren allgemeine Verbindlichkeit zuständig sind. Der Begriff der „Wahrheit“ ist kompliziert. Wegen seiner überragenden Bedeutung ist er seit jeher Gegenstand intensiver Überlegungen und Erwägungen philosophischer, moralischer, soziologischer und naturwissenschaftlicher Art.

Die Wahrheit ist oft lästig

Dabei ist es zunächst wichtig, dass es selbstverständlich immer nur um eine menschliche „Konstruktion“ von Wahrheit gehen kann. Denn alle Erkenntnisse über die Welt können Menschen nur als solche, das heißt als Teile der biologischen Natur und als Teile von Gesellschaft, erlangen. Wichtig sind dabei für Thomas Fischer noch zwei Hinweise: „Zum einen, dass die Menschen im Allgemeinen nicht an der Wahrheit interessiert sind. Denn Wahrheit ist, entgegen landläufiger Behauptung, nicht per se etwas Erstrebenswertes, Angenehmes oder Gutes.“

Die Wahrheit ist oft lästig, häufig auch unangenehm, und macht ausgesprochen viel Mühe. Sie ist überdies mit einem ständigen Prozess der Kommunikation verbunden, der furchterregend sein und das subjektive Wohlbefinden stören kann. Zum anderen muss man daran erinnern, dass eine Zuständigkeit von Menschen für die Wahrheit jedenfalls in Europa noch nicht sehr lange existiert. Bis ins 15. Jahrhundert war für die Wahrheit allein Gott zuständig. Quelle: „Über das Strafen“ von Thomas Fischer

Von Hans Klumbies