Die sexuelle Revolution richtet sich gegen das Patriarchat

Die Soziologin Véronique Mottier schreibt: „Der Aufruf der freudschen Linken zur sexuellen Revolution hatte große Auswirkungen auf die linken und feministischen Bewegungen.“ Er war gegen die Unterdrückung des Kapitalismus und Patriarchat gerichtet. Es entstanden auch verschiedene Formen der Sexualtherapie, die eine Freisetzung der sexuellen Energien versprachen. Das alles geschah zwischen 1960 und 1980. In der Folge wurde die Sexualität als biologische Kraft verstanden, die von der bürgerlichen Gesellschaft unterdrückt wird. Laut Eva Illouz hatte dieses revolutionäre Verständnis der Sexualität einen tiefen und weitreichenden Einfluss auf die Gesellschaft. Dieser war sowohl für die Organisation der Wirtschaft als auch für die Familie sehr bedeutsam. Eva Illouz ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität von Jerusalem sowie Studiendirektorin am Centre européen de sociologie et de science politique de la Sorbonne.

Die Kernfamilie sollte abgeschafft werden

Das Ziel der sexuellen Revolution bestand für manche ihrer Verfechterinnen darin, die Frauen von der Tyrannei der Biologie zu befreien und die Kernfamilie abzuschaffen. Außerdem wollten sie zur polymorph-perversen Sexualität zurückkehren und Frauen und Kindern sexuell alles erlauben, was sie begehrten. Die heterosexuelle Familie galt als Quelle der Unterdrückung und des falschen Bewusstseins der Frauen. Der Mann am Ruder, die Frau in der Küche – dieses Modell war nicht mehr zeitgemäß.

Die feministischen Aktivistinnen forderten sexuelle Freiheit, Rechte für Lesben, Geburtenkontrolle und die Abtreibung auf Verlangen. Das ganze 20. Jahrhundert über bekräftigte eine breite Phalanx nachdrücklich die Forderung nach einer sexuellen Befreiung. Die Akteure kamen aus der Therapieszene, der Modeindustrie, der Medienbranche sowie der Kunstwelt. Die sexuelle Befreiung durchdrang die Konsumpraktiken aber nur deshalb so stark, weil sie sich zu einem Kernelement der Moral auswuchs.

Der Mensch braucht nichts als Freuräume

Die beiden zentralen Werte der modernen Moral waren die sexuelle Gleichstellung und die Freiheit. Sie wurden vor allem von Feministinnen, sexuell Libertären und homosexuellen Minderheiten eingefordert. Damit verwandelte sich die Sexualität in ein politisches und moralisches Projekt. Sie entwickelte sich ebenso zu einem moralischen wie konsumtiven Schlüsselmotiv der Ich-Identität. Der deutsche Sexualforscher und Soziologe Kurt Starke bietet ein gutes Beispiel dafür, wie die betonte sexuelle Freiheit in den Mittelpunkt des Selbst rückte.

Kurt Starke schreibt: „Der Mensch braucht keine Ver- und auch keine Gebote. Er braucht nichts als Freiräume.“ Aus den Ergebnissen seiner Forschungen spürte er, welch große Sehnsüchte die Menschen haben. Sie wollen ihre Emotionen nicht bremsen, sondern entfalten. Außerdem wollen sie sich verletzbar machen, weil es wunderschön ist, wenn man verletzbar ist, aber nicht verletzt wird. Zudem ist es ganz großartig, wenn man Gefühle haben darf, die chaotisch sind und das Zärtliche mehr Chancen hat als das Brutale. Quelle: „Warum Liebe endet“ von Eva Illouz

Von Hans Klumbies