Das Vertrauen befindet sich weltweit in einer Krise

Jede Studie über Vertrauen fängt mit der großen Krise an. Das einflussreiche „Edelman Trust Barometer“ formuliert 2017 unumwunden: Überall auf der Welt befindet sich das Vertrauen in einer Krise. Martin Hartmann erläutert: „Ob Unternehmen, Regierungen, Nichtregierungsorganisationen oder die Medien – fast überall leiden diese Institutionen unter einem Vertrauensschwund.“ Entsprechend dramatisch und alarmistisch sind die Formulierungen: Das „System“ sei zerbrochen. Die Führungsebenen in Wirtschaft und Politik hätten an Glaubwürdigkeit verloren. Eine Welt des Misstrauens breite sich aus. Für die Daten von 2017 gilt dabei folgende Auffälligkeit: Vor allem die allgemeine Bevölkerung verliert ihr Vertrauen, während die Daten der Meinungsführer stabil bleiben oder sogar steigen. Die Diskrepanz zwischen den Eliten und der Bevölkerungsmehrheit bleibt hoch und scheint sich sogar zu vergrößern. Martin Hartmann ist Professor für Praktische Philosophie an der Universität Luzern.

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John Searle hat die Sozialontologie begründet

Die philosophische Teildisziplin der Sozialontologie hat insbesondere John Searle begründet und salonfähig gemacht. Sie beschäftigt sich mit der Frage, warum eigentlich manche Gegenstände und Tatsachen als „sozial“ gelten. Was unterscheidet einen Mondkrater von einem Geldschein oder einem Satz. Markus Gabriel antwortet: „Geld und Sätze gibt es nur im Kontext von Gruppendynamiken. Mondkrater hingegen gibt es einfach so, jedenfalls ohne Zutun menschlicher Gruppendynamiken.“ Was aber macht Geld zu etwas Sozialem, was Mondkratern fehlt. Der italienische Philosoph Maurizio Ferraris antwortet auf diese Frage auf eine unzureichende, wenn auch aufschlussreiche Weise. Er sagt, dass etwas genau dann sozial ist, wenn es ein Dokument gibt, dank dem es existiert. Seit 2009 hat Markus Gabriel den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Erst mit den Märkten entstehen die modernen Städte

Ursprünglich bezeichnet das Deutsche mit dem Ausdruck „Markt“ den Hausiererbetrieb römischer Krämer, die seit den Zeiten Cäsars die Lande durchziehen. Allgemeiner heiß „Markt“ das öffentliche Feilbieten von Waren, der Handel oder öffentliche Verkauf, ferner der dafür reservierte große und freie Platz einer Stadt. Laut Max Weber entstehen soziologisch gesehen die modernen Städte sogar erst mit den Märkten; jede Stadt ist ein „Marktort“. Otfried Höffe stellt fest: „Wegen ihrer anthropologisch überragenden Bedeutung findet sich die Institution des Marktes in so gut wie allen Kulturen, im Orient beispielsweise als Basar.“ Spezialisierten sich die Märkte, so gibt es je nach Gegenstand den Fischmarkt, Kornmarkt oder Rindermarkt, außerdem den meist nicht ortsgebundenen Arbeits-, Geld- und Kapitalmarkt. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Die Aufklärung zielt auf den Bruch mit der Vergangenheit

Frei ist, wer in Wechselfällen und Umbrüchen des Lebens unerschütterlich und unaufgeregt bleibt. Frei sind auch diejenigen, die sich ihrer Maßstäbe sicher sind und selbstbewusst Erneuerungskraft und Reformfreude entfalten. Paul Kirchhof erläutert: „Gelassenheit wehrt sich nicht gegen das Neue, sondern vergleicht den Istzustand mit dem Reformvorhaben. Im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit soll die antike Welt wieder aufleben und auf die neue Welt der Renaissance einwirken.“ Das Mittelalter geht in das hellere Zeitalter der Aufklärung über. Die Renaissance sucht eine weltliche Kultur auszubilden. Die Reformation will das Verhältnis des einzelnen Menschen zu Gott zurückformen und erneuern. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg. Als Richter des Bundesverfassungsgerichts hat er an zahlreichen, für die Entwicklung der Rechtskultur der Bundesrepublik Deutschland wesentlichen Entscheidungen mitgewirkt.

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Die Globalisierung war ein Segen für China

Die Globalisierung fördert wechselseitige Beziehungen, und im Falle Chinas brachte sie blitzschnelle Veränderungen. An die Stelle von Wirtschaftsplänen im Rahmen einer umständlichen Entwicklungspolitik, die erst Jahrzehnte später Erfolge verhieß, traten rasch greifbare Verbesserungen in allen Lebensbereichen. Nadav Eyal nennt ein Beispiel. „Die Alphabetisierungsrate in China lag 1990 bei 78 Prozent, das heißt, Hunderte Millionen waren Analphabeten. Zwei Jahrzehnte später konnten 95 Prozent der Chinesen lesen und schreiben.“ Von 1990 bis 2017 sank die Säuglings- und Kindersterblichkeit bis zum fünften Lebensjahr in China um 83 Prozent. Nach jedem denkbaren Kriterium haben sich die Lebensumstände in China erheblich verbessert. Industrialisierung ist dabei ein Schlüsselwort. Es besteht ein deutlicher Zusammenhang zwischen industriellen Fortschritt und höherem Lebensstandard. Nadav Eyal ist einer der bekanntesten Journalisten Israels.

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Frank Berzbach kennt die Welt des Tees

Einen Raum zwischen stark religiöser Prägung, Heiligkeit und Alltag eröffnet die magische Welt des Tees. Der Teetrinker gilt in Asien als eine an der Weisheit interessierte Person, suchend und sensibel und auf die Gastfreundschaft bezogen. Und vor allem nimmt er die Ereignisse nicht zu ernst, verzweifelt nicht an der Vergänglichkeit. Frank Berzbach ergänzt: „Orte, an denen Tee getrunken wird, werden mit Schönheit infiziert oder sind von ihr geprägt. Nun lässt sich in Europa, gemessen an dieser Ästhetik der Teeräume, nichts Ähnliches finden.“ Die Teeliteratur bildet in Ostasien eine eigene literarische Gattung. Beschrieben werden daoistische und zen-buddhistische Praktiken, die auf deren Ästhetik und zugleich auf den Alltag bezogen sind. Dr. Frank Berzbach unterrichtet Psychologie an der ecosign Akademie für Gestaltung und Kulturpädagogik an der Technischen Hochschule Köln.

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Deutschland hat ein Elitenproblem

In seinem neuen Buch „Sackgasse“ rechnet Daniel Goeudevert gnadenlos mit den sogenannten Eliten ab: „Wir haben kein Unterschichten-, wir haben ein Oberschichtenproblem!“ Viele Manager und Politiker haben seiner Meinung nach noch nicht begriffen, dass das Industriezeitalter zu Ende geht. Daniel Goeudevert warnt die Eliten davor, den Wandel in die postindustrielle Ära zu verschlafen. Denn wenn sie weiterhin dem Lobbyismus nicht Einhalt gebieten und kreative Lösungsansätze blockieren, steuern die modernen Gesellschaften unweigerlich auf einen Crash zu. Exemplarisch für die gegenwärtige Krise ist der Zustand der einst so ruhmreichen Autoindustrie. Aber auch andere Schlüsselindustrien der deutschen Wirtschaft wie Chemie- und Stahlindustrie sowie die Elektrotechnik befinden sich in einer Sackgasse. Daniel Goeudevert war Vorsitzender der deutschen Vorstände von Citroën, Renault und Ford sowie Mitglied des Konzernvorstands von VW.

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Das Sein ist ein Verantwortlichsein

Tatsache ist, dass Menschen sterblich sind, dass ihr Leben endlich und ihre Zeit begrenzt ist. Dies lässt es überhaupt sinnvoll erscheinen, etwas zu unternehmen, eine Möglichkeit zu nutzen und zu verwirklichen, die Zeit auszufüllen. Viktor Frankl erläutert: „Der Tod bedeutet den Zwang hierzu. So macht der Tod erst den Hintergrund aus, auf dem unser Sein eben ein Verantwortlichsein ist.“ Deshalb erweist es sich seiner Meinung nach im Wesentlichen als relativ unerheblich, wie lange ein Menschenleben dauert. Denn seine lange Dauer muss es noch lange nicht sinnvoll machen – und seine anfällige Kürze bei weitem nicht sinnlos. Viktor E. Frankl war Professor für Neurologie und Psychiatrie an der Universität Wien und 25 Jahre lang Vorstand der Wiener Neurologischen Poliklinik. Er begründete die Logotherapie, die auch Existenzanalyse genannt wird.

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Der Konflikt hat einen Doppelcharakter

Einigkeit macht starr. Für Reinhard K. Sprenger kommt der magische Doppelcharakter des Konflikts in dieser Formulierung gut zum Ausdruck: „Konflikt ist lästig und listig, stört und hilft gleichzeitig, ist unvermeidbar und unterhaltsam. Er ärgert und erfrischt, schreckt ab wie ein Minenfeld, zieht an wie ein Magnet.“ Die Lust auf Veränderung sitzt ebenso tief wie die Furcht davor. Die Urangst vor dem Verlassenwerden hält sich die Waage mit dem bösen Vergnügen an der Zerstörung. Ein Konflikt ist also zunächst weder gut noch schlecht. Er ist. Auch wenn man den Doppelcharakter des Konflikts grundsätzlich anerkennt – überwiegt nun das Störende oder das Helfende? „Well, it depends!“, würde ein kluger Manager sagen. Reinhard K. Sprenger zählt zu den profiliertesten Managementberatern und wichtigsten Vordenkern der Wirtschaft in Deutschland.

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Die SPD stirbt

Die SPD hat laut Michael Wolffsohn ihre historische Mission erfüllt. Deshalb stirbt sie ab. Denn ein verwirklichter und sich ständig weiter entwickelnder Wohlfahrtsstaat in nämlich in Deutschland sowie im politisch westlichen Europa gelebter Alltag. Zudem gehört er zur unumstrittenen Basis fast aller Parteien. Sogar der sozialpolitische Anspruch der Anti-System-Partei AfD und vergleichbarer Rechtspopulisten Europas ist nicht wirklich bestreitbar. Auch das ist für Michael Wolffsohn ein Grund, weswegen den sozialdemokratischen Parteien ihre traditionellen Wähler in Scharen davonlaufen. Seit jeher konzentrierte sich die Sozialdemokratie aufs materielle Wohl der Menschen. Das war sozusagen ihre politische DNA. Ihr Ursprung, Seinsgrund, Werden und Wachsen sowie das der Arbeiterbewegung insgesamt war das Elend der Arbeiterschaft. Prof. Dr. Michael Wolffsohn war von 1981 bis 2012 Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München.

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Zorn entsteht oft durch eine Statusverletzung

In der von der Psychologin Carol Travis vorgelegten umfangreichen empirischen Untersuchung des Zorns finden sich überall Belege für „Kränkungen“, „Geringschätzigkeit“, „herablassendes Verhalten“ und eine „Behandlung, als hätte man keine Bedeutung“. Die Menschen sind heutzutage wie auch in früheren Zeiten ungemein besorgt um ihr Ansehen. Und sie haben eine endlose Bereitschaft, sich von Handlungen, die sie dem Anschein nach darin bedrohen, in Zorn versetzen zu lassen. Diese Art der empfundenen Herabsetzung bezeichnet Martha Nussbaum als „Statusverletzung“. Allein die Idee der Statusverletzung schließt bereits die Vorstellung einer Unrechtmäßigkeit ein. Denn Statusminderung ist gemeinhin beabsichtigt, wie schon der griechische Philosoph Aristoteles wusste. Martha Nussbaum ist Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago. Sie ist eine der einflussreichsten Philosophinnen der Gegenwart.

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Otfried Höffe fordert eine ökosoziale Marktwirtschaft

Zu den Menschenrechten gehören Rechte wie das Recht auf Eigentum und eine freie Entfaltung der Persönlichkeit. Diese schließen die freie Teilnahme am Wirtschaftsleben, dabei sowohl die Berufsfreiheit des Konsumenten als auch die Unternehmerfreiheit, ein. Otfried Höffe fügt hinzu: „Mit den negativen Freiheitsrechten nicht zufrieden, verlangt der Gedanke der Menschenrechte aber nach zusätzlichen Markteinschränkungen. Damit sich die Freiheitsvision des Marktes nicht in Unfreiheit verkehrt.“ Deshalb erweitert ein sensibles Gemeinwesen seine wirtschaftspolitische Verantwortung. Außerdem verpflichtet es sich auf das Leitbild der sozialen Marktwirtschaft. Dank dieses Leibildes ist die vor allem in West- und Nordeuropa vorherrschende Wirtschaftsgestalt zu einer Mischform von Privat- und Gemeinwirtschaft geworden. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Der moderne Mensch strebt nach Authentizität

Das Streben nach Authentizität begleitet auch die Selbstgestaltung der digitalen Subjekte und hat die paradoxe Form der performativen Authentizität. Andreas Reckwitz erklärt: „Sie ist paradox, weil die Authentizität eines Subjekts dem Wortsinne nach allein sein Selbstverhältnis betrifft: Es ist authentisch, wenn es sich nicht künstlich, sondern echt fühlt. Und das heißt: wenn es seinen eigenen Wünschen und Idealen eigensinnig folgt, notfalls gegen den Widerstand der Anderen.“ Das ist es, was das spätmoderne Subjekt will. Zugleich lebt dieses Subjekt in einer Kultur, in der diese Authentizität eine zentrale soziale Erwartung geworden ist. Das Subjekt soll authentisch sein – „Sei ganz du selbst, aber bitte sei es auch!“ Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Jeder Mensch kann sein Leben sofort ändern

Jeder Mensch kann sich zu jedem Zeitpunkt seines Lebens dafür entscheiden, fortan anders zu leben als bisher. Gerald Hüther erklärt: „Etwas bewusster vielleicht, etwas achtsamer gegenüber sich selbst und auch anderen gegenüber. Mehr im Einklang mit sich und der Natur, zuversichtlicher und auch wieder etwas neugieriger.“ Es ist den Versuch wert und auch ganz einfach. Es ist beispielsweise nicht so schwer, die Lebensmittel, die man isst, sorgfältiger auszuwählen als bisher und sich gelegentlich auch körperlich zu betätigen. Es schadet nichts, wenn man dabei ins Schwitzen gerät. Wer sich darauf einlässt, beginnt auch wieder, sich zu spüren. Und damit kann jeder Mensch noch heute beginnen. Und wer sich auf diese Weise auf den Weg macht, beim dem entwickelt sich von ganz allein auch ein anderes Lebensgefühl. Gerald Hüther zählt zu den bekanntesten Hirnforschern in Deutschland.

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Peter Beards Leben ist ein Gesamtkunstwerk

In seinem fantastischen Bildband weckt Peter Beard die Geister auf, die das 20. Jahrhundert heimgesucht haben. Zugleich besitzt der Künstler die Fähigkeit, Schweres ganz leicht erscheinen zu lassen. Owen Edwards schreibt in seinem Vorwort über die Bilder von Peter Beard folgendes: „Beards Fotos von afrikanischen Wildtieren erinnern in ihrer Reduziertheit und kristallenen Klarheit an Kriegsberichterstattung: Gefahr, Tod und alles was dazwischen lauert.“ Peter Beard gestaltete sein Leben auf dem afrikanischen Kontinent zum genialen Gesamtkunstwerk. Er stieß vor einem halben Jahrhundert in Kenia auf einen rätselhaften Garten Eden, der ihn unwiderstehlich in seinen Bann zog. Zu seinen eindrucksvollsten Bildern zählen Luftaufnahmen toter Elefanten, deren Stoßzähne noch unbeschädigt waren. Entstanden sind dabei viele Collagen aus Fotografie, Umweltaktivismus und Tagebüchern. Diese XL-Ausgabe Taschen-Verlags präsentiert die gesamte Welt des Künstlers.

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Quantengraviation ist das Forschungsfeld von Carlo Rovelli

Die seltsame Landschaft der relativistischen Physik, die Carlo Rovelli beschreibt, wird noch befremdlicher, wenn er die Quanten ins Spiel bringt. Dabei handelt es sich um die Quanteneigenschaften von Raum und Zeit. Die Disziplin, die sich mit ihren befasst, heißt „Quantengravitation“ und ist das Forschungsfeld von Carlo Rovelli. Bisher gibt es noch keine Theorie der Quantengravitation, die den Kosens der Wissensgemeinschaft genießt und durch Experimente abgesichert ist. Carlo Rovelli hat sein Forscherleben weitgehend dazu genutzt, einen Beitrag zu leisten, um eine mögliche Lösung für das Problem zu konstruieren: die Schleifen-Quantengravitation oder Loop-Theorie. Nicht alle setzen auf diese Lösung. Physiker, die an der Stringtheorie arbeiten, verfolgen zum Beispiel andere Fährten. Carlo Rovelli ist seit dem Jahr 2000 Professor für Physik in Marseille.

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Oxytocin wirkt direkt auf die Amygdala

Bei einer Frau wird bei der Geburt ihres Kindes eine ganz bestimmte Substanz ausgelöst: Oxytocin wird im Nebenhirn kurz vor der Geburt in großen Mengen produziert. Selbst Männer kriegen eine ganze Menge davon ab. Wenn sie im Kreißsaal anwesend sind, eine etwa dreifach höhere Dosis als in der Kneipe. Matthias Horx erklärt: „Oxytocin ist eine Art „Lagerfeuer-Wirkstoff“. Der hat schon unseren Vorfahren dabei geholfen, sich gemeinsam am Feuer zu entspannen, Konflikte zu dämpfen, sich miteinander gut zu fühlen.“ Oxytocin lässt auch Tiere die Nähe ihrer Artgenossen suchen und blockiert Angst- und Fluchtreaktionen. Beim Menschen wirkt es direkt auf die Amygdala, den sogenannten „Mandelkern“. Dieser steuert die Reaktionen bei Angst und in Fluchtsituationen. Matthias Horx ist der profilierteste Zukunftsdenker im deutschsprachigen Raum.

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Nur das Begehren ruft die Liebe hervor

Theodor W. Adorno nennt die Liebe als möglichen Ausweg aus der Härte und Kälte. Seit Sokrates und Platon sowie später Jacques Lacan weiß man, dass nur der Mangel das Begehren antreibt und nur das Begehren Liebe hervorrufen kann. Isabella Guanzini fügt hinzu: „Die christlichen Gleichnisse haben jahrhundertelang gezeigt, dass nur ein Subjekt, das die eigene Verletzlichkeit anerkennt, fähig ist, um Vergebung zu bitten und Vergebung zu erteilen.“ Nur ein schutzlos ausgesetztes und verletztes Subjekt, das Verlassenheit und Gnade erfahren hat, kann sich einer echten Erfahrung von Liebe öffnen. Nur die Liebe des Feindes und das Vergeben einer zugefügten Kränkung kann die tödliche Kette der Rache und des andauernden Leids unterbrechen. Isabella Guanzini ist Professorin für Fundamentaltheologie an der Universität Graz.

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Künstliche Intelligenzen eignen sich das Weltwissen an

Holger Volland weiß: „Die Sprache ist eine unerschöpfliche Ressource, um daraus neue Welten zu erschaffen und beschreiben zu können.“ Daneben besitzt die Sprache eine einzigartige Fähigkeit: Gefühle zu vermitteln, die weit über die Bedeutung von Wörtern hinausgehen. Die Schriftstellerin und Apothekerin Marie von Ebner-Eschenbach schrieb einmal: „Der Geist einer Sprache offenbart sich am deutlichsten in ihren unübersetzbaren Worten.“ Denn diese zeigen, dass es Dinge gibt, die nicht zur eigenen Kultur gehören. Deshalb braucht man für sie keinen eigenen Begriff. Auch der fremde Klang von Wörtern scheint Dingen eine neue Bedeutungsebene zu geben. Fremde Sprachen ermöglichen auch neue Formen des Denkens. Weil zum Beispiel Begriffe fehlen oder es plötzlich viele Wörter mit feinsten Unterscheidungen gibt. Das gilt für eine Sache, die im Deutschen nur durch ein Wort repräsentiert wird. Der Informationswissenschaftler Holger Volland lehrte an der Hochschule Wismar Gestaltung. Zudem kuratierte er große Ausstellungen der Gegenwartskunst in Argentinien und Deutschland.

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Ökologie ist das Nichtthema der Reaktionären

In der reaktionären Welt fehlt die Umwelt. Keine neurechte Partei befasst sich ernsthaft mit Umweltpolitik. Dabei hängen sie einem fatalen Irrglauben an: Weil es gestern keine gab, ist heute keine nötig. Roger de Weck kritisiert: „Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro und sein amerikanischer Kollege Donald Trump bilden eine Achse der Kaputtmacher. Sie bestärken einander darin, schlimme Klima- und Umweltschäden in Kauf zu nehmen.“ Für die beiden Präsidenten zählt nur die Ökonomie, an der Ökologie haben sie keinerlei Interesse. Europäische Reaktionäre üben da mehr Vorsicht, weil auch ein Teil ihrer Wählerschaft ergrünt. Dennoch gilt auch hier: „Blut und Boden“, das Blut soll rein bleiben, aber der Boden darf verseucht werden. Ökologie ist das Nichtthema der Reaktionäre. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

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Autorität gibt der Gesellschaft eine Struktur

Wer Macht hat, hat das Sagen. Diese Verbindung spiegelt sich laut Philipp Hübl in den Metaphern wider, mit denen man über Macht spricht. Wer „gehorcht“, der hört auf jemanden. Und wem etwas „gehört“, der hat Verfügungsgewalt darüber. Die etymologische und inhaltliche Nähe zwischen hören, gehören und gehorchen findet sich in vielen indogermanischen Sprachen. Nur wenn jemand Ansagen macht, hat eine arbeitsteilige Gruppe oder Gesellschaft eine Struktur. Genau das regelt das Prinzip der Autorität. Schon John Stuart Mill hat im Jahr 1859 festgestellt, dass neben Fortschritt auch Ordnung und Stabilität Grundbedürfnisse des Menschen sind. Mill zählte zu den Gründervätern des Liberalismus. Philipp Hübl ist Philosoph und Autor des Bestsellers „Folge dem weißen Kaninchen … in die Welt der Philosophie“ (2012).

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Das Nervensystem ist der Diener des Körpers

Eine gute Schätzung verlegt die Entstehung des Nervensystems ins Präkambrium, eine Periode, die vor 560 bis 600 Millionen Jahren endete. Das Leben und sogar vielzelliges Leben kam etwas drei Milliarden Jahre lang gut ohne das Nervensystem zurecht. Antonio Damasio erläutert: „Aus heutiger Sicht schufen die neu auf der Bildfläche erschienenen Nervensysteme für vielzellige Lebewesen die Möglichkeit, die Homöostase im ganzen Organismus besser zu regulieren. Und das wiederum machte eine Vergrößerung von Körper und Funktionsumfang möglich.“ Die Nervensysteme entwickelten sich als Diener für den übrigen Organismus. Oder genauer gesagt, für den Körper – und nicht andersherum. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass sie bis zu einem gewissen Grad auch heute noch Diener geblieben sind. Antonio Damasio ist Professor für Neurowissenschaften, Neurologie und Psychologie an der University of Southern California. Zudem ist er Direktor des dortigen Brain and Creative Institute.

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Katia Henriette Backhaus entwirft eine ökologische Philosophie

Katie Henriette Backhaus legt mit ihrem Buch „Nachhaltige Freiheit“ Elemente einer modernen ökologischen Philosophie vor. Die Autorin bestimmt Nachhaltigkeit als das Verhältnis von Mensch und Natur. Zudem entwickelt sie einen Mindeststandard, der irreversible ökologische Schäden verhindern soll. Die Freiheit ist ihrer Meinung nach nur dann nachhaltig, wenn sie ihre Bedingungen und Konsequenzen mit einbezieht. Auf die Frage, ob Nachhaltigkeit die Freiheit der Menschen beschneidet, antwortet Katia Henriette Backhaus mit einem klaren Nein. Es ist die ökologische Krise, von der die Bedrohung der politischen Freiheit ausgeht. Wenn die Menschheit weiterhin darüber entscheiden will, wie ein gemeinsames Leben aussehen soll, muss die Freiheit neu gedacht werden. Katia Henriette Backhaus hat an der Universität Frankfurt am Main promoviert. Sie lebt in Bremen und arbeitet als Journalistin.

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Für das Strafrecht ist die Wahrheit von größter Bedeutung

Für das Strafen und das Strafrecht ist Wahrheit in verschiedener Hinsicht von Bedeutung: als Wahrheit des Geschehens und als Wahrheit von Verantwortung. Dabei ist vor allem auch wichtig, dass diese Wahrheitserkenntnisse in die Vergangenheit gerichtet sind. Thomas Fischer erklärt: „Strafrecht versucht, vergangenes Geschehen zu rekonstruieren und einer gegenwärtigen Verantwortung zuzuweisen.“ Dabei ist offensichtlich, dass die Wiederherstellung einer unmittelbaren Wirklichkeit eines Geschehensablaufs niemals im Verhältnis eins zu eins möglich ist. Jedes von menschlichem Handel geprägte Geschehen ist ein sehr komplexer Prozess von Bedingungen, Sinn, Motivation, Ursachen, Deutungen, Zwischen- und Endergebnissen. Schon die unmittelbare, zeitgleiche Aufnahme ist nur mit großen Abweichungen und Verständnisrisiken möglich. Die Gehirne von Menschen funktionieren nicht wie standardisierte digitale Maschinen, die miteinander über ein eindeutiges „Programm“ verbunden werden könnten. Thomas Fischer war bis 2017 Vorsitzender des Zweiten Senats des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe.

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Baruch de Spinoza lehrt den Pantheismus

Die Idee, das die Liebe weniger ein individuelles Gefühl, ein allein menschlichen Prinzip oder so sei, ist alt. Am prominentesten hat das der Philosoph Baruch de Spinoza dargestellt. Peter Trawny fasst es kurz und daher grob zusammen: „Spinoza erklärt, dass es nur eine Substanz, eine Natur, einen Gott, überhaupt nur eines geben könne. Da darum Gott und Natur, das heißt die Gesamtheit aller Dinge plus ihrem Ursprung, nicht zwei sein können, ist Gott Natur, Natur Gott.“ Man hat das dann Pantheismus genannt und als eine Lehre, dass Alles Gott und Gott Alles sei, verdammt und gefeiert. Für einen Christen des 17. Jahrhunderts war das gelinde gesagt mehr als unglaubwürdig. Peter Trawny gründete 2012 das Martin-Heidegger-Institut an der Bergischen Universität in Wuppertal, das er seitdem leitet.

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