Das Vertrauen befindet sich weltweit in einer Krise

Jede Studie über Vertrauen fängt mit der großen Krise an. Das einflussreiche „Edelman Trust Barometer“ formuliert 2017 unumwunden: Überall auf der Welt befindet sich das Vertrauen in einer Krise. Martin Hartmann erläutert: „Ob Unternehmen, Regierungen, Nichtregierungsorganisationen oder die Medien – fast überall leiden diese Institutionen unter einem Vertrauensschwund.“ Entsprechend dramatisch und alarmistisch sind die Formulierungen: Das „System“ sei zerbrochen. Die Führungsebenen in Wirtschaft und Politik hätten an Glaubwürdigkeit verloren. Eine Welt des Misstrauens breite sich aus. Für die Daten von 2017 gilt dabei folgende Auffälligkeit: Vor allem die allgemeine Bevölkerung verliert ihr Vertrauen, während die Daten der Meinungsführer stabil bleiben oder sogar steigen. Die Diskrepanz zwischen den Eliten und der Bevölkerungsmehrheit bleibt hoch und scheint sich sogar zu vergrößern. Martin Hartmann ist Professor für Praktische Philosophie an der Universität Luzern.

Ein Drittel der Deutschen sind Anhänger des Populismus

Die Mehrheit der Deutschen bringt ihren Mitmenschen kein Vertrauen entgegen. Das im Auftrag der Bertelsmann Stiftung erstellte „Populismusbarometer“ kommt 2018 zu dem Schluss, dass 30,4 Prozent der Wahlberechtigten in Deutschland populistische Einstellungen haben. Sie gehen also davon aus, dass den Eliten ein „Volk“ gegenübersteht. Dieses Volk repräsentiert den wahren politischen Willen, der durch direktdemokratische Verfahren erfasst werden sollte.

Zudem weigern sie sich, innerhalb dieses „Volkes“ eine Pluralität von Meinungen und Einstellungen zu erkennen. Auch mit Blick auf die Demokratie ist offenbar eine historische Phase eingetreten. In dieser erscheinen die Grundinstitutionen der demokratischen Gesellschaft und die sie begleitenden Annahmen zunehmend fragiler, als das vorher der Fall war. Martin Hartmann stellt fest: „Selbstverständlichkeiten werden brüchig, Tabus verlieren an Wirkung, Undenkbares wird denkbar.“ Der indische Schriftsteller Pankaj Mishra spricht in einem Interview sogar davon, dass die Aufklärung ausgedient habe.

Vertrauen hält die Gesellschaft zusammen

Andere skizzieren angesichts der Krise die Alternative Aufklärung oder Untergang. Die Finanzkrise von 2008 hat zahllose Analysen hervorgebracht, die mit der Kategorie des Vertrauens arbeiten. Die weiteren Stichworte de Gegenwart sind bekannt: Polarisierung, Fake News, Filterblase, illiberale Demokratie, Putin und Trump. Dazu gesellen sich Erdogan, Orban, die AfD, die FPÖ, die Front National, der Brexit. Außerdem gehören dazu die Fünf Sterne, Neoliberalismus und die wachsende globale Ungleichheit.

Was ist so schlimm daran, wenn wir anderen nicht mehr vertrauen? Die Frage klingt rhetorisch, weil die Antwort so eindeutig zu sein scheint. Aber in einer philosophischen Studie muss sie doch gestellt werden. Die Antwort lautet häufig, dass Vertrauen die Gesellschaft zusammenhält. Diese Antwort ist für Martin Hartmann natürlich zu vage. Deswegen muss man schon angeben, worauf sich denn das Vertrauen richtet, das die Gesellschaft zusammenhält. Gilt dieses Vertrauen der Friedfertigkeit der Menschen? Ihrer Wehrhaftigkeit? Ihrer Aufrichtigkeit? Was immer man hier antwortet, dass Vertrauen kann nur in Verbindung mit seinem Gegenstand oder seinem Objekt eine Gesellschaft zusammenhalten. Quelle: „Vertrauen“ von Martin Hartmann

Von Hans Klumbies