Die SPD stirbt

Die SPD hat laut Michael Wolffsohn ihre historische Mission erfüllt. Deshalb stirbt sie ab. Denn ein verwirklichter und sich ständig weiter entwickelnder Wohlfahrtsstaat in nämlich in Deutschland sowie im politisch westlichen Europa gelebter Alltag. Zudem gehört er zur unumstrittenen Basis fast aller Parteien. Sogar der sozialpolitische Anspruch der Anti-System-Partei AfD und vergleichbarer Rechtspopulisten Europas ist nicht wirklich bestreitbar. Auch das ist für Michael Wolffsohn ein Grund, weswegen den sozialdemokratischen Parteien ihre traditionellen Wähler in Scharen davonlaufen. Seit jeher konzentrierte sich die Sozialdemokratie aufs materielle Wohl der Menschen. Das war sozusagen ihre politische DNA. Ihr Ursprung, Seinsgrund, Werden und Wachsen sowie das der Arbeiterbewegung insgesamt war das Elend der Arbeiterschaft. Prof. Dr. Michael Wolffsohn war von 1981 bis 2012 Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München.

Die SPD war für die „kleinen Leute“ da

Zunächst, vom 19. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, nahm sich die deutsche ebenso wie die Sozialdemokratie ganz allgemein, der Menschen „ganz unten“ an, des „Proletariats“. Dann kümmerte sie sich, seit der Mitte des 20. Jahrhunderts, als Volkspartei, „der“ Gesellschaft und dort um die Schwachen und weniger gut Versorgten. Aus gutem Grund gehörte zum sozialdemokratischen Auftreten seit jeher eine gehörige Portion moralischer Selbstsicherheit.

Die deutsche Sozialdemokratie konnte zudem und ebenfalls zu Recht von sich sagen: Wir waren die einzige Reichstagspartei, die im März 1933 gegen die Ermächtigung der Nationalsozialisten gestimmt hatten. Unbestreitbar konnten Sozialdemokraten sich traditionell als Vertretung der „kleinen Leute“ verstehen und darstellen. Sie waren es wahrlich. Seit den späten 1960er Jahren jedoch sind die meist westeuropäischen Gesellschaften materiell weitgehend zufriedengestellt. Andere, neue Sorgen und Nöte plagten nun die „kleinen Leute“, nicht mehr die Angst ums nackte materielle Überleben.

Ferdinand Lassalle setzte sich für das Proletariat ein

Postmaterialistisches bekam immer mehr Gewicht, und diese Entwicklung entzog der Sozialdemokratie strukturell den Boden unter den Füßen. Am Anfang der deutschen Sozialdemokratie stand ein ebenso begabter wie hitzköpfiger, idealistischer und doch pragmatischer deutscher Jude gutbürgerlicher Herkunft: Ferdinand Lassalle. Anders als der Großteil der deutschen und europäischen Bourgeoisie wollte er das materielle Los der Arbeiterschaft lindern. Dafür war er sogar bereit, mit Königen und Adel, allen voran mit Bismarck, ein „Soziales Königtum“ zu errichten.

Das widersprach natürlich der vermeintlich reinen Lehre von Karl Marx. Denn diese schloss ein Bündnis mit Monarchie, Aristokratie und natürlich auch der Bourgeoisie kategorisch aus. Wie Karl Marx wollte Ferdinand Lassalle das Los der Arbeiter beziehungsweise des Proletariats verbessern. Einig im Ziel, uneins im Weg. Sowohl Ferdinand Lassalle als auch Karl Marx waren – wie mit und nach ihnen viele andere Kommunisten, Sozialisten oder Sozialdemokraten – Bourgeois, die ihre „Klassenherkunft“ zugunsten des „Proletariats“ einsetzen. Quelle: „Tacheles“ von Michael Wolffsohn

Von Hans Klumbies

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