Der moderne Mensch strebt nach Authentizität

Das Streben nach Authentizität begleitet auch die Selbstgestaltung der digitalen Subjekte und hat die paradoxe Form der performativen Authentizität. Andreas Reckwitz erklärt: „Sie ist paradox, weil die Authentizität eines Subjekts dem Wortsinne nach allein sein Selbstverhältnis betrifft: Es ist authentisch, wenn es sich nicht künstlich, sondern echt fühlt. Und das heißt: wenn es seinen eigenen Wünschen und Idealen eigensinnig folgt, notfalls gegen den Widerstand der Anderen.“ Das ist es, was das spätmoderne Subjekt will. Zugleich lebt dieses Subjekt in einer Kultur, in der diese Authentizität eine zentrale soziale Erwartung geworden ist. Das Subjekt soll authentisch sein – „Sei ganz du selbst, aber bitte sei es auch!“ Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

Unsichtbarkeit bedeutet den digitalen Tod

Die Performanz der Authentizität findet im Internet unter verschärften aufmerksamkeitsökonomischen Bedingungen statt. Nämlich unter jenes eines Kampfes um Sichtbarkeit und Wertschätzung mit anderen Profilen, Blogs etc. Allein wenn das Subjekt auf eine authentische und interessante Weise als einzigartig wahrgenommen, das heißt sichtbar wird, hat es eine Chance, in diesem Kampf zu bestehen. Dadurch akkumuliert es dauerhaft auch Singularitätskapital, das im Spiel des Sozialen eine soziale Position und Anerkennung sichert.

Sichtbarkeit und Wertschätzung sind abhängig von der Aufmerksamkeit eines Publikums. Und die ist durch die große Zahl von Nutzern in der Kulturmaschine knapp. Andreas Reckwitz drückt dies plakativ aus: „Nur Sichtbarkeit verspricht hier soziale Anerkennung, während Unsichtbarkeit den digitalen Tod bedeutet.“ Dass dies ein Grundprinzip der Gesellschaft der Singularitäten ist, ist in entscheidendem Maße eine Folge ihrer Medientechnologien. Dabei ist das Format des Profils grundlegend für die digitale Singularisierung der Subjekte.

Das Subjekt singularisiert sich via Subjekt

Das Profil ist eine Zusammenstellung von Bild- und Textelementen. Mit ihnen versucht das digitale Subjekt seine Nichtaustauschbarkeit als besondere Persönlichkeit zu demonstrieren. Profile werden in einigen Fällen formalisiert angelegt, indem die Nutzer vorgegebene, standardisierte Rubriken ausfüllen. In anderen Fällen sind sie frei, sich ein Profil nach eigenem Gusto zu kreieren. Es ist ein Leitformat der digitalen Medien, in denen es die „ganze Persönlichkeit“ zu repräsentieren versucht. Somit avanciert es zum Ort und zum Mittel der Produktion der Identität.

Dazu kommt: Sich via Profil zu singularisieren, wird zu einer Daueraufgabe des Subjekts. Es vollzieht unablässig Singularisierungsarbeit in eigener Sache. Die Kriterien gelungener Profilierung sind in der Kulturmaschine die gleichen wie in der Ökonomie der Singularitäten. Und beide institutionellen Komplexe verstärken einander. Eine als singulär anerkannte Persönlichkeit zeichnet sich durch Originalität und Andersheit aus. Sie ist auf ungewöhnliche und komplexe Weise „sie selbst“. Das heißt, sie hat eine innere Dichte, die sie interessant macht. Quelle: „Die Gesellschaft der Singularitäten“ von Andreas Reckwitz

Von Hans Klumbies

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