Frei ist, wer in Wechselfällen und Umbrüchen des Lebens unerschütterlich und unaufgeregt bleibt. Frei sind auch diejenigen, die sich ihrer Maßstäbe sicher sind und selbstbewusst Erneuerungskraft und Reformfreude entfalten. Paul Kirchhof erläutert: „Gelassenheit wehrt sich nicht gegen das Neue, sondern vergleicht den Istzustand mit dem Reformvorhaben. Im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit soll die antike Welt wieder aufleben und auf die neue Welt der Renaissance einwirken.“ Das Mittelalter geht in das hellere Zeitalter der Aufklärung über. Die Renaissance sucht eine weltliche Kultur auszubilden. Die Reformation will das Verhältnis des einzelnen Menschen zu Gott zurückformen und erneuern. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg. Als Richter des Bundesverfassungsgerichts hat er an zahlreichen, für die Entwicklung der Rechtskultur der Bundesrepublik Deutschland wesentlichen Entscheidungen mitgewirkt.
Die Renaissance will den antiken Geist wiederbeleben
Die Aufklärung geht das Wagnis der individuellen Vernunft ein. Diese befreit den Menschen und löst das Denken in Wissenschaft und Gesellschaft aus den Fesseln des Herkömmlichen. Doch bleibt diesen Epochenwechseln gemeinsam, dass die Reformbewegungen aus ihrer Herkunft aufbrechen und ausbrechen wollen. Renaissance und Reformation knüpfen bewusst und erwartungsvoll an die Vergangenheit an. Die Aufklärung zielt eher auf den Bruch mit der Vergangenheit. Der Mensch gewinnt Selbstbewusstsein, Selbstsicherheit und Mut in sich selbst.
Im Umbruch vom Mittealter zur Neuzeit bemüht sich die Renaissance, die Wiedergeburt des antiken Geistes zu organisieren. Der Humanismus, die wesentliche Geistesbewegung der Renaissance, sucht das Bildungsideal und Selbstverständnis des dank seiner Bildung in sich ruhenden, unerschütterlichen, gemeinschaftsverantwortlichen Menschen für ihre Gegenwart zu erschließen. Zudem will sich der Humanismus von theologischen Gebundenheiten und einer kraft Geburt vermittelten Ständeordnung befreien.
Der Humanismus betont den freien Willen des Menschen
Paul Kirchhof erklärt: „Bildung und Freiheit sollen die schöpferische Kraft und das Mitgefühl des einzelnen Menschen zur Entfaltung bringen.“ Erasmus von Rotterdam betont den freien Willen des Menschen, der an der naturgegebenen Entfaltung seiner Bildung und Freiheit mitarbeiten kann. Der Humanismus ist eine umfassende, alle Lebensbereiche der Renaissance durchdringende Bildungsbewegung, bleibt aber Anliegen einer Elite der Gebildeten. Die Renaissance will eine mystisch-geistige Formensprache des Mittealters durch weltlich mathematisch-wissenschaftliche Klarheit ablösen.
In der Kunst such die Renaissance künstlerische Vollkommenheit, Harmonie und Wirklichkeitsnähe zu erreichen. Künstler wie Leonardo da Vinci und Albrecht Dürer knüpfen an antike Kunsterfahrungen der Perspektive und Geometrie an, wollen diese Vorbilder wiederbeleben, vor allem aber auf ihnen aufbauen und sie schließlich überragen. Der nackte menschliche Körper wurde in der Malerei und der bildenden Kunst wie in der Antike zum Ausdruck natürlicher Schönheit, körperlicher Vollkommenheit, idealisierter Proportionen, auch zum Symbol der Unschuld. Quelle: „Beherzte Freiheit“ von Paul Kirchhof
Von Hans Klumbies