Das Denken ist auf der tieferen Ebene ein dezidiert analoger Vorgang. Bevor es die Welt in Begriffen fasst, ist es von ihr ergriffen, ja affiziert. Byung-Chul Han ergänzt: „Das Affektive ist wesentlich für das menschliche Denken. Das erste Denkbild ist die Gänsehaut. Künstliche Intelligenz (KI) kann schon deshalb nicht denken, weil sie keine Gänsehaut bekommt.“ Ihr fehlt die affektiv-analoge Dimension, die Ergriffenheit, die von Daten und Informationen nicht eingeholt werden kann. Das Denken geht von einer Ganzheit aus, die den Begriffen, Vorstellungen und Informationen vorgelagert ist. Es bewegt sich bereits in einem „Erfahrungsfeld“, bevor es sich den in diesem vorkommenden Gegenständen und Tatsachen eigens zuwendet. Das Seiende im Ganzen, dem das Denken gilt, ist zunächst in einem affektiven Medium wie Stimmung erschlossen. Die Bücher des Philosophen Byung-Chul Han wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.
Die Ergriffenheit geht dem Begreifen voraus
Martin Heidegger schreibt: „Die Stimmung hat je schon das In-der-Welt-sein als Ganzes erschlossen und macht ein Sichrichten auf … allererst möglich.“ Bevor das Denken sich auf etwas richtet, befindet es sich bereits in einer Grundstimmung. Byung-Chul Han erklärt: „Diese Befindlichkeit zeichnet das menschliche Denken aus. Die Stimmung ist kein subjektiver Zustand, der auf die objektive Welt abfärbt. Sie ist die Welt. Das Denken artikuliert die in einer Grundstimmung erschlossene Welt nachträglich in Begriffen.“
Die Ergriffenheit geht dem Begreifen, der Arbeit an Begriffen voraus. Martin Heidegger schreibt: „Das Philosophieren bestimmen wir als begreifendes Fragen aus einer wesenhaften Ergriffenheit des Daseins. Eine solche Ergriffenheit aber ist nur möglich aus und in einer Grundstimmung des Daseins.“ Erst die Grundstimmung gibt zu denken. Martin Heidegger fährt fort: „Alles wesentliche Denken verlangt, dass seine Gedanken und Sätze jedesmal neu wie Erz aus der Grundstimmung herausgeschlagen werden.“
Der Künstlichen Intelligenz fehlt der Geist
Der Mensch als „Dasein“ ist immer schon in eine bestimmte Welt geworfen. Die Welt ist ihm als eine Ganzheit vorreflexiv erschlossen. Byung-Chul Han erläutert: „Das Dasein als Gestimmt-sein geht dem Bewusst-sein voraus. In seiner anfänglichen Ergriffenheit ist das Denken gleichsam außer sich. Die Grundstimmung versetzt es in ein Draußen.“ Künstliche Intelligenz denkt nicht, weil sie nie außer sich ist. Geist bedeutet ursprünglich Außer-sich-sein oder Ergriffenheit.
Byung-Chul Han betont: „Künstliche Intelligenz mag sehr schnell rechnen, aber ihr fehlt der Geist. Fürs Rechnen wäre die Ergriffenheit nur eine Störung.“ Analog heißt entsprechend. Das Denken als analoger Vorgang entspricht einer Stimme, die es be-stimmt und durch-stimmt. Das Denken wird nicht von diesem oder jenem Seienden, sondern vom Seienden im Ganzen, von dem Sein als Seienden angesprochen. Martin Heideggers Phänomenologie der Stimmung veranschaulicht den grundsätzlichen Unterschied zwischen menschlichem Denken und Künstlicher Intelligenz. Quelle: „Undinge“ von Byung-Chul Han
Von Hans Klumbies