Theodor W. Adorno nennt die Liebe als möglichen Ausweg aus der Härte und Kälte. Seit Sokrates und Platon sowie später Jacques Lacan weiß man, dass nur der Mangel das Begehren antreibt und nur das Begehren Liebe hervorrufen kann. Isabella Guanzini fügt hinzu: „Die christlichen Gleichnisse haben jahrhundertelang gezeigt, dass nur ein Subjekt, das die eigene Verletzlichkeit anerkennt, fähig ist, um Vergebung zu bitten und Vergebung zu erteilen.“ Nur ein schutzlos ausgesetztes und verletztes Subjekt, das Verlassenheit und Gnade erfahren hat, kann sich einer echten Erfahrung von Liebe öffnen. Nur die Liebe des Feindes und das Vergeben einer zugefügten Kränkung kann die tödliche Kette der Rache und des andauernden Leids unterbrechen. Isabella Guanzini ist Professorin für Fundamentaltheologie an der Universität Graz.
Liebe und Zärtlichkeit gehören zusammen
Nur aus der Zärtlichkeit als besonderes Gespür für die Anzeichen der Verletzlichkeit kann eine Liebe für den anderen entstehen. Die Verbindung zwischen Liebe und Zärtlichkeit ist unbestreitbar. Sie ist sowohl für die erotische Erfahrung als auch für die mütterliche Liebe wesentlich. Zudem verweist sie auf die Möglichkeit der Zuneigung zum anderen. Das bedeutet, sich dem anderen ohne jede aggressive oder beleidigende Absicht im grundlegenden Bewusstsein des gemeinsamen Mangels zu nähern.
Um dem Bösen zu widerstehen, ist ein weiches Wesen vonnöten. Das ist die härteste Herausforderung, vor die die Menschheit jemals gestellt wurde. Auch Theodor W. Adorno sieht, dass nur die Liebe die Zivilisation vor ihren schlimmsten Auswüchsen retten kann. Theodor W. Adorno schränkt allerdings ein: „Ich möchte nicht die Liebe predigen. Sie zu predigen halte ich für vergeblich: keiner hätte auch nur das Recht, sie zu predigen, weil der Mangel an Liebe ein Mangel aller Menschen ist ohne Ausnahme, so wie sie heute existieren.“
Die Liebe zu predigen ist ein paradoxes Unterfangen
Theodor W. Adorno fährt fort: „Liebe predigen, setzt in denen, an die man sich wendet, bereits eine andere Charakterstruktur voraus als die, welche man verändern will. Denn die Menschen, die man lieben soll, sind ja selber so, dass sie nicht lieben können, und darum ihrerseits keineswegs so liebenswert.“ Die Liebe zu predigen ist also ein paradoxes Unterfangen. Einerseits geht es natürlich um die grundlegende Frage des Schicksals des menschlichen Geistes.
Im Vergleich zur Liebe ist alles andere lediglich Geschäftigkeit und ein Sichabplagen. Das erhält einen Menschen zwar am Leben, kann ihn jedoch nicht wirklich retten. Andererseits betont Theodor W. Adorno, wie fragwürdig es ist, jemandem Liebe zu predigen. Denn dieser ist aufgrund seiner Lebensbedingungen gar nicht in der Lage, sie anzunehmen. Das macht das gesamte Unterfangen noch grotesker. Letztlich sind alle Menschen fragwürdige Subjekte und Objekte der Liebe. Sie sind unfähig, ihrer Wahrheit und Ewigkeit gerecht zu werden. Quelle: „Zärtlichkeit“ von Isabella Guanzini
Von Hans Klumbies