John Searle hat die Sozialontologie begründet

Die philosophische Teildisziplin der Sozialontologie hat insbesondere John Searle begründet und salonfähig gemacht. Sie beschäftigt sich mit der Frage, warum eigentlich manche Gegenstände und Tatsachen als „sozial“ gelten. Was unterscheidet einen Mondkrater von einem Geldschein oder einem Satz. Markus Gabriel antwortet: „Geld und Sätze gibt es nur im Kontext von Gruppendynamiken. Mondkrater hingegen gibt es einfach so, jedenfalls ohne Zutun menschlicher Gruppendynamiken.“ Was aber macht Geld zu etwas Sozialem, was Mondkratern fehlt. Der italienische Philosoph Maurizio Ferraris antwortet auf diese Frage auf eine unzureichende, wenn auch aufschlussreiche Weise. Er sagt, dass etwas genau dann sozial ist, wenn es ein Dokument gibt, dank dem es existiert. Seit 2009 hat Markus Gabriel den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

Die gesamte Gesellschaft dreht sich um Dokumente

Dokumente sind dabei Spuren, die Institutionen in der Wirklichkeit hinterlassen. Sie hängen zwar mit den Absichten von Akteuren zusammen, gehen über diese aber weit hinaus. Aus der Sicht von Maurizio Ferraris dreht sich die gesamte Gesellschaft um Dokumente. Alltäglich erfährt man das durch die Anhäufung von Zetteln im Portemonnaie und die unzähligen dokumentierten Transaktionen, die man täglich vollzieht. Diese sind sozusagen der Klebstoff der Gesellschaft.

Dokumente manchen die Gesellschaft zu dem, was sie ist, und man kann sie effektiv nur mit neuen Dokumenten bekämpfen. Diese Theorie hat für Markus Gabriel eine Reihe von Vorzügen gegenüber der ursprünglichen Fassung von John Searle. Denn der bindet das Soziale nämlich an die vom ihm sogenannte „kollektive Intentionalität“. Was im Übrigen eine zirkuläre Definition ist, weil „kollektiv“ nur ein anderes Fremdwort für „sozial“ ist. John Searle meint, dass es Geld nur deshalb noch gibt, weil sich die Menschen alle irgendwie dauernd darauf einigen, es nicht abzuschaffen.

Ohne Dokumente verschwinden soziale Tatsachen

Letztlich scheitern sowohl John Searle als auch Maurizio Ferraris daran, dass sie trotz ihrer Verpflichtung auf einen Realismus an einer veralteten konstruktivistischen Vorstellung festhalten. Beide glauben nämlich, dass soziale Tatsachen ein für alle Mal verschwinden, wenn niemand mehr an sie glaubt. Beziehungsweise, wenn alle Dokumente ausgelöscht werden. Diese Auffassung hat die folgende Konsequenz, die Maurizio Ferraris auch in mehreren Diskussionen öffentlich eingeräumt hat.

Wenn man zum Beispiel alle Dokumente auslöscht, welche die Existenz der altägyptischen Kultur belegen, dann hat es sie ihm zufolge auch niemals gegeben. Es gibt sie demnach nur abhängig von den Dokumenten, die sie belegen. Ohne Belege soll es sie auch nicht in der Vergangenheit gegeben haben. Das Problem dieser Positionen in der Sozialontologie besteht laut Markus Gabriel darin, dass sie das Kriterium dafür, dass die Menschen soziale Tatsachen erkennen können, mit diesen Tatsachen selber verwechseln. Quelle: „Der Sinn des Denkens“ von Markus Gabriel

Von Hans Klumbies

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