Freiheit braucht beherzte Gelassenheit

Freiheit ist für Paul Kirchhof stets ein Wagnis. Denn die freie Entscheidung ist nicht immer richtig. Sie folgt ohnehin selten den Kategorien Richtig oder Falsch, entspricht aber dem Willen des Entscheidenden. Paul Kirchhof ergänzt: „Würde er sein Leben der grüblerischen Selbstvergewisserung über den gewählten Lebensweg widmen, tauschte er Freiheitsmut gegen Freiheitsängstlichkeit, Entschlossenheit gegen Zögerlichkeit, Selbstgewissheit gegen Unsicherheit, Freiheit gegen Antriebslosigkeit.“ Die Freiheit würde den Menschen überfordern, wenn er nicht Entschiedenes als Vergangenes hinter sich lässt, Gegenwärtigem selbstbewusst begegnet, Zukünftiges erhofft, aber nicht mit verlässlicher Gewissheit voraussehen will. Freiheit braucht beherzte Gelassenheit. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg. Als Richter des Bundesverfassungsgerichts hat er an zahlreichen, für die Entwicklung der Rechtskultur der Bundesrepublik Deutschland wesentlichen Entscheidungen mitgewirkt.

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Wach ist mächtiger als Dumpf

Dumpf ist mächtig, aber Wach ist noch mächtiger. Dumpf will keine unabhängigen, individuellen Gedanken. Wach steht auf die eigenen kreativen Ideen aller, und tut alles, um das Selbstdenken zu teilen und zu vernetzen. Rebekka Reinhard fügt hinzu: „Wach arbeitet individuell-sozial wider die verblödete Vernunft. Es öffnet Filterblasen und Echokammern nicht mit der Brechstange, sondern mit einer spielerischen Haltung.“ Wach rebelliert gegen die Versteifung und handelt, bevor es bereit dazu ist. Es fordert nicht Heroismus, sondern „spielt“ den Helden – und bewirkt eben dadurch Großes. Die Logik des Computers ist zu Dumpf, um Wach zu kapieren. Wach ist ein Kind des philosophischen Pragmatismus. Wie Skinners behavioristische Technologie ist die pragmatische Methode eine höchst einflussreiche amerikanische Erfindung. Die Philosophin Rebekka Reinhard ist seit 2019 stellvertretende Chefredakteurin des Magazins „Hohe Luft“.

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Das Wissen hat die Welt zum Besseren verändert

Der Glaube und das Wissen verlangen im Rahmen der notwendigen Autorität die absolute Unterwerfung der Menschen. Ein Hinterfragen der „Wahrheiten“ ist oft nicht erwünscht. Ille C. Gebeshuber stellt fest: „Natürlich hat das System Wissen dem System Glauben, das Gott in den Mittelpunkt stellt, einiges voraus.“ Die Einführung des auf der Natur aufbauenden wissenschaftlichen Systems erlaubte nicht nur die Schaffung einer gesicherten Wissensbasis, sondern auch die Vernetzung des Wissens. Die gesellschaftliche Entwicklung, die auf diesem Wissen aufbaute, führte zum Umdenken der Renaissance. Das Interesse der Menschen an ihrem Umfeld wuchs, und wer um die Dinge weiß, den kümmern sie. Das Wissen hat, durch den mit ihm zusammenhängenden Humanismus, die Welt zum Besseren verändert. Ille C. Gebeshuber ist Professorin für Physik an der Technischen Universität Wien.

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Hegel ist ein Philosoph des Politisches

Georg Wilhelm Friedrich Hegel ist offensichtlich ein Philosoph des Politischen, und so wurde und wird er auch rezipiert. In der Gegenwart gibt es zudem ein starkes Interesse an seiner Rechtsphilosophie. In dieser sehen viele ein probates Mittel zur Überwindung der Krise der liberalen Demokratien. Patrick Eiden-Offe stellt fest: „Das ganze 20. Jahrhundert hindurch zog man Hegel als Ratgeber in Krisen- Umbruchssituationen heran.“ Der große marxistische Literaturwissenschaftler Hans Mayer hat Hegels „Phänomenologie des Geistes“ immer wieder gelesen: „Nicht als berühmtes Buch der Philosophiegeschichte, sondern als Einübung beim Verstehen meiner jeweiligen Gegenwart“. Es geht also nicht darum, die Begriffe Hegels auf die eigene Gegenwart in Gebrauch zu nehmen. Sondern es geht darum, die Gegenwart erst einmal als eine unverstandene anzuerkennen und sich ihr dann in einem langen Prozess anzunähern. Patrick Eiden-Offe ist Literatur- und Kulturwissenschaftler.

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Im Universum sind keine Fallen aufgebaut

Die Menschen dehnen ihren Erkenntnishorizont so weit wie jemals möglich aus. Das bedeutet, dass sie unterstellen, dass das Universum sich weiterhin als mehr oder weniger erkennbar für sie herausstellt. Markus Gabriel fügt hinzu: „Wir erwarten nicht, dass im Universum Fallen eingebaut sind, die es unmöglich machen, Weiteres über es herauszufinden.“ Und selbst wenn es solche Fallen gäbe, könnten die Menschen diese physikalisch nicht entdecken – das soll ja gerade der Trick solcher Fallen sein. Markus Gabriel nennt dies das „Prinzip der Erkennbarkeit“. Das Universum ist demnach mindestens in dem Maße erkennbar, in dem die Menschen es naturwissenschaftlich erfasst haben. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Das Vertrauen ist selbst in einer Krise

Vertrauen reagiert nicht auf eine Krise, indem es in Misstrauen kippt. Denn ist selbst Teil einer Krise. Martin Hartmann nennt ein Beispiel: „Wie umfassend die Zweifel an alten Gewissheiten geworden sind, können auch die Diskussionen zum Klimawandel zeigen.“ Natürlich gibt es eine ganze Menge Evidenzen, die nahelegen, dass menschliche Einflüsse das Erdklima erwärmen. Wirkliche Gewissheit gibt es aber, so behaupten manche, nicht. Das ist die Chance der Leugner und natürlich auch der Verschwörungstheoretiker. Beide leben weniger vom kalkulierbaren Risiko als von der prinzipiellen Ungewissheit, von der sie sich ernähren. Man kann Verschwörungstheorien bekanntlich nicht widerlegen, und zwar nicht nur, weil sie meist von paranoiden Charakteren getragen werden. Diese haben keinerlei Interessen an einer Belehrung. Martin Hartmann ist Professor für Praktische Philosophie an der Universität Luzern.

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Die Raumzeit existiert in ihrer Gesamtheit

Die meisten Menschen nennen diejenigen Dinge „real“, die jetzt, in der Gegenwart existieren. Nicht das jedoch nennen sie „real“, was vor einiger Zeit existiert hat oder in der Zukunft existieren wird. Sie sagen, dass die Dinge in der Vergangenheit real „waren“ oder dass es die in der Zukunft „sein werden.“ Sie sagen aber nicht, dass sie real sind. Carlo Rovelli erläutert: „Die Philosophen nennen Präsentismus die Vorstellung, dass nur die Gegenwart real sei.“ Real seien aber nicht die Vergangenheit und die Zukunft, denn die Realität entwickelt sich von einer Gegenwart zur nächsten. Diese Art Denken funktioniert nur dann, wenn Gegenwart global definiert wird. Nicht aber, wenn man sie nur für das nähere Umfeld eingrenzt. Seit dem Jahr 2000 ist Carlo Rovelli Professor für Physik an der Universität Marseille.

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Ideen verbesserten die Umstände des Menschseins

Die Umstände des Menschseins verbesserten sich nicht dank eines kosmischen Ereignisses oder eines Geschenks der Götter. Es waren Ideen, die alles veränderten. Ideen, die der wissenschaftlichen Revolution und der Aufklärung zugrunde lagen. Die Rettung der Menschheit aus dem erschütternden Elend ihrer Vorväter kam mit der Anerkennung von Gedankenfreiheit. Ebenso wichtig war die Befreiung von Knechtschaft und Aberglaube. Dazu kam noch die Zerschlagung des kirchlichen Monopols durch das Wissen und die Achtung der Autonomie des Individuums. Nadav Eyal ergänzt: „Die Werte der Aufklärung, darunter Freiheit und Gerechtigkeit, bildeten die Grundstein für den Aufbau sozialer Einrichtungen und den Schutz privaten Eigentums.“ Sie brachten einen erheblichen Fortschritt in die Lebensumstände der Menschen. Nadav Eyal ist einer der bekanntesten Journalisten Israels.

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Jeder Mensch kann Neues hervorbringen

Jeder Mensch sollt seine Talente und all seine harte Arbeit dafür einsetzen, um etwas Neues zu erschaffen. Und es gibt wahrlich noch viel zu tun. In so vielen Bereichen herrscht immer noch dringender Bedarf an kreativen, innovativen Lösungsansätzen. Als Beispiele nennt Markus Hengstschläger das Klima, die Armut, den Hunger, die Bildung, die Gesundheit, die Menschenrechte und vieles mehr: „Bei allen Komponenten die das Überleben der Menschen gefährden, tritt global immer mehr, aber auch immer noch zu wenig Übereinstimmung ein.“ Zum Beispiel bei politischen oder wirtschaftlichen Fragestellungen gibt es keine globale Zusammenarbeit, keine gemeinsame Identität oder Loyalität. Die Frage, was denn nun das Bessere wäre, wird nicht selten global und lokal kontrovers diskutiert. Professor Markus Hengstschläger ist Vorstand des Instituts für Medizinische Genetik an der MedUniWien.

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Freiheit ist tief im Leben verankert

Verschiedene Freiheitsaspekte sind für die Moderne wesentlich. Dazu zählt die Gedankenfreiheit, die jenseits von Autoritäten selbst zu denken erlaubst. Sie beschert als Freiheit von Wissenschaft und Forschung diesen eine nie nachlassende Blüte. Und jene Freiheit der Person, die sich mit den anderen Freiheitsbereichen, etwa der sozialen und politischen Freiheit, nicht zufriedengibt, sondern eine „Willensfreiheit“ innere Freiheit meint. Otfried Höffe fügt hinzu: „Zu den Merkwürdigkeiten unserer Zeit gehört, dass sich die erstgenannte Freiheit gegen die zweite wendet. Denn im Rahmen der Forschungsfreiheit werden gegen die Annahme der inneren, personalen Freiheit Einwände laut.“ Zunächst sind es Philosophen, später Einzelwissenschaftler, die sich der Annahme, der Mensch sei frei, widersetzen und die personale Freiheit rundum leugnen. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Filter beeinflussen die Wahrheit

Was eine körperliche Misshandlung ist, so scheint es, weiß doch jeder. Immer wieder erstatten Menschen Strafanzeigen wegen Körperverletzung, weil die Musik zu laut oder der Nachbarsgrill zu stinkend war. In solchen Fällen fallen die Antworten schon weniger sicher aus. Und warum das Überfliegen eines Wohngebiets zum Start von Großraumflugzeugen keine tatbestandliche „Misshandlung“ ist, weiß man erst recht nicht. Thomas Fischer stellt fest: „Es sind also bereits die strafrechtlichen Tatbestände, die einen ersten Filter vor die Feststellung von Wahrheit setzen.“ Ein entscheidender Filter der Wahrheit ist dann das Strafverfahren, und zwar durch seine formelle Struktur selbst. Eine Strafanzeige oder eine Verfahrenseröffnung durch die Staatsanwaltschaft führt in der Praxis dazu, dass ein „Sachverhalt aufgeklärt“ wird. Thomas Fischer war bis 2017 Vorsitzender des Zweiten Senats des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe.

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Platon verficht eine klare Ordnung des Diskurses

Das Theater setzt Gefühle frei und schafft sogar Momente der Empathie mit dem Abscheulichen. Es steuert, kommentiert, kontrolliert diese Gefühle, indem es mit ihnen artistisch jongliert. Jürgen Wertheimer stellt fest: „Wie alle wichtigen Spiele ist auch dieses ein sehr ernstes Spiel, wenngleich kein Spiel auf Leben und Tod. Stattdessen „nur“ eine Simulation – eine Simulation, in der es um Leben und Tod anderer geht.“ Aber genau deshalb konnte man in den Theatern Griechenlands gezielt Grenzen überschreiten. Schon damals nicht ohne den massiven Widerstand derer, die in einem solchen Spiel mit dem Feuer der Phantasie und der Emotionen Gefahren für die gesellschaftliche Ordnung sahen. Kein geringerer als Platon (428 – 348 v. u. Z.) war ein Verfechter einer klaren Ordnung des Diskurses. Jürgen Wertheimer ist seit 1991 Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Komparatistik in Tübingen.

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Friedrich Nietzsche predigt eine andere Vernunft

Friedrich Nietzsches Zarathustra sagt zu den Ursprüngen der christlichen Metaphysik folgendes: „Kranke und Absterbende waren es, die verachteten Leib und Erde und erfanden das Himmlische und die erlösenden Blutstropfen.“ Diese Stelle nimmt Bezug auf das Neue Testament. Zarathustra fährt fort: „Allzu gut kenne ich diese Gottähnlichen: sie wollen, dass an sie geglaubt werde, und Zweifel Sünde sei.“ Christian Niemeyer stellt die provokanteste These Friedrich Nietzsches vor: „Die wahre Welt haben wir abgeschafft: welche Welt bleibt übrig? Die scheinbare vielleicht? … Aber nein! Mit der wahren Welt haben wir auch die scheinbare abgeschafft!“ Zu dieser Aussage aber will ja nicht recht passen, dass Friedrich Nietzsche noch 1882, in gleichsam „optimistischer“ Manier, zur Entdeckung „anderer“ Welten aufgerufen hatte. Der Erziehungswissenschaftler und Psychologe Prof. Dr. phil. habil. Christian Niemeyer lehrte bis 2017 Sozialpädagogik an der TU Dresden.

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Das Zauberwort der Aufklärung war Vernunft

Der Mensch des 21. Jahrhunderts glaubt an die Macht der Vernunft, Wissenschaft und Objektivität. Er will das Chaos ordnen und Licht ins Dunkel bringen. Lang ist der Arm Immanuel Kants (1724 – 1804) und der Aufklärung des 18. Jahrhunderts. Rebekka Reinhard konkretisiert: „Immanuel Kant stiftete einst zum selbstständigen Vernunftgebrauch an, zum Hinterfragen überkommener Theorien, Dogmen und Autoritäten.“ Die Freiheit, von der Vernunft öffentlich Gebrauch zu machen, auf die der Philosoph so großen Wert legte, liegt auch heute voll im Trend. Als Immanuel Kant zum Selbstdenken ermutigte, dachte er natürlich nicht an Stammtische oder Facebook-Gruppen, wo jedes „Wir“ andere Probleme und Lösungen durchnudelt. Er hatte vielmehr eine „Weltbürgerschaft“ freier, gleicher, brüderlich gesinnter Geistesmenschen mit Spaß am offenen Meinungsaustausch im Sinn. Die Philosophin Rebekka Reinhard ist seit 2019 stellvertretende Chefredakteurin des Magazins „Hohe Luft“.

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Fotoalben bedürfen mündlicher Erklärungen

Lange vor dem Zeitalter der sozialen Medien waren Fotos von einem selbst selten. Sie retteten einige denkwürdige Augenblicke vor dem Vergessen und schluckten die Farbe und das Licht des Lebens, das sie verkörperten. Man bewahrte sie in dicken Alben auf, die man selten durchblätterte und noch seltener herzeigte. Als wären es heilige Bücher, die man nur Eingeweihten enthüllen durfte. Emanuele Coccia erklärt: „Diese Alben enthielten normalerweise nichts Schriftliches, sondern bedurften langer mündlicher Erklärungen. Denn sich in sie zu vertiefen, bedeutete jedes Mal, eine Evidenz wiederzuentdecken, die wir lieber vergessen würden.“ Auf diesen Seiten nahm das Leben die Gestalt einer langen Parade autarker Silhouetten an, die breite dunkle Schattenkränze voneinander trennten. Emanuele Coccia ist Professor für Philosophiegeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris.

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Stummes Wissen durchzieht den Alltag

Künstliche Intelligenz baut keine Welt auf und schon gar nicht das Gefühl, sich in einer solchen Welt zu befinden. Doch gerade dieses „In-der-Welt-Sein“ ist elementar für alles menschliche Erleben. Der deutsche Philosoph Martin Heidegger hat das schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert gezeigt. Von hier aus unterscheiden Menschen, was für sie relevant ist und was nicht. Richard David Precht stellt fest: „Eine riesige Menge stummen Wissens durchzieht unseren Alltag, bestimmt unsere Handlungen und unsere Sprache. Bedeutungen werden nicht logisch erschlossen, sondern dem Kontext abgelauscht. Unser Denken hat einen feinen, gesamtkörperlichen Sinn für Stimmungen, Zwischentöne und komplexe Zusammenhänge.“ Jedes Thema erscheint einem Menschen in einem Horizont von persönlichem und kulturellem Vorwissen. Der Philosoph, Publizist und Autor Richard David Precht zählt zu den profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.

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Erfolge schlagen eine Schneise ins Chaos

Erfolg zu haben ist für fast alle Menschen eindeutig gut. Rebekka Reinhard stellt fest: „Wenn Sie erfolgreich sind, erscheint ihnen die Welt hell und freundlich. Jeder Ihrer Erfolge schlägt eine Schneise ins Chaos und gibt Ihnen das Gefühl, die Dinge im Griff zu haben.“ Dass man Erfolg will und gefälligst auch zu wollen hat, ist jedoch kein Naturgesetz. Der Wille zum Erfolg wächst erst aus den Gewohnheiten des Menschen, sich selbst zum Subjekt zu erklären und den Erfolg zum Subjekt. „Subjekt“ ist aktiv, „Objekt“ ist passiv – so scheint es jedenfalls. Das Subjekt macht sich Gedanken, entwirft einen Plan und strengt sich an, um das Objekt in Besitz zu nehmen. Die Philosophin Rebekka Reinhard ist seit 2019 stellvertretende Chefredakteurin des Magazins „Hohe Luft“.

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Die Idee der Technik entstand in Griechenland

Der Funktionalismus ist ein unglückliches Erbe der altgriechischen, von Platon und Aristoteles höchstpersönlich eingeführten Idee der Technik. Markus Gabriel erläutert: „Platon und Aristoteles bezeichnen diejenigen Funktionen, die zwei physikalisch verschiedene Dinge zu Dingen derselben Art machen, als Idee.“ Was man heute als Funktion bezeichnet, entspricht einer abgespeckten Version der platonisch-aristotelischen Idee. Aristoteles hat die Überlegung dahingehend konkretisiert, dass er den Begriff einer Funktion, eines telos, entwickelt hat. Er unterfüttert ihn mit der Lehre von den vier Ursachen. Die Technik ist heutzutage die Realisierung von Ideen, durch die man Dinge produziert, die nicht schon von Natur aus da waren. Seit 2009 hat Markus Gabriel den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Der spielende Mensch ist der Urtyp der Künstlers

Volker Gerhardt weiß: „Platon erkennt schon in einem seiner frühen Dialoge im spielenden Menschen den Urtypus des Künstlers. Das Spiel und die Kunst stehen in enger Verbindung.“ Das gilt bis hin zu Immanuel Kants Rede vom „freien Spiel“ der Einbildungskraft, die das Erleben des Schönen und Erhabenen ermöglicht. Diese Formulierung beschränkt sich auf das Zusammenwirken von Anschauung und Verstand. Dennoch hat sie Friedrich Schiller zu einer poetischen Definition des Menschen inspiriert, die zum geflügelten Wort geworden ist: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ Schon Friedrich Schiller hätte bereits vom homo ludens sprechen können. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Die anderen sind die größte Gefahr für das Glück

Die Mitmenschen, nach deren Gesellschaft man sich sehnt, sind zugleich die größte Gefahr für das eigene Glück. Sie wecken vielfältige Begehrlichkeiten und Sehnsüchte. Der Weise zieht sich auf sich selbst zurück, er ist mit sich allein. Das heißt für Seneca allerdings nicht, dass er sich von der Gesellschaft absondert. Albert Kitzler erläutert: „Wie für Aristoteles ist auch für Seneca der Mensch ein soziales Wesen, das auf Gemeinschaft und Miteinander angewiesen und ausgerichtet ist. Doch eben darin liegt auch die Gefahr für ein selbstbestimmtes, in sich ruhendes und sich selbst lebenden Wesen.“ Laut Seneca muss man Einsamkeit und Geselligkeit miteinander verbinden und abwechseln lassen: „Wie die erstere in uns die Sehnsucht nach Menschen weckt, so ist letztere die die Sehnsucht nach uns selbst. Und beide werden einander hilfreich ergänzen.“ Der Philosoph und Jurist Dr. Albert Kitzler ist Gründer und Leiter von „MASS UND MITTE“ – Schule für antike Lebensweisheit.

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Peter Trawny kennt die unglückliche Liebe

Der Selbstmord in der Liebe ist ein bekanntes Ende. Vertraut ist auch, dass in einer spezifischen philosophischen Sicht der Selbstmord Ausdruck urmenschlicher Freiheit und damit von Souveränität ist. Peter Trawny weiß: „Doch die Autoren, die einen solchen Freitod proklamieren – zum Beispiel Seneca – denken in einem anderen Kontext. Man bringt sich um, weil man in einer politisch ausweglosen Lage steckt, weil man unheilbar krank ist, weil man restlos verarmt ist, aber nicht weil man unglücklich liebt. Die Unendlichkeit ist das Ein und Alles der Liebe. Im Augenblick der Vereinigung schwindet Zeit und Ewigkeit entfaltet sich. Eine andere Erfahrung der Zeit stellt sich ein. Doch das Leben sieht anders aus. Peter Trawny gründete 2012 das Martin-Heidegger-Institut an der Bergischen Universität in Wuppertal, das er seitdem leitet.

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Menschen brauchen Geschichten

Der Primatologe Frans de Waal beschreibt den unter Schimpansen stark ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und Fairness. Es ist also durchaus möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich, dass auch Homo sapiens über einen solchen angeborenen Sinn verfügt. Und es ist für Philipp Blom denkbar, dass hier der Beginn des Erzählens liegt: „Menschen brauchen Geschichten, denn statt Sinn und Ordnung bietet die erlebte Realität immer wieder Chaos und Ungerechtigkeit.“ Immer wieder werden Wünsche enttäuscht, überall entsteht unnötiges Leid, die wenigsten Menschen erfahren Gerechtigkeit. Dadurch entsteht das menschliche Bedürfnis nach einem Gegenentwurf zu diesem ambivalenten Erleben in der Sinnlosigkeit. Geschichten schaffen Handlung und Struktur, Sinn und Zweck, Tugend und Laster, Lohn und Strafe. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford.

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Im Organismus ist alles Mittel zum Zweck

Die unverzichtbare Verknüpfung von Zweck und Mittel ist in Immanuel Kants kritischer Ethik nur ein Nebenaspekt. Volker Gerhardt ergänzt: „In seiner Theorie des Lebendigen, die er im zweiten Teil der „Kritik der Urteilskraft“ entwirft, wird sie hingegen zum zentralen Thema. Lebendig ist alles, in dem Ursache und Wirkung in einer derart engen Wechselwirkung stehen, dass sie gegenseitig im Verhältnis von Zweck und Mittel stehen.“ In einem Organismus ist alles Mittel zum Zweck der Erhaltung des Ganzen. Dieses kann man selbst als das Mittel begreifen, das jedem seiner Organe die Existenz und die Funktion ermöglicht. Immanuel Kant war der erste, der diese lebendige Einheit unter den Begriff der „Selbstorganisation“ fasst. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Reichtum darf kein Selbstzweck sein

Mit den „Grundsätzen der politischen Ökonomie“ (1848) schreibt John Stuart Mill das für den englischen Sprachraum wichtigste wirtschaftstheoretische Werk des 19. Jahrhunderts. Der Autor wendet sich in seinem Buch gegen utopische Sozialisten. Diese wollen den Staat an die Stelle des freien Wettbewerbs setzen. Otfried Höffe erklärt: „Weil die einzelnen Menschen eigennützig handelten und zugleich ihre Interessen selbst am besten beurteilen könnten, bringe die staatliche Nichteinmischung eine doppelte Optimierung zustande. Nämlich die für den Utilitaristen Mill wichtige effizienteste Staatstätigkeit und in liberaler Perspektive den stärksten Anreiz zur Entwicklung des einzelnen.“ Die „ökonomische“ Ansicht vom Vorrang der Wirtschaft lehnt John Stuart Mill jedoch ab. Der Primat liege allein bei der Politik. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Handeln hat etwas mit Pflichtgefühl zu tun

Kein Bereich des Lebens kann von Verpflichtung frei sein. Der römische Politiker und Philosoph Marcus Tullius Cicero schreibt: „Es beruht in ihrer Beachtung alle Ehrenhaftigkeit der Lebensführung, in ihrer Nichtachtung alle Schande.“ Für ihn war es noch selbstverständlich, dass jedes Handeln etwas mit Pflicht und Pflichtgefühl zu tun hat. Das betrifft sowohl die private als auch die öffentliche Sphäre. Richard David Precht erklärt: „Was auch immer ich tue, ehrenhaftes Verhalten muss von schändlichem Verhalten getrennt werden. Das, was man achtet, muss von dem unterschieden werden, was man ächtet.“ Und hat man einmal für sich erkannt, was genau man für achtenswert hält, so sollte man sich als Leitfaden daran orientieren. Der Philosoph, Publizist und Autor Richard David Precht einer der profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.

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