Erfolge schlagen eine Schneise ins Chaos

Erfolg zu haben ist für fast alle Menschen eindeutig gut. Rebekka Reinhard stellt fest: „Wenn Sie erfolgreich sind, erscheint ihnen die Welt hell und freundlich. Jeder Ihrer Erfolge schlägt eine Schneise ins Chaos und gibt Ihnen das Gefühl, die Dinge im Griff zu haben.“ Dass man Erfolg will und gefälligst auch zu wollen hat, ist jedoch kein Naturgesetz. Der Wille zum Erfolg wächst erst aus den Gewohnheiten des Menschen, sich selbst zum Subjekt zu erklären und den Erfolg zum Subjekt. „Subjekt“ ist aktiv, „Objekt“ ist passiv – so scheint es jedenfalls. Das Subjekt macht sich Gedanken, entwirft einen Plan und strengt sich an, um das Objekt in Besitz zu nehmen. Die Philosophin Rebekka Reinhard ist seit 2019 stellvertretende Chefredakteurin des Magazins „Hohe Luft“.

Für Algorithmen besteht ein Mensch nur aus Zahlen

Je länger es bei einem Menschen dauert, bis der Erfolg sichtbar, messbar, vergleichbar wird, desto mehr Druck entsteht. Bevor das Ziel erreicht ist und man das Objekt einkassieren kann, gilt es Ungewissheiten, Pannen und Krisen aus dem Weg zu räumen. Durchschnitt und Mittelmaß sind nicht erlaubt. Es gibt kein Dazwischen. Jemand, der nach dem Abitur lange vor sich hingammelt, ist nicht wettbewerbsfit. Ein Mensch, der beruflich, sportlich, liebestechnisch, ernährungsmäßig versagt, lebt hinterm Mond. Er kapiert nicht, was die Stunde geschlagen hat.

Rebekka Reinhard erklärt: „Alles lässt sich zur Erfolgsstory machen, selbst ein achtsam zubereitetes Kichererbsencurry. Alles kann, alles muss. Das aktive Subjekt unterwirft sich freiwillig. Dem Zeitdruck, dem Zahlendruck, dem Gewinndruck, dem permanenten Müssen.“ Jaron Lanier sagt: „Aus der Sicht der Algorithmen hast du keinen Namen, sondern besteht aus Zahlen.“ Was ist Erfolg? Likes. Klicks. Geld. Status. Reputation. Follower. Hauptsache, messbar, errechenbar, evaluierbar.

Die Logik des Computers verfügt über einen Rudelmodus

Und was sich nicht messen lässt, wird messbar gemacht, in Rankings und Ratings gepresst – die besten von irgendwas. Rebekka Reinhard betont: „Selbstgenügsamkeit ist out, ständiges Nach-oben-Vergleichen in. Der Druck steigt. Wer auf Computer-Logik geeicht ist, folgt der Prämisse: entweder Erfolg – oder Scheitern.“ Die Logik des Computers schwört auf die Binarität von Subjekt und Objekt, wie sie auf Nullen und Einsen schwört. Sie reduziert das Spiel um den Erfolg auf einen Wettkampf.

Die Logik des Computers verführt zu einer agonalen Grundhaltung und übersteigert sie: Subjekt gegen Objekt. Rebekka Reinhard fügt hinzu: „Ich gegen den Feind, gegen die Katastrophe. Ich oder Sie, wir oder die anderen, Leben oder Tod. „Man“, „wir alle“ machen das so, besagt der Rudelmodus der Logik des Computers. Diese ist nicht innovativ. Sie installiert nur die neue Version eines uralten Programms in den menschlichen Gehirnen: den Erfolgsheroismus. Quelle: „Wach denken“ von Rebekka Reinhard

Von Hans Klumbies