Freiheit ist tief im Leben verankert

Verschiedene Freiheitsaspekte sind für die Moderne wesentlich. Dazu zählt die Gedankenfreiheit, die jenseits von Autoritäten selbst zu denken erlaubst. Sie beschert als Freiheit von Wissenschaft und Forschung diesen eine nie nachlassende Blüte. Und jene Freiheit der Person, die sich mit den anderen Freiheitsbereichen, etwa der sozialen und politischen Freiheit, nicht zufriedengibt, sondern eine „Willensfreiheit“ innere Freiheit meint. Otfried Höffe fügt hinzu: „Zu den Merkwürdigkeiten unserer Zeit gehört, dass sich die erstgenannte Freiheit gegen die zweite wendet. Denn im Rahmen der Forschungsfreiheit werden gegen die Annahme der inneren, personalen Freiheit Einwände laut.“ Zunächst sind es Philosophen, später Einzelwissenschaftler, die sich der Annahme, der Mensch sei frei, widersetzen und die personale Freiheit rundum leugnen. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

Überall gehen Menschen Partnerschaften ein

Es gibt dabei allerdings eine Merkwürdigkeit, dass nämlich selbst die freiheitsskeptischen Wissenschaftler einem pragmatischen Widerspruch erliegen. Denn im eigenen Verhalten, insbesondere bei ihrer Forschertätigkeit, bleiben sie von ihrer propagierten Freiheitsskepsis so gut wie unberührt. Für Otfried Höffe sind Gesellschaften und Gemeinwesen nur dann als frei einzuschätzen, wenn sie ihren Mitgliedern Freiheit gewähren. Außerdem müssen die Mitglieder diese Freiheit im Prinzip zu nutzen wissen.

Denn wenn es keine personale Freiheit gibt, wäre es unsinnig, freie Gesellschaften und freie Gemeinwesen zu fordern. Dass Menschen diese Forderungen tatsächlich erheben, wo erforderlich, dafür kämpfen, spricht schon gegen eine Radikalskepsis und für die personale Freiheit. Die Gedanken von Freiheit und Verantwortung sind tief im menschlichen Leben verankert. In so gut wie allen Kulturen gehen Menschen Freundschaften und Partnerschaften ein. Sie schließen untereinander Geschäfte ab, übernehmen verantwortungsreich Ämter und fordern wo nötig Rechenschaft und gegebenenfalls Haftung ein.

Hirnforscher glauben nicht an die Freiheit des Menschen

Otfried Höffe ergänzt: „Bei all diesem Tun unterstellen sie Verantwortung und nehmen für sich stillschweigend Freiheit in Anspruch.“ Diesem von zahllosen Generationen tagtätlich praktizierten Anspruch treten seit den 1990er Jahren promiente Hirnforscher und Kognitionspsychologen entgegen. In kompromissloser Schärfe erklären sie die Freiheit zu einer Täuschung, sogar zu einem Aberglauben, von dem man sich endlich freimachen müsse. Der Neurophysiologe und Hirnforscher Wolf Singer erklärt: „Verschaltungen [im Gehirn] legen uns fest: Wir sollten aufhören, von Freiheit zu sprechen.“

Otfried Höffe teilt diese Meinung nicht: „Bei Wegfall des Freiheitsgedankens werden generell Grundbegriffe unseres Lebens, sowohl des Alltags als auch des Rechts, nämlich Person, Zurechnung und Verantwortung samt Haftung, weiterhin Geschäftsfähigkeit, Religionsmündigkeit und politische Mündigkeit, ferner der Gedanke der Patientenautonomie, auch die Gedanken der Menschenrechte und der Menschenwürde, nicht zuletzt in der politischen und der personalen Moral, obsolet.“ Geschichtskenntnisse mahnen die Freiheitsskeptiker allerdings zur Bescheidenheit, denn der Einspruch gegen den Gedanken der Schuldfähigkeit wird nicht zum ersten Mal erhoben und hat sich trotzdem nicht durchgesetzt. Quelle: „Kritik der Freiheit“ von Otfried Höffe

Von Hans Klumbies