Georg Wilhelm Friedrich Hegel ist offensichtlich ein Philosoph des Politischen, und so wurde und wird er auch rezipiert. In der Gegenwart gibt es zudem ein starkes Interesse an seiner Rechtsphilosophie. In dieser sehen viele ein probates Mittel zur Überwindung der Krise der liberalen Demokratien. Patrick Eiden-Offe stellt fest: „Das ganze 20. Jahrhundert hindurch zog man Hegel als Ratgeber in Krisen- Umbruchssituationen heran.“ Der große marxistische Literaturwissenschaftler Hans Mayer hat Hegels „Phänomenologie des Geistes“ immer wieder gelesen: „Nicht als berühmtes Buch der Philosophiegeschichte, sondern als Einübung beim Verstehen meiner jeweiligen Gegenwart“. Es geht also nicht darum, die Begriffe Hegels auf die eigene Gegenwart in Gebrauch zu nehmen. Sondern es geht darum, die Gegenwart erst einmal als eine unverstandene anzuerkennen und sich ihr dann in einem langen Prozess anzunähern. Patrick Eiden-Offe ist Literatur- und Kulturwissenschaftler.
Hegels Humor ist unmittelbar politisch
Das Verstehen ist kein rein kognitiver Akt, sondern eine Praktik. Es ist eine wiederholte und sicher auch immer körperlich zu verstehende Handlung. In der Rede von der „Einübung“ hat Patrick Eiden-Offe immer auch etwas Rituelles mitgehört. Vielleicht sogar eine Art Meditationsübung. Diese liegt seltsam quer zu dem, was man in der Linken üblicherweise unter „Theoriearbeit“ versteht. Das Lesen von Hegels „Logik“ erzeugt laut Patrick Eiden-Offe gar nicht so sehr ein neues Wissen. Sondern es zerstört vor allem Gerüchte und angemaßtes Wissen.
Erst von einem Nullpunkt aus ist es dann möglich, ein neues, ein anderes, ein nicht bloß antiquarisches Verständnis des Hegel ´schen Denkens zu erreichen. Ein Verständnis, das im Text von Hegel vor allem die Kraft zum Abbau, zur Auflösung, zur rückhaltlosen Negation zu entfesseln versucht. Das jedes Verstehen, auch das der eigenen Gegenwart, an Übung, an Einübung gebunden ist, war für den Theatermann Bertolt Brecht ganz selbstverständlich. Wenn Hegel in der Ordnung die Unordnung sieht, dann ist sein Humor unmittelbar politisch.
Begriffe besitzen eine eigene Handlungsmacht
Denn er nimmt dem blutigen Ernst die schreckliche Unausweichlichkeit, ohne diese unsichtbar zu machen oder zu beschönigen. Für Hegel sind es nicht Menschen, nicht Philosophen, die Begriffe bestimmen, sondern die Begriffe bestimmen sich selbst. Patrick Eiden-Offe erläutert: „Sie besitzen eine eigene Handlungsmacht, ein quasipolitisches Selbstbestimmungsrecht. Die Begriffe führen ein ganz eigenes Leben, und es ist die Lebensform der Begriffe, die Hegel uns in der „Logik“ vorführt.“
Das Leben der Begriffe lässt sich aber nur als Komödie darstellen. Die Begriffe treten immer paarweise auf, als „odd couples“, wo die Partner sich nur dadurch ergänzen, dass sie sich gegenseitig in die Pfanne hauen. Dies tut jedoch der Funktionalität und Produktivität des Paar keinen Abbruch. Sie erfüllen gemeinsam die Rechtsnorm des Paars, und sie sind gemeinsam kreativ. Sie sind sogar in der Lage, gemeinsam das Gesetz zu brechen: wie Bonnie und Clyde, aber ewig sich ankeifend. Quelle: „Hegels Logik lesen“ von Patrick Eiden-Offe
Von Hans Klumbies