Freiheit braucht beherzte Gelassenheit

Freiheit ist für Paul Kirchhof stets ein Wagnis. Denn die freie Entscheidung ist nicht immer richtig. Sie folgt ohnehin selten den Kategorien Richtig oder Falsch, entspricht aber dem Willen des Entscheidenden. Paul Kirchhof ergänzt: „Würde er sein Leben der grüblerischen Selbstvergewisserung über den gewählten Lebensweg widmen, tauschte er Freiheitsmut gegen Freiheitsängstlichkeit, Entschlossenheit gegen Zögerlichkeit, Selbstgewissheit gegen Unsicherheit, Freiheit gegen Antriebslosigkeit.“ Die Freiheit würde den Menschen überfordern, wenn er nicht Entschiedenes als Vergangenes hinter sich lässt, Gegenwärtigem selbstbewusst begegnet, Zukünftiges erhofft, aber nicht mit verlässlicher Gewissheit voraussehen will. Freiheit braucht beherzte Gelassenheit. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg. Als Richter des Bundesverfassungsgerichts hat er an zahlreichen, für die Entwicklung der Rechtskultur der Bundesrepublik Deutschland wesentlichen Entscheidungen mitgewirkt.

Das Freiheitsrecht sichert Ungebundenheit

Der Rechtsstaat unterscheidet strikt zwischen Recht und Ethos. Er garantiert nur Rechte, erzwingt nur die Erfüllung von Rechtspflichten. Er setzt aber eine eigenverantwortliche Freiheit, eine Selbstbescheidung des Freien nach außerrechtlichen Prinzipien von Anstand und Redlichkeit, Vertrauenswürdigkeit und Menschlichkeit voraus. Das Freiheitsrecht sichert Ungebundenheit, baut aber auf Freiheitsfähigkeit und Freiheitsmut. Je mehr der Mensch sich selbst beherrscht, er in selbstkritischer Beobachtung sich und seinen Willen entwickelt, desto weiter kann das Recht den Freiheitsrahmen ziehen.

Paul Kirchhof erläutert: „Der Staat darf und will innerhalb der Rechtsordnung Prinzipien nicht zu definitiven Regeln konkretisieren, Wertungen nicht vollständig selbst vornehmen. Er überlässt viele Wertungen dem Menschen und seinem Gewissen. Das Recht wendet sich immer mehr von Regeln ab, die Gebote der „Sittlichkeit“ einfordern. Ein sucht konkrete Rechtsgüter zu schützen.“ Je weniger allerdings die Regeln von Ehrbarkeit und Anstand das menschliche Verhalten bestimmen, desto mehr wird der Gesetzgeber die Freiheitsberechtigten mit einer Fülle von Normen beengen und sie durch eine allseits präsente Polizei durchsetzen.

Der Staat soll zur Freiheit ermutigen

Die Garantie der Freiheit ist Sache des Staates. Die ethische Befähigung zur Freiheit die Aufgabe der freien Gesellschaft. Diese Unterscheidung ist das Gebot der Freiheitlichkeit, weil der Staat die Freiheit als Recht zu definieren und zu gewährleisten hat, die Freiheitswahrnehmung aber nicht moralisierend lenken soll. Dennoch bleibt die Erziehung und Befähigung zur Freiheit die gemeinsame Aufgabe von Staat und Gesellschaft. Der Staat wird sich stets auf die Ermutigung zur Freiheit beschränken, nicht mutwillig Inhalt und Ziel des Mutes vorgeben.

Die Bereitschaft, sein Leben eigenverantwortlich zu gestalten und dabei stets Anstand und Ehrbarkeit zu wahren, erfordert beherzten Mut. Eigenverantwortlichkeit drängt zur Gegenwehr gegen allpräsente Fremdbestimmung. Sie fordert den eigenen Weg, der vom Boulevard der Allgemeinheit wegführt. Sie erwartet ein Selbstbewusstsein, das der Macht von Unrecht, Dreistigkeit und Unterdrückung die Stirn bietet. Paul Kirchhof fügt hinzu: „Dieser Freiheitsmut stellt hohe Ansprüche, weil er mit dem Gleichmut dessen verbunden sein soll, der nicht unbeirrt auf sein Ziel zustürmt, sondern mit Augenmaß gewährleistet, dass sein Kampf um die Freiheit nicht andere verletzt und die Eigeninteressen nicht überzeichnet.“ Quelle: „Beherzte Freiheit“ von Paul Kirchhof

Von Hans Klumbies