Die meisten Menschen nennen diejenigen Dinge „real“, die jetzt, in der Gegenwart existieren. Nicht das jedoch nennen sie „real“, was vor einiger Zeit existiert hat oder in der Zukunft existieren wird. Sie sagen, dass die Dinge in der Vergangenheit real „waren“ oder dass es die in der Zukunft „sein werden.“ Sie sagen aber nicht, dass sie real sind. Carlo Rovelli erläutert: „Die Philosophen nennen Präsentismus die Vorstellung, dass nur die Gegenwart real sei.“ Real seien aber nicht die Vergangenheit und die Zukunft, denn die Realität entwickelt sich von einer Gegenwart zur nächsten. Diese Art Denken funktioniert nur dann, wenn Gegenwart global definiert wird. Nicht aber, wenn man sie nur für das nähere Umfeld eingrenzt. Seit dem Jahr 2000 ist Carlo Rovelli Professor für Physik an der Universität Marseille.
Fluss und Veränderung sind illusorisch
Wenn die Gegenwart fern von den Menschen nicht mehr definiert ist, was „ist“ dann im Universum „real“? Was existiert jetzt im Kosmos? Die Physik des 20. Jahrhunderts zeigt für Carlo Rovelli unmissverständlich auf, dass der Präsentismus die wirkliche Welt nicht richtig beschreibt. Denn es gibt keine objektive globale Gegenwart. Man kann höchstens von einer Gegenwart relativ zu einem Beobachter in Bewegung reden. Aber dann ist das, was man selbst für real hält, verschieden von dem, was für einen anderen Beobachter real ist.
Und dabei will die Wissenschaft doch den Ausdruck „real“ – soweit möglich – in einem objektiven Sinn gebrauchen. Die Welt kann also nicht als eine Aufeinanderfolge von Gegenwarten gedacht werden. Die Philosophen nennen „Eternalismus“ den Gedanken, dass Fluss und Veränderung illusorisch seien. Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft sind gleichermaßen real und existent. Der Eternalismus ist die Idee, dass die Raumzeit in ihrer Gesamtheit existiert, ohne dass sich etwas verändert. Nichts, was wirklich fließt.
Die Zeitstruktur der Welt ist nicht linear
Die Verfechter dieser Art, Realität zu denken, führen zugunsten des Eternalismus häufig Albert Einstein ins Feld. Dieser hat in einem viel zitierten Brief geschrieben: „Für diejenigen unter uns, die an die Physik glauben, ist die Unterscheidung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nur eine Illusion. So hartnäckig diese Illusion auch sein mag.“ Dieses Konzept wird „Blockuniversum“ oder gewöhnlich auf Englisch auch „block universe“ genannt. Dabei handelt es sich um den Gedanken, dass man sich die Geschichte des Universums in ihrer Gesamtheit als einzigen Brocken denken müsse.
Dieser ist überall gleich real und der Übergang von einem Zeitpunkt zum nächsten ist rein illusorisch. Heißt das nun, dass sich nichts verändert und alles still steht? Ist Veränderung nur eine Illusion. Nein. Carlo Rovelli glaubt das nicht. Denn die Tatsache, dass man das Universum nicht zu einer einzigen geordneten Aufeinanderfolge von Zeitpunkten ordnen kann, heißt nicht, dass sich nichts verändert. Es heißt vielmehr, dass die Zeitstruktur der Welt komplexer ist als eine einfache lineare Abfolge von Augenblicken. Aber das macht sie weder inexistent noch illusorisch. Quelle: „Die Ordnung der Zeit“ von Carlo Rovelli
Von Hans Klumbies