Im Organismus ist alles Mittel zum Zweck

Die unverzichtbare Verknüpfung von Zweck und Mittel ist in Immanuel Kants kritischer Ethik nur ein Nebenaspekt. Volker Gerhardt ergänzt: „In seiner Theorie des Lebendigen, die er im zweiten Teil der „Kritik der Urteilskraft“ entwirft, wird sie hingegen zum zentralen Thema. Lebendig ist alles, in dem Ursache und Wirkung in einer derart engen Wechselwirkung stehen, dass sie gegenseitig im Verhältnis von Zweck und Mittel stehen.“ In einem Organismus ist alles Mittel zum Zweck der Erhaltung des Ganzen. Dieses kann man selbst als das Mittel begreifen, das jedem seiner Organe die Existenz und die Funktion ermöglicht. Immanuel Kant war der erste, der diese lebendige Einheit unter den Begriff der „Selbstorganisation“ fasst. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

Die Vernunft ist die alles überbietende Instanz

Diese entspricht dem, was er in der „Grundlegung“ Selbstbestimmung nennt. Gleichwohl fallen beide nicht in eins. Denn die Selbstbestimmung gründet auf Vernunftprinzipien. Diese suchen autonom über das Leben zu gebieten. Die Selbstorganisation dagegen ist eine Technik. Diese braucht keinen konzeptionell planenden Ingenieur und keinen das Ganze sinnreich einrichtenden Techniker. Volker Gerhardt stellt fest: „So gesehen ist Immanuel Kants Theorie des Lebendigen eine Theorie der Technik, die auf keinen Techniker angewiesen ist.“

Das Leben ist, bis in die Lebensvollzüge des Menschen hinein, ein nach technischen Schemata ablaufender Prozess. Das ist von beachtlicher naturphilosophischer Bedeutung. Diese erkannten beispielsweise Wilhelm von Humboldt, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling und Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Es war ihnen allen wichtig, die Rolle der Vernunft, auch im Gewand des Geistes, als eine zwar aus der Natur stammende, durchaus organisch verfasste, aber dennoch alles überbietende Instanz herauszuheben.

Der Mensch ist der „homo faber“ seiner selbst

Im Jahr 1877 veröffentlicht Ernst Kapp die „Grundlinien einer Philosophie der Technik“. Er fasst die Technik in ihrer grundlegenden anthropologischen Bedeutung ziemlich grundsätzlich. Deshalb könnte man hier von einer restlosen Deutung des Menschen als „homo faber“ sprechen. Der Mensch ist der „homo faber“ seiner selbst. In seiner anatomischen, physiologischen, intellektuellen, sozialen und politischen Verfassung wird der Mensch als eine sich ständig erweiternde und verbessernde Einheit verstanden.

Deren singuläre Fähigkeit besteht darin, ihn in seinen körperlichen Funktion bestimmenden technischen Leistungen beharrlich über die Sphäre seines Leibes hinaus auszuweiten. Und so immer größere Teile zum Gegenstand seiner technischen Selbstproduktion zu machen. Bei Ernst Kapp bleibt der Mensch selbst noch in seinen intelligiblen Akten der Agent seiner technischen Selbstperfektion. Deshalb kann er als „homo faber“ in Vollendung begriffen werden. Dabei bedarf es keiner besonderen Betonung, dass man auch die geistigen Leistungen als Teil des technischen Ausgriffs auf die Natur begreifen kann. Quelle: „Humanität“ von Volker Gerhardt

Von Hans Klumbies

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