Platon verficht eine klare Ordnung des Diskurses

Das Theater setzt Gefühle frei und schafft sogar Momente der Empathie mit dem Abscheulichen. Es steuert, kommentiert, kontrolliert diese Gefühle, indem es mit ihnen artistisch jongliert. Jürgen Wertheimer stellt fest: „Wie alle wichtigen Spiele ist auch dieses ein sehr ernstes Spiel, wenngleich kein Spiel auf Leben und Tod. Stattdessen „nur“ eine Simulation – eine Simulation, in der es um Leben und Tod anderer geht.“ Aber genau deshalb konnte man in den Theatern Griechenlands gezielt Grenzen überschreiten. Schon damals nicht ohne den massiven Widerstand derer, die in einem solchen Spiel mit dem Feuer der Phantasie und der Emotionen Gefahren für die gesellschaftliche Ordnung sahen. Kein geringerer als Platon (428 – 348 v. u. Z.) war ein Verfechter einer klaren Ordnung des Diskurses. Jürgen Wertheimer ist seit 1991 Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Komparatistik in Tübingen.

Die Philosophen hatten eine Aversion gegen das Theater

Platon attackierte das Theater als Brutstätte unkontrollierbarer Emotionen. Es bewege die Zuschauer, reiße sie mit, lasse sie applaudieren oder buhen. Es verwandele sie in eine lebendige Masse und versetzte sie in Schwingung. Die Ideen, die das Theater verbreitet, seien verstohlenes Werben für eine bestimmte Sicht des Daseins. Sie sind in Platons Augen außerordentlich wirksam. Zumal das antike griechische Theater sich ähnlicher Mittel bediente wie die Oper eines Richard Wagners.

Dazu zählen Musik, Tanz, Chorpartien, Gesang und Maschinen, die Götter im Himmel erscheinen lassen konnten. Jürgen Wertheimer weiß: „Damit gelang es der ergreifendsten Tragödie und der zügellosesten Komödie, die Masse zu überraschen und einzunehmen.“ Man überschüttete die Theaterdichter mit Preisen. Philosophen wie Sokrates dagegen mussten den Schierlingsbecher nehmen. Denn sie wagten angeblich „staatsgefährdende“ Gedanken zu diskutieren. Die Aversion der Philosophen gegen das Theater hat grundsätzliche, aber auch persönliche Gründe.

Aristophanes stellte Sokrates als Spottfigur dar

Höhepunkt der Kontroverse war die Komödie „Die Wolken“. In dieser stellte Aristophanes, der erfolgreichste der griechischen Komödienautoren, Sokrates als Spottfigur auf die Bühne. Er diffamierte ihn als Sophisten, Rechtsverdreher und spitzfindigen Wortspieler, kurz, als Trickbetrüger, der Menschen ausbeutet und manipuliert. Die Komödie kam aufgrund der pikanten satirischen Seitenhiebe gut an und könnte durchaus ein Impuls für den Prozess gegen Sokrates gewesen sein.

Sokrates (469 – 399 v. u. Z.) hatte eine vertrackte Methode der Dialogführung entwickelt. Mit der sogenannten Mäeutik brachte er seine Gesprächspartner dazu, die gewünschten Erkenntnisse selber zu entwickeln. Damit hatte er sich nicht nur Freunde gemacht. Mit knapper Mehrheit verurteilte man Sokrates zum Tode. Angeblich soll er einen verderblichen Einfluss auf die Jugend ausgeübt und die Götter missachtet haben. Dieses Todesurteil zeigt die unerfreuliche Seite der griechischen Polis-Philosophie. Quelle: „Europa“ von Jürgen Wertheimer

Von Hans Klumbies