Der spielende Mensch ist der Urtyp der Künstlers

Volker Gerhardt weiß: „Platon erkennt schon in einem seiner frühen Dialoge im spielenden Menschen den Urtypus des Künstlers. Das Spiel und die Kunst stehen in enger Verbindung.“ Das gilt bis hin zu Immanuel Kants Rede vom „freien Spiel“ der Einbildungskraft, die das Erleben des Schönen und Erhabenen ermöglicht. Diese Formulierung beschränkt sich auf das Zusammenwirken von Anschauung und Verstand. Dennoch hat sie Friedrich Schiller zu einer poetischen Definition des Menschen inspiriert, die zum geflügelten Wort geworden ist: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ Schon Friedrich Schiller hätte bereits vom homo ludens sprechen können. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

Wahre Produktivität entfaltet sich nur im freien Spiel

Doch als zentrale Kennzeichnung des Menschen ist der Ausdruck erst im 20. Jahrhundert zum Thema geworden. Das kann verwundern. Denn wenn es Jean Paul und eine gelehrte Klassifikation gegangen wäre, hätte auch er schon spielend vom homo ludens sprechen können. Die ingeniöse Pädagogik dieses Ausbunds von einem Dichter gibt zu erkennen, dass er das Spiel für die höchste Bestimmung des Menschen hält. Man hätte die Rede vom homo ludens auch schon bei Friedrich Nietzsche erwartet.

Denn Friedrich Nietzsche war, weit über seine Schulzeit hinaus, ein Anhänger Friedrich Schillers. Er bleibt es auch, wenn er durchweg bei jeder exemplarischen Auszeichnung des Künstlers oder des freien Geistes vom Spiel und vom Spielen spricht. Wahre Produktivität entfaltet sich für ihn nur im freien Spiel der Lebenskräfte. Aber er scheut sich offenbar, eine Gleichung zwischen menschlicher Natur und freiem Spiel aufzustellen. Zumindest wiederholt er Friedrich Schillers alle Menschen einbeziehende Formel nicht.

Johan Huizinga prägt den Begriff „Homo ludens“

Vielleicht weil Friedrich Nietzsche die produktive, künstlerische Gestaltungskraft, der er die Schaffung von Kulturen mitsamt ihrer epochalen Erneuerung zutraut, nicht allen Menschen zugestehen möchte. Doch wie dem auch sei: Über Friedrich Schillers geflügeltes Wort bleibt der Spielbegriff bei Literaturhistorikern, Pädagogen, Ethnologen und Philosophen in der Diskussion. Aber erst 1938 betritt der homo ludens – unter diesem Rollenbegriff – in einer eindrucksvollen kulturhistorischen Studie die wissenschaftliche Bühne.

Das geschieht in der Gestalt, die ihm im Werk von Johan Huizinga gegeben wird: „Homo ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel.“ Der Autor ist durch den „Herbst des Mittelalters“ (1919) bekannt geworden. Er gibt hier dem Humanismus eine durch keine Epochengrenze eingeschränkte Perspektive. Der Mensch hat das Spiel zu seinem lebenslangen Begleiter gemacht. Dies lässt erkennen, wie sich auch das alles verneinende Individuum darauf versteht, sich selbst zu kultivieren. Quelle: „Humanität“ von Volker Gerhardt

Von Hans Klumbies