Friedrich Nietzsche predigt eine andere Vernunft

Friedrich Nietzsches Zarathustra sagt zu den Ursprüngen der christlichen Metaphysik folgendes: „Kranke und Absterbende waren es, die verachteten Leib und Erde und erfanden das Himmlische und die erlösenden Blutstropfen.“ Diese Stelle nimmt Bezug auf das Neue Testament. Zarathustra fährt fort: „Allzu gut kenne ich diese Gottähnlichen: sie wollen, dass an sie geglaubt werde, und Zweifel Sünde sei.“ Christian Niemeyer stellt die provokanteste These Friedrich Nietzsches vor: „Die wahre Welt haben wir abgeschafft: welche Welt bleibt übrig? Die scheinbare vielleicht? … Aber nein! Mit der wahren Welt haben wir auch die scheinbare abgeschafft!“ Zu dieser Aussage aber will ja nicht recht passen, dass Friedrich Nietzsche noch 1882, in gleichsam „optimistischer“ Manier, zur Entdeckung „anderer“ Welten aufgerufen hatte. Der Erziehungswissenschaftler und Psychologe Prof. Dr. phil. habil. Christian Niemeyer lehrte bis 2017 Sozialpädagogik an der TU Dresden.

Die „wahre Welt“ bezieht sich auf die Metaphysik

Bei Friedrich Nietzsche bezieht sich der Begriff der wahren Welt auf Metaphysisches, nicht auf Physisches. Friedrich Nietzsche kann also sehr wohl beides tun, nämlich die „wahre Welt“ für abgeschafft erklären und gleichwohl nach empirischen Beweisen für seine Wiederkunftslehre suchen. Ob letzteres sinnvoll war oder nicht, steht für Christian Niemeyer hier nicht zur Debatte. Ihm geht es nur um den Befund, dass Annahmen über die „wahre Welt“ nicht die empirische Problemebene berühren.

Deswegen kann Friedrich Nietzsche auch noch im Anschluss an „Götzen-Dämmerung“, etwa in „Ecce homo“, empirische Forschung einklagen. Prominent geworden ist etwa sein Urteil, dass die Begriffe „Seele“ und „Geist“, zuletzt gar noch die „unsterbliche Seele“ erfunden worden sind. Nämlich um den Leib zu verachten und um ihn krank beziehungsweise heilig zu machen. Der Begriff „wahre Welt“ repräsentiert in Friedrich Nietzsches Verständnis einen Sammelbegriff für metaphysische Optionen.

Gott ist nicht mehr da

Christian Niemeyer stellt fest: „Insoweit Nietzsche diese „wahre Welt“ als abgeschafft deklariert. Somit begegnet er uns also als Antimetaphysiker und Vordenker einer empirischen Humanwissenschaft.“ Nicht nur Gott ist nun nicht mehr da, auch die Welt, für die er zeugte. Sie sieht sich ins Nichts versetzt – und bedarf neuer Sinngebung. Eben dies aber ist das Entscheidende: Friedrich Nietzsche begnügt sich keineswegs mit der Feststellung, dass die Welt, mit der und in der sich Gott bezeugt, mit Gottes Tod ihre Bedeutung verliert.

Sondern Friedrich Nietzsche will auch die Sinngebung für eine Ordnung der Dinge ohne Gott. Deswegen konzentriert er sein Denken mit dem Zarathustra auf den Übermenschen. Für Martin Heidegger steht die „scheinbare Welt“ für das Sinnliche und repräsentiert zusammen mit dem Übersinnlichen, also der „wahren Welt“, „das Seiende im Ganzen“. Der Mensch entkoppelte sich wohl nie zuvor so sehr wie im auslaufenden 19. Jahrhundert von Metaphysik und Philosophie, um voller Optimismus die Naturvorgänge zu entschlüsseln. Quelle: „Auf die Schiffe, ihr Philosophen!“ von Christian Niemeyer

Von Hans Klumbies