Die anderen sind die größte Gefahr für das Glück

Die Mitmenschen, nach deren Gesellschaft man sich sehnt, sind zugleich die größte Gefahr für das eigene Glück. Sie wecken vielfältige Begehrlichkeiten und Sehnsüchte. Der Weise zieht sich auf sich selbst zurück, er ist mit sich allein. Das heißt für Seneca allerdings nicht, dass er sich von der Gesellschaft absondert. Albert Kitzler erläutert: „Wie für Aristoteles ist auch für Seneca der Mensch ein soziales Wesen, das auf Gemeinschaft und Miteinander angewiesen und ausgerichtet ist. Doch eben darin liegt auch die Gefahr für ein selbstbestimmtes, in sich ruhendes und sich selbst lebenden Wesen.“ Laut Seneca muss man Einsamkeit und Geselligkeit miteinander verbinden und abwechseln lassen: „Wie die erstere in uns die Sehnsucht nach Menschen weckt, so ist letztere die die Sehnsucht nach uns selbst. Und beide werden einander hilfreich ergänzen.“ Der Philosoph und Jurist Dr. Albert Kitzler ist Gründer und Leiter von „MASS UND MITTE“ – Schule für antike Lebensweisheit.

Alle Menschen wollen ein glückliches Leben führen

Seneca rät, nur mit Leuten zu verkehren, die einen besser machen können. Und solche an sich anschließen zu lassen, die man selbst besser machen kann. So kommt es zu einer Wechselwirkung. Man lernt, indem man lehrt. Das Leben eines Menschen trägt häufig krankhafte Züge. Deshalb ist das Ziel, ein erfülltes und glückliches Leben zu führen, gleichbedeutend mit dem Wunsch, an Geist und Seele zu gesunden.

Die Gesellschaft und die Mitmenschen garantieren keinesfalls die Heilung, sondern stellen nach Seneca eher eine Gefahr für die Selbstfindung dar. Albert Kitzler erklärt: „Unter ihnen herrscht keine Weisheit, sondern die wenig kontrollierten, wenig ausgeglichenen, wenig temperierten Begierden.“

Jeder Mensch sollte nach Weisheit streben

Hier schwirrt der Virus der Affekte und Torheit. Die Gefahr, dass man sich mit ihm identifiziert, ist größer als die Chance, in der Gesellschaft zu gesunden. Daher ist der regelmäßige Rückzug in sich selbst für Seneca eine Überlebensstrategie. Für seine seelische Genesung hingegen tut man etwas, wenn man mit Menschen zusammen ist, von denen man etwas lernen kann. Im gegenseitigen Austausch von Erfahrungen und Einsichten lernt und lehrt man gleichzeitig.

Dies geschieht stets unter solchen Menschen, die im Streben nach Weisheit und guter Lebensführung freundschaftlich verbunden sind. Wo das nicht der Fall ist und das ist meist so, soll man zum Schutz der eigenen Überzeugungen eine imaginäre Wand zwischen sich und anderen Menschen errichten. In die innere Burg hinter dieser Wand sollte man sich regelmäßig zurückziehen, um Kraft zu schöpfen. Auch um dem Druck der Gesellschaft standzuhalten und eine Gegengewicht zu schaffen. Quelle: „Leben lernen – ein Leben lang“ von Albert Kitzler

Von Hans Klumbies