Dass Menschen in manchen Liebesportalen im Internet, ähnlich wie Automobile, nur noch nach ihren Eigenschaften und Aussehen beurteilt werden, dass es bessere und schlechtere gibt, begehrenswerte und unattraktive – dieses Denken ist so tief in die Köpfe vieler Menschen eingedrungen, dass es die meisten kaum noch infrage stellen. Ulrich Schnabel fügt hinzu: „Ebenso akzeptiert scheint die Ansicht, dass man die Attraktivität der eigenen Person erst durch entsprechendes Outfit und Styling herzustellen habe.“ Von diesem Denken leben große Teile der Wirtschaft: nicht nur die Illustrierten, die die unwiderstehlichsten Frisuren, die zehn besten Schminktipps und endlich – das perfekte Liebesglück versprechen, sondern auch die Hersteller von Kleindung, Schmuck oder Kosmetik, die Schönheitsindustrie, Mediziner, Berater und Therapeuten und nicht zuletzt alle Firmen, die Statussymbole wie Autos, Uhren oder Handys zur Profilierung anbieten. Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.
In der Moderne wird die sexuelle Attraktivität isoliert betrachtet
Der Imperativ der Moderne lautet: „Mach etwas aus deinem Typ!“ Und die Konsumwirtschaft hat es geschafft, diesen Gedanken auf die sexuelle Attraktivität auszudehnen. Zwar galten Schönheit und erotische Anziehung schon immer als wichtige Kriterien für die Liebe. Ulrich Schnabel erklärt den Unterschied zu heute: „Doch Schönheit verstand man in früheren Zeiten eher als ganzheitliche Eigenschaft, als Verbindung körperlicher, geistiger und moralischer Merkmale.“ Die Idee, die sexuelle Attraktivität isoliert zu betrachten, abgelöst von den übrigen Charaktereigenschaften einer Person, wäre Menschen im 19. Jahrhundert sicher merkwürdig vorgekommen.
Doch als im 20. Jahrhundert – zunächst in den USA – eine kapitalistische Massenkultur entstand, brauchte die Wirtschaft konsumfreudige Käufer, die möglichst viele Wünsche und Begierden hatten. Und so scheuten die Unternehmen keine Mühen, um ihre neue Parfums, Puder, Kosmetika und Cremes allen Frauen unentbehrlich erscheinen zu lassen. Gleichzeitig trugen die neuen Massenmedien das Ideal der erotisierten, körperbetonten Frau in jeden Haushalt. Auf Werbebildern wurden geschminkte Frauen beim Schwimmen, Sonnenbaden, Tanzen oder Autofahren gezeigt – als neue Ideale von gesunder, sportlicher und lebenslustiger Weiblichkeit.
Die Konsumkultur hat traditionelle Normen und Verbote aufgehoben
Ulrich Schnabel erläutert: „So trug eine ganz Phalanx von Industriezweigen dazu bei, die „Sexyness“ von Frauen – und später auch von Männern – zu propagieren. Es entstand ein neues Körperbild, das mit sinnlicher Befriedigung, Vergnügen und Sexualität assoziiert wurde und dass im Laufe des 20. Jahrhunderts – nicht zuletzt dank der sexuellen Revolution – eine hemmungslose Kommerzialisierung aller sexuellen Bedürfnisse ermöglichte.“ Aus Sicht der Soziologin Eva Illouz ist es damit der Konsumkultur mit beträchtlichem Erfolg gelungen, die traditionellen sexuellen Normen und Verbote über den Haufen zu werfen.
Eva Illouz schreibt: „Attraktivität und Sexyness wurden im 20. Jahrhundert zu positiven kulturellen Kategorien und die Sexualität wurde in ein Merkmal und eine Erfahrung verwandelt, die zunehmend von Fortpflanzung, Ehe, langfristigen Bindungen und selbst dem Gefühlsleben abgesondert war.“ Wie selbstverständlich diese Verwandlung der Sexualität in ein Konsumprodukt heute geworden ist, zeigt sich beispielsweise in der Vorstellung, dass gutaussehende Menschen ein „erotisches Kapital“ besitzen, das sie gewinnbringend vermarkten können. Quelle: „Was kostet ein Lächeln?“ von Ulrich Schnabel
Von Hans Klumbies