Jede Art von Kommunikation ist auf Normen angewiesen

Nun ist die Existenz von Gefühlsnormen unvermeidlich, wenn Menschen in Gesellschaften zusammenleben. Denn jede Art von Kommunikation ist auf Normen angewiesen. Problematisch wird es allerdings, wenn Menschen sich ihres Vorhandenseins nicht bewusst sind und es zum Konflikt zwischen inneren und äußeren Vorstellungen kommt. Ulrich Schnabel erläutert: „Dann erleben wir uns als emotional zerrissen und leiden darunter, dass Anspruch und Realität unseres Gefühlslebens massiv auseinander klaffen.“ Nirgendwo wird das deutlicher als in der Liebe, die als Herzens- oder Himmelsmacht hochgehalten wird und von Klischees, Vorstellungen und Idealen nur so umstellt sind. Alle Menschen stehen unter dem Einfluss jener Bilder und Geschichten, die das kollektive Gedächtnis dazu gesammelt hat: Romeo und Julia, Aschenputtel und der Märchenprinz, Humphrey Bogart und Ingrid Bergmann in „Casablanca“ … Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.

Viele Menschen folgen regelrechten Drehbüchern der Liebe

Glaubt man dem amerikanischen Psychologen und Psychiater Robert Sternberg, dann folgen Menschen sogar regelrechten Drehbüchern der Liebe. Nachdem er Hunderte von Paaren befragt hatte, kam Robert Sternberg zu dem Schluss, dass sich die jeweiligen Liebesvorstellungen in typische Genres einordnen ließen: Die einen verstünden die Liebe als Märchen, in der ein edler Prinz auf eine edle Prinzessin trifft; andere begriffen die Liebe eher als Geschäftsbeziehung, in der Aufwand und Ertrag verrechnet würden.

Wieder andere versuchten das Paarleben als Theaterstück, als romantische Schnulze oder als ästhetisches Gesamtkunstwerk zu gestalten. Denn aus all den Geschichten, Filmen und Büchern, die Menschen hören, sehen und lesen, destillieren sie Robert Sternberg zufolge im Laufe der Zeit ihr eigenes Skript der Liebe, das sie dann möglichst perfekt umzusetzen versuchen. Und je besser die jeweiligen Drehbücher zweier Partner zusammen passten, umso größer seien die Chancen auf eine dauerhafte Beziehung.

Das Thema „Liebe“ ist sehr facettenreich

Der deutsche Soziologe und Journalist Christian Schuldt geht sogar so weit, den Massenmedien einen „regelrechten Bildungsauftrag“ in Sachen Liebe zuzuschreiben. Ebenso wie die Medien über die aktuelle Nachrichtenlage informieren, würden sie den Menschen auch die aktuelle Liebeslage vor Augen führen und Standards schaffen, an denen sich Liebende orientieren können – und müssen. Serien wie „Sex and the City“ oder „The Bachelor“ sowie die Talk- und Kuppelshows vermitteln jene Normen und Vorbilder, an denen sich viele Menschen in Bett und Beziehung orientieren.

Dabei ist das Thema „Liebe“ in der Realität viel facettenreicher, als es die mediale Zurichtung glauben macht. Unter dem Stichwort Liebe versammeln sich schließlich alle möglichen Gefühlsregungen: vom schwärmerischen Verliebtsein bis zum platonischen Gleichklang, von der rasenden Leidenschaft bis zum ruhigen Glück eines alten Paares – gar nicht zu reden von all den Zwischenstufen, die das Leben mit sich bringt, von der mit Zweifeln durchsetzten Leidenschaft, dem unglücklichen Verliebtsein oder der Langeweile in der Vertrautheit. Quelle: „Was kostet ein Lächeln?“ von Ulrich Schnabel

Von Hans Klumbies