Die Literatur des Spätmittelalters ist keine bürgerliche

Walther von der Vogelweide klagte um das Jahr 1220 wiederholt über den Verfall der Sitten bei Rittertum und Volk und über die allgemeine unsichere Situation im Lande und den sichtbaren Schwund der Reichsmacht. Dabei ist eines allerdings zu bedenken: Das ist eine ständische Klage, auch wenn sie im Namen der Menschheit zu sprechen scheint. Ihre ideologische Adresse ist das politisch bedeutungslos gewordene staufische Reichsrittertum und nicht die gesamte Menschheit des christlichen Weltkreises. So hellsichtig und vielseitig sich diese Standesdichtung oft darbietet, letzten Endes ist sie dem konservativen Lager zuzuordnen, weil ihr ein aufnahmebereiter, aufnahmefähiger Blick für die neuen reichspolitischen Realitäten zwangsläufig und aus ihrem eigenen Selbstverständnis fehlen muss. Die Epik und Lyrik der Stauferzeit lebt im 13. Jahrhundert weiter, aber sie tut es in Erfüllung eines einmal gefundenen Musters, mit deutlichem Blick zurück.

Weiterlesen

Die Novellen von Heinrich von Kleist sind dramatische Meisterwerke

Heinrich von Kleist (1777 – 1811) blieb wie Jean Paul auch ein Außenseiter im literarischen Leben seiner Zeit. Von der Familie für die Offizierslaufbahn auserkoren, entzog sich der sensible, musisch und literarisch interessierte Heinrich von Kleist schon sehr bald dem soldatischen Leben. Unterstützt vor allem von seiner Schwester Ulrike führt er ein ruheloses, von Selbstzweifeln zerrissenes Wanderleben, das er 1811 durch Selbstmord beendete, weil ihm, wie er in seinem Abschiedsbrief an die Schwester schrieb, „auf Erden nicht zu helfen war.“ Mit in den Tod nahm er die sich ihm freiwillig anschließende, schwer kranke Henriette Vogel. Der gemeinsame Tod erregte großes öffentliches Aufsehen und warf ein grelles Licht auf die schwierigen Existenzbedingungen von Schriftstellern jenseits der etablierten Lager. Die Stärke Heinrich von Kleists liegt vor allem auf dramatischem Gebiet.

Weiterlesen

Deutschland liegt im Welthandel im Jahr 1910 mit an der Spitze

Zwischen 1870 und 1913 versechsfachte sich die industrielle Produktion in Deutschland. Vor allem das rasante Tempo der Industrialisierung rief vor allem im Ausland Staunen hervor. In den 1860er Jahren hatte der deutsche Anteil der Weltindustrieproduktion nur 4,9 Prozent betragen, während Großbritannien fast 20 Prozent erwirtschaftete. Schon im Jahr 1913 hatte Deutschland einen höheren Anteil an der Weltproduktion als Großbritannien: 14,8 zu 13,6 Prozent. Der andere große Aufsteiger dieser Jahrzehnte war die USA, die ihren Anteil bis zum Jahr 1913 auf sagenhafte 32 Prozent steigern konnten. Ulrich Herbert fügt hinzu: „Auch beim Welthandel gehörte Deutschland um 1900 mit Großbritannien und den USA zu den drei führenden Nationen.“ Ulrich Herbert zählt zu den renommiertesten Zeithistorikern der Gegenwart. Er lehrt als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

Weiterlesen

Jon Fosse will sich allen Ernstes vom Theater verabschieden

Norwegens berühmtester lebender Schriftsteller ist zweifellos Jon Fosse. Selbstdarstellungsfeiern und Wortexzesse sind ihm dennoch fremd. Jon Fosse ist beim Schreiben eher einer, der bescheiden auftritt und seine scheinbar kargen Sätze ganz genau auf den Punkt bringt. Literaturkritiker bezeichnen ihn als den größten Sprachminimalisten der nördlichen Hemisphäre. In seinen Dramen, die karg an Worten sind, setzt er Pausen und Auslassungen als wichtiges Stilmittel. Seine Romane sind durchzogen von den Grundgefühlen Melancholie und Einsamkeit. Jon Fosse liebt das Schweigen, den Wind, die Nacht und das Meer. In allen seinen Texten spielen sie eine wichtige Rolle. Und immer auch geht es in seinen Werken um das große Ungenannte, um erste und letzte Fragen, um die Liebe und den Tod, mit dem jedes Leben ein Ende findet.

Weiterlesen

Der Event ist zum Ritual der Konsumgesellschaft geworden

Wolfgang Schmidbauer meint, dass man die moderne Eventkultur nicht verstehen kann, ohne sich mit ihrem Paradox zu beschäftigen. Die Entwicklung der Kultur ist seit den Anfängen des Ackerbaus, der Gründung von Städten und der Einführung des Rechtsstaats eng mit dem Versuch verknüpft, möglichst wenig aufregende Ereignisse zuzulassen. Das Leben des Jägers und Sammlers während der Altsteinzeit war dagegen geradezu von Aufregungen geprägt. Wolfgang Schmidbauer schreibt: „Die Jagd tastete sich von einem Ereignis zum nächsten, große Beute ist ein großes Ereignis, alle Stammesangehörigen versammeln sich, um zu feiern und zu speisen.“ Der Bauer dagegen ist dankbar, wenn ihn das Wetter verwöhnt und er reiche Ernte einfahren kann. Wolfgang Schmidbauer arbeitet neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit auch als Lehranalytiker und Paartherapeut in München.

Weiterlesen

Peter Bofinger erkennt in der Euro-Krise keinen Sonderfall

Peter Bofinger vertritt die These, dass sich die fundamentalen Probleme des Euro-Raums im Kern nicht wesentlich von denen der Vereinigten Staaten von Amerika unterscheiden. Nach einer Epoche exzessiver privater Verschuldung konnte das System seiner Meinung nach nur mit einer hohen öffentlichen Kreditaufnahme stabilisiert werden. Peter Bofinger schreibt: „Der teils von den Märkten, teils von der Politik erzwungene Versuch der Mitgliedsstaaten des Euro-Raums, ihre Defizite drastisch zu reduzieren, musste in die Rezession führen, da die Privatsektoren noch zu schwach waren, um ihrerseits wieder als Konjunkturlokomotive zu agieren.“ Peter Bofinger ist seit 1992 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg. Seit März 2004 ist der Ökonom als sogenannter „Wirtschaftsweiser“ Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Weiterlesen

Paul ValéryPaul Valéry lobt die überragende Würde der Kunst

Paul Valéry vertritt die These, dass jedes Werk in sich ein Verlangen, ein Tun, ein Denkbild, einen Stoff  vereint. Diese Grundelemente pflegen eine Beziehung untereinander, oftmals so feingesponnen, dass ihre Darstellung nicht möglich ist. Er schreibt: „Ist dies der Fall, sind wir somit unvermögend, ein Gebilde durch etwas wie eine Formel zu vergegenwärtigen oder zu umreißen, die uns erlauben könnte, es als ein Ding zu begreifen, das man nach Willen erschaffen oder nacherschaffen könnte, dann nennen wir es ein Kunstwerk.“ Den Adel der Kunst sieht Paul Valéry in der Reinheit des Verlangens, aus dem sie hervorgeht, und die Ungewissheit des Künstlers über das Glücken seines Tuns.

Weiterlesen

Ralf Dahrendorf erforscht den Aufstieg der Bürgerrechte

Menschen haben nach Ralf Dahrendorf ein feines Gespür für Unrecht und auch für Vorrechte, lange bevor sich das öffentlich kundtut. Sie handeln aus ihrer grundeigenen Interessenlage, wobei es gleichgültig ist, ob es Parteien zu deren Organisation gibt oder nicht. Ralf Dahrendorf erklärt: „Soziale Kräfte sind also mehr als eine Erfindung der soziologischen Phantasie. Aber sie werden erst dann sichtbar, greifbar und vor allem wirksam, wenn sie in politischen Auseinandersetzungen und Entscheidungen ihren Ausdruck finden.“ Im gleichen Moment treffen sie dann auch auf andere Kräfte und Einflüsse, die die Lage unübersichtlich machen. Die Zugehörigkeit zu einer Klasse ist dabei für Ralf Dahrendorf nie die einzige Grundlage politischer Interessen.

Weiterlesen

Hans-Werner Sinn erklärt die Dramatik im Euroraum

Für Hans-Werner Sinn ist die Eurokrise möglicherweise noch zu lösen, aber auf keinen Fall auf dem Weg, der jetzt eingeschlagen wurde, indem man immer neues Geld dem alten hinterher wirft. Dann ist das ein Fass ohne Boden. Er fordert von der Europäischen Union sicherzustellen, dass in den Problemländern die nötigen Anpassungen geschehen. Besonders in Griechenland. Die müssen ihr hohes Preis- und Lohnniveau drastisch senken. Hans-Werner Sinn erklärt: „Viele Länder leben noch immer über ihre Verhältnisse. Sie importieren wesentlich mehr, als sie exportieren – die Leistungsbilanzen von Griechenland und Portugal sind zehn bis zwölf Prozent im Defizit.“ Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Werner Sinn ist Präsident des Münchner Ifo Instituts für Wirtschaftsforschung und Direktor des Center for Economic Studies (CES) der Ludwig-Maximilians Universität in München.

Weiterlesen

Wie zwei Studenten aus Harvard Facebook gründen

Ben Mezrich beschreibt in seinem Buch „Die Gründung von Facebook“ chronologisch die Entwicklung der Idee zweier Studenten zu einem der wertvollsten Unternehmen der Welt. Die dramatische Entstehungsgeschichte von Facebook hat der Autor aus Dutzenden von Interviews, Hunderten von Quellen und Tausenden von Dokumenten rekonstruiert. Ursprünglich waren facebooks Datenbanken mit Fotos von Studierenden, von den Verwaltungen der Universitäten alphabetisch geordnet. Es fing alles damit an, dass Mark Zuckerberg Tausende von Fotos aus den Datenbanken der Wohnheime der Harvard Universität gesaugt hatte. Zuerst wollte er seine Website Facemash.com nennen. Mark Zuckerberg dachte bei sich: „Kann sein, dass Harvard die Website aus rechtlichen Gründen kippt, ohne zu kapieren, welchen Wert sie als Initiative hat, die man auch auf andere Unis ausdehnen könnte.“

Weiterlesen

Aristoteles

Der Philosoph Aristoteles wird 384 vor Christus in Stageira (Starro), einer kleinen Stadt im Nordosten Griechenlands, geboren. Aristoteles ist der Sohn eines mazedonischen Hofarztes namens Nikomachos und erhält eine ausgezeichnete Ausbildung. Im Jahr 367 kommt er nach Athen, um beim Rhetor Isokrates und besonders bei Platon zu studieren. 20 Jahre lernt er in dessen Akademie, dem internationalen Treffpunkt von Wissenschaftlern und Philosophen der damaligen Zeit. Hier lernt er nicht nur die Schriften Platons und Sokrates, sondern auch die Werke der Sophisten, der Vorsokratiker und der Mediziner kennen. Selbst mit altgriechischer Lyrik, Epik und Dramatik macht sich Aristoteles vertraut.

Weiterlesen