Politische Gleichheit besteht aus 5 Phänomenen

Politische Gleichheit besteht laut Danielle Allen aus folgenden Phänomenen. Aus Herrschaftsfreiheit, gleichberechtigtem Zugang zum Regierungsapparat und epistemischer Egalitarismus. Dazu kommen gleiche, sich auf Praktiken der Gegenseitigkeit stützende Handlungsmacht sowie Mitgestaltung von und Miteigentümerschaft an den politischen Institutionen und deren weiteren Auswirkungen. Wenn man der Argumentation des irischen Politikwissenschaftlers Philip Pettit folgt, heißt Herrschaftsfreiheit im Sinne von Nichtbeherrschung, dass keine willkürliche Einmischung, kein Kontrollvorbehalt droht. In seinem Buch „Gerechte Freiheit“ erklärt Philip Pettit Herrschaftsfreiheit unter Bezugnahme auf den Ausdruck „freie Hand lassen“. Herrschaftsfreiheit setzt mehr voraus als den bloßen Schutz des Grundrechts, dass man seine Religion, politische Partei, Vereinigungen und Arbeitsstelle frei wählen kann. Die Politikwissenschaftlerin und Altphilologin Danielle Allen lehrt als Professorin an der Harvard University. Zugleich ist sie Direktorin des Edmond J. Safra Center for Ethics in Harvard.

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Die Fortpflanzung ist ein genetischer Zwang

Eine Spezies nutzt grundsätzlich alle für sie geeigneten Ressourcen, um zu expandieren. Vermehrung und Ausbreitung enden erst, wen die Ressourcen erschöpft sind und der Umweltwiderstand zu groß wird. Dirk Steffens und Fritz Habekuss wissen: „Dabei ist Fortpflanzung keine Option, sondern ein genetischer Zwang. Soweit gilt das für alle Arten. Auch für Homo sapiens.“ Die Menschen sind in Sachen Vermehrung aber sogar außergewöhnlich erfolgreich. In seinem Buch „Das Ende der Evolution“ stellt der Evolutionsbiologe Matthias Glaubrecht fest: „Was uns von Schimpansen und Gorillas oder gar vom Orang-Utan trennt, und zwar um mehrere Größenordnungen, ist die Anzahl unseres Nachwuchses.“ In ihrem Buch „Über Leben“ erzählen der Moderator der Dokumentationsreihe „Terra X“ Dirk Steffens und Fritz Habekuss, der als Redakteur bei der „ZEIT“ arbeitet, von der Vielfalt der Natur und der Schönheit der Erde.

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Jeder Mensch muss sich selbst erziehen

Seneca schreibt: „Von nirgendwo nämlich kommt der Seele mehr Kraft zu als von der Wissenschaft und der Betrachtung der Natur.“ So wichtig es auch ist, sich selbst und die Welt besser zu verstehen und rational zu erschließen, so reicht es nach Seneca nicht aus, wenn nicht gleichzeitig das Gemüt gestärkt wird. Albert Kitzler erläutert: „Erkenntnis und innere Überzeugung mögen das wichtigste Moment in der Motivationskette sein, die uns dazu bewegt, unser Verhalten und unsere Lebensweise, wo es nötig ist, zu verändern.“ Aber der Mensch ist nicht bloß Kopf und Verstand. All die leiblichen, triebhaften, unbewussten Kräfte in einem Menschen, der Bauch also, müssen auch „überzeugt“ werden. Der Philosoph und Jurist Dr. Albert Kitzler ist Gründer und Leiter von „MASS UND MITTE“ – Schule für antike Lebensweisheit.

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Es gibt nicht die eine deutsche Geschichte

Helmut Walser Smith beschreibt in seinem neuen Buch „Deutschland“ die Geschichte der deutschen Nation von 1500 bis in die Gegenwart. Dabei hält er die Idee des Nationalstaats und die Ideologie des Nationalismus hellsichtig auseinander. Imaginationen von Deutschland und deutsche Wirklichkeit stoßen in seinem Werk hart aufeinander. Die nationalistischen Exzesse des Dritten Reichs im 20. Jahrhundert schildert Helmut Walser Smith ebenso eindringlich wie schonungslos. Seine klugen Gedanken über Deutschland und das Erbe seiner Vergangenheit reichen bis hin zur Bundestagsrede von Navid Kermani und den aktuellen Versuchen der Alternative für Deutschland (AfD), sich der deutschen Geschichte zu bemächtigen. Für den australischen Historiker Christopher Clark ist das Buch eine Pflichtlektüre für jeden, der sich für Deutschlands Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft interessiert. Helmut Walser Smith lehrt Geschichte an der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee.

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Der Staat muss legitime Rechte garantieren

Der Staat muss Gerechtigkeit walten lassen, die Zivilgesellschaft kann sich Solidarität erlauben. Heinz Bude erläutert: „Gerechtigkeit bedeutet dabei die Zuerkennung legitimer Anrechte. Dafür existieren rationale Verfahren. Diese legen fest, was einem in einer bestimmten Lage zusteht und wofür man selbst geradestehen muss. Es gibt Menschen, die mit ihrer vollzeitigen und unbefristeten Beschäftigung noch unter dem offiziell errechneten Existenzminimum bleiben. Diese können mit einer Aufstockung ihres Einkommens durch einen staatlichen Zuschuss rechnen, der sie noch etwas über den Betrag der Mindestsicherung hebt. Es ist ungerecht, dass man von seinem Verdienst in einem Knochenjob wie der Gebäudereinigung nicht leben und nicht sterben kann. Ebenso ungerecht ist es, wenn man ohne Arbeit genauso viel Geld in der Tasche hätte wie mit Arbeit. Seit dem Jahr 2000 ist Heinz Bude Inhaber des Lehrstuhls für Makrosoziologie an der Universität Kassel.

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Der Literaturkalender 2022 weckt Erinnerungen

Diesmal dreht sich im „Literatur Kalender 2022“ alles um Momente der Erinnerung, die manchmal Haltepunkte im Leben sind. Dabei kann es sich um eine Reise, eine vergangene Liebe, ein wichtiges Gespräch oder einen Sonnenuntergang am Meer handeln. Einen Moment lang befindet sich der Erinnernde an einem anderen Ort, sei es das Haus der Kindheit, versunken in eine Melodie oder in ein Buch. Erinnerungen sind manchmal glücklich, können jedoch auch tief traurig sein. Wie zum Beispiel diese Zeilen aus dem Gedicht „Du hast Spanien gehasst“ von Ted Hughes, des Mannes von Sylvia Plath. Er veröffentlichte es in seinen „Birthday Letters“ 35 Jahre nach ihrem Suizid und kurz vor seinem eigenen Tod: „ …Ich sehe dich im Mondlicht, Den leeren Kai von Alicante entlanggehen, Wie eine Seele, die auf die Fähre wartet, Eine neue Seele, die noch immer nicht versteht, Die denkt, es sei noch immer deine Hochzeitsreise In der glücklichen Welt, dein ganzes Leben noch vor dir, Glücklich, und alle deine Gedichte warteten noch auf dich.“

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Menschen stehen zu Dingen in Wertbeziehungen

Vieles ist für einen Menschen schon deshalb so werthaltig, weil er es gemacht hat. Selbst gemalte Bilder und selbst gemachte Erfahrungen ziehen ihren ganz besonderen Wert aus der eigenen Subjektivität, die in ihnen steckt. Richard David Precht ergänzt: „Und etwas ganz besonders gut gemacht zu haben hebt sowohl meinen Selbstwert als auch den Wert der Tätigkeit.“ Dass Menschen zu den Dingen ihrer Welt in „Wertbeziehungen“ stehen, war das Lebensthema des Phänomenologen Max Scheler. Für ihn war das Empfinden von Werten ebenso natürlich gegeben wie das Sehen von Farben. Ob Werte oder Farben, wenn man sie sinnlich empfindet, hat man nicht die Wahl, sie nicht zu fühlen. Der Philosoph, Publizist und Autor Richard David Precht zählt zu den profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.

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Der Stammtisch ist öffentlich geworden

Wer in der Kneipe am Stammtisch sagt, was man am Stammtisch so mal sagt, der erntet Beifall. Denn er spricht mit Gleichgesinnten in privatem Kreis. Roger de Weck betont: „Via soziale Medien ist nun aber der Stammtisch öffentlich geworden. Das hat diesen Treffpunkt des gesunden oder verderblichen Volksempfindens, der guten und unguten Bauchgefühle, der falschen Klarheiten und veritablen Klischees aufgewertet.“ Einst errangen Wahlkämpfer im Landgasthof die Lufthoheit über die Stammtische. Doch nun beansprucht der digitale Stammtisch selbst die hoheitliche Legitimität, als verkörpere er den Willen der Mehrheit im Land. Die „Sorgen der Bürger“ solle man endlich ernst nehmen, schallt es von allen Seiten. Auf einmal gilt es als heilsam, ja demokratisch, wenn haltlose Anwürfe, niedrige Instinkte und unsinnige Meinungen breiten Ausdruck finden. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

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Menschen begehren Anerkennung durch andere

Ökonomen nehmen an, dass Menschen von Präferenzen oder Nützlichkeiten motiviert werden, von Wünschen nach materiellen Mitteln oder Gütern. Dabei vergessen sie jedoch den Thymos. Dabei handelt es sich um denjenigen Teil der Seele, der Anerkennung durch andere begehrt. Dies geschieht entweder in Form von Isothymia, dem Streben, die gleiche Würde wie die Mitmenschen zu empfangen. Oder vollzieht sich in der Form von Megalothymia, dem Bedürfnis, im Vergleich mit anderen als überlegen zu gelten. Francis Fukuyama erklärt: „Ein großer Teil dessen, was wir normalerweise für eine wirtschaftliche, von materiellen Bedürfnissen oder Wünschen ausgelöste Motivation halten, ist in Wirklichkeit ein thymotisches Verlagen nach Anerkennung der eigenen Würde oder des eigenen Status.“ Francis Fukuyama ist einer der bedeutendsten politischen Theoretiker der Gegenwart. Sein Bestseller „Das Ende der Geschichte“ machte ihn international bekannt.

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Das Universelle hat zwei Bedeutungen

François Jullien kennt den Unterschied zwischen dem Universellen, dem Gleichförmigen und dem Gemeinsamen. Das Universelle hat dabei für den französischen Philosophen zwei Bedeutungen. Da ist einerseits eine konstative, man könnte sagen schwache Bedeutung, die sich auf die Erfahrung beschränkt: „Soweit wir bisher beobachten konnten, stellen wir fest, das etwas immer so gewesen ist.“ In diesem Sinne bezieht sich der Begriff auf das Allgemeine. Das Universelle besitzt jedoch auch eine starke Bedeutung, nämlich die der universellen Gültigkeit im genauen oder strengen Sinn – sie ist es, woraus man in Europa eine Forderung des Denkens gemacht hat. François Jullien erläutert: „Wir behaupten von vornherein, noch vor aller Bestätigung durch die Erfahrung, dass eine bestimmte Sache so sein muss.“ François Jullien, geboren 1951 in Embrun, ist ein französischer Philosoph und Sinologe.

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Es ist eine neue Unterklasse entstanden

Spiegelbildlich zum Aufstieg der neuen Akademikerklasse ist eine neue Unterklasse entstanden. Denn die Expansion einfacher Dienstleistungsberufe und einer neuen geringqualifizierten Dienstleistungsklasse ist ein ebenso wichtiges Merkmal der postindustriellen Sozialstruktur. Andreas Reckwitz stellt fest: „Die neue Unterklasse insgesamt ist eine durchaus heterogene Gruppe von einfachen Dienstleistern, semiqualifizierten Industrieberufen, prekär Beschäftigten, Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern.“ Diese machen gegenwärtig ebenfalls etwa bis zu einem Drittel der westlichen Bevölkerung aus. Sie bewegt sich hinsichtlich ihres Einkommens, Vermögens und sozialen Status deutlich unterhalb des Niveaus der alten Mittelstandsgesellschaft. Die gesellschaftlichen Ursachen für ihre Entstehung sind spiegelbildlich zu jenen, welche die Ausbildung der neuen Mittelklasse befördern. Die Umwälzung zur postindustriellen Ökonomie bedeutet beispielsweise eine rapide Erosion der Industriearbeiterschaft. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Die Resilienz ist die Schwester der Sensibilität

Geschichtlich steht die Sensibilisierung für Fortschritt. Viele Menschen schützen sich wechselseitig in ihrer Verletzlichkeit und werden empfänglicher für eigene und fremde Gefühle. Sie lernen sich in andere Schicksale hineinzuversetzen. Svenja Flaßpöhler weist in ihrem neuen Buch „Sensibel“ jedoch darauf hin, dass diese Entwicklung auch eine Kehrseite hat: „Anstatt uns zu verbinden, zersplittert die Sensibilität die Gesellschaft.“ Die Autorin erzählt die Geschichte des sensiblen Selbst aus einer philosophischen Perspektive. Dabei beleuchtet sie die zentralen Streitfragen der Zeit und arbeitet den Grund für die prekäre Schieflage heraus. Weil die Widerstandskraft bis heute mit kalter Verpanzerung assoziiert wird, gilt sie als Feindin der Sensibilität. Svenja Flaßpöhler durchleuchtet die Sensibilität dialektisch und kommt zu dem Schluss: „Die Resilienz ist die Schwester der Sensibilität. Die Zukunft meistern können wir nur gemeinsam.“ Svenja Flaßpöhler ist promovierte Philosophin und Chefredakteurin des „Philosophie Magazin“.

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Die Philosophie kann das Leben verändern

Das Titelthema des neuen Philosophie Magazins 01/2022 beschäftigt sich mit der Frage: „Kann Philosophie mein Leben ändern?“ Chefredeakteurin Svenja Flaßpöhler betont in ihrem Editorial, dass die drängenden politischen Fragen von fundamentalen existenziellen Fragen nicht zu trennen sind. Die Redaktion hat den Titel der Jubiläumsausgabe deshalb gewählt, weil jede große Transformation konkret im eigenen Dasein beginnt. Und die Philosophie besitzt das Potenzial, den notwendigen Wandel anzustoßen. Sie befähigt im günstigsten Fall Menschen, mündige Entscheidungen zu treffen. Dabei ist der begründete Zweifel immer der erste Schritt zur Veränderung. Die Zerstörung angenehmer Gewissheiten ist schließlich seit jeher philosophische Methode, von Sokrates über Arthur Schopenhauer bis hin zu Emil Cioran. Jeder sollte sich die Frage stellen, ob er das Leben führt, das er führen will und je nachdem wie die Antwort ausfällt, weitreichende Entscheidungen zu treffen.

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Die Biologie wirkt an der Gestaltung der Kultur mit

Alle mentalen Fähigkeiten greifen in den Prozess der menschlichen Kultur ein. Ohne die Fähigkeit Bilder, Affekte und Bewusstsein zu erzeugen, ist der kulturelle Geist nicht vorstellbar. Gedächtnis, Sprache, Fantasie und Vernunft sind die maßgeblichen Elemente kultureller Prozesse. Sie erfordern jedoch die Erzeugung von Bildern. Antonio Damasio ergänzt: „Was die kreative Intelligenz angeht, die für die tatsächliche kulturelle Praxis und ihre Erzeugnisse verantwortlich ist, so kann sie ohne Affekte und Bewusstsein nicht funktionieren.“ Interessanterweise sind die Affekte und das Bewusstsein auch genau die Fähigkeiten, die überlebt haben. Denn sie wurden in den Fängen der rationalistischen und kognitiven Revolution vergessen. Antonio Damasio ist Professor für Neurowissenschaften, Neurologie und Psychologie an der University of Southern California und Direktor des dortigen Brain and Creative Institute.

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Der untere Inn ist ein Paradies für Wasservögel

Am unteren Inn balzten die Schellenten. Zu Hunderten. Über viertausend. Die Weibchen fielen mit ihren kleineren braunen Köpfen weniger auf. Aber die Zählung ergab, dass die Erpel tatsächlich klar überwogen. Damals, im März, wimmelte es nur so von Enten. Denn auch Reiherenten, Tafelenten und die überall häufigen Stockenten waren zu Tausenden da. Josef H. Reichholf ergänzt: „Kleine Krickenten flogen in Gruppen um die Insel und gaben die hellen „krrick, krrick“-Rufe von sich, die ihnen ihren Namen eingetragen haben.“ Am Spätnachmittag kamen Schwärme von Lachmöwen an. Als es zu dämmern begann, bildeten sie weiße Flächen auf dem Wasser, so dicht an dicht schwammen sie. Den Tag hatten sie draußen auf den schneefrei gewordenen Fluren verbracht und nach Würmern gesucht. Josef H. Reichholf lehrte an der Technischen Universität München 30 Jahre lang Gewässerökologie und Naturschutz.

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Viele hoffen auf Erlösung durch den Untergang

Auch das 19. Jahrhundert kennt Menschen ohne Hoffnung. Dieses Leitmotiv war zeitweilig von den dramatischen Gedanken einer Erlösung durch Untergang bestimmt. Der Enttäuschung über das Scheitern der freiheitlichen und demokratischen Verfassungsinitiativen folgte keineswegs stets ein beharrlicher Aufbruch zu neuen Reformen. Sondern es setzte vielfach ein Prozess einer bitteren, teilweise verzweifelten Abkehr. Paul Kirchhof nennt Zahlen: „In den Jahren 1850 – 1855 verließen über 700.000 Emigranten das Land.“ In Kunst und Wissenschaft wurde die Hoffnung auf das Bessere, das Streben auch nach dem Unerreichbaren schwächer. Der Fall in eine Leere wird dramatisch inszeniert. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg. Als Richter des Bundesverfassungsgerichts hat er an zahlreichen, für die Entwicklung der Rechtskultur der Bundesrepublik Deutschland wesentlichen Entscheidungen mitgewirkt.

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Immer mehr Nutzpflanzen sind spezielle Züchtungen

Das vorrangige Problem der Landwirtschaft ist ihr Flächenbedarf. Denn zur Erzeugung von landwirtschaftlichen Produkten benötigt man Sonnenlicht. Ille C. Gebeshuber ergänzt: „Um die Nutzbarkeit des Lichts zu maximieren, werden die landwirtschaftlich genutzten Flächen von der natürlichen Konkurrenz abgeschirmt. Speziell gezüchtete Nutzpflanzen können auf diese Weise das Sonnenlicht exklusiv nutzen und bringen hohe Erträge.“ Hier hat der hohe Versorgungsdruck die Menschheit aber in die Nutzung weniger Pflanzenarten getrieben, deren Anpassungsfähigkeit und Leistung hoch war. So nutzt die Landwirtschaft von circa 6.000 verzehrbaren Pflanzenarten nur etwas weniger als 200. Davon decken fünf Pflanzenarten etwa drei Viertel der weltweiten Nahrungsmittelproduktion in Tonnen. Diese sind nach Produktionsmenge gereiht: Zuckerrohr, Mais, Weizen, Reis und Kartoffeln. Ille C. Gebeshuber ist Professorin für Physik an der Technischen Universität Wien.

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Gelegenheitssex ist eine abstrakte soziale Form

Für Eva Illouz ist Gelegenheitssex eine abstrakte soziale Form, die nicht an menschliche Besonderheit ausgerichtet ist. Mehr noch, er entkleidet andere ihrer Einzigartigkeit. Dadurch schaltet er das aus, was der französische Soziologe Luc Boltanski als Prozess der Singularisierung bezeichnet hat. Dieser stellt für ihn einen wesentlichen Aspekt von Sozialität dar. Die sexuelle Lust, die sexuelle Wahlfreiheit, das Sammeln von sexueller Erfahrung durch zahlreiche Partner haben die heterosexuelle Begegnung grundlegend verändert. Und damit zugleich auch die Wege, auf denen man stabile emotionale und kulturelle Rahmen herausbildet und aufrechterhält. Der traditionelle heteronormative Geschlechtsverkehr verfolgte dagegen einen Zweck. Eva Illouz ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität von Jerusalem. Außerdem ist sie Studiendirektorin am Centre européen de sociologie et de science politique de la Sorbonne.

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Niccolò Machiavelli war kein Humanist

Niccolò Machiavelli (1469 – 1527) hält wenig von der gutgemeinten Idee oder Illusion, wonach die Regierten automatisch bessere Menschen wären als die Regierenden. Dass Macht korrumpiert, ist eine alte Weisheit, die gerne übersehen lässt, dass Ohnmacht es in nicht geringerem Maße tut. Die als unschuldig gewürdigten Opfer sind es oft bloß mangels Gelegenheit. Und ihre moralische Verklärung ist in den Auswirkungen manchmal gar nicht menschenfreundlich. Bis zu seinem Sturz im Februar 1513 ist Niccolò Machiavelli Kanzler für innere und äußere Sicherheit der Republik Florenz unter den Medici. Erst in der Verbannung, auf seinem kleinen Landgut Albergaccio im Dorf Sant` Andrea in Percusina, fünfzehn Kilometer südwestlich von Florenz, wird er zum Theoretiker. Sein Name ist durch seine endlosen Verunglimpfungen den Menschen bis heute so vertraut geblieben.

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Der Gottesglauben dämmert weg

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts nabelt sich die philosophische Psychologie von der spekulativen Philosophie ab. Sie entwickelt sich zu einer experimentellen Wissenschaft mit Forschern wie Wilhelm Hundt, William James und Gerard Heymans in Groningen. Ger Groot betont: „Das hat einen prägenden Einfluss auf die Art und Weise, wie die Menschen sich selbst sehen.“ Im Laufe des 19. Jahrhunderts sondert sich das Persönliche und da Religiöse zunehmend voneinander ab. Und die Bedeutung des „einzigartigen Ichs“ wird außerhalb der religiösen Sphäre noch wichtiger und nachhaltiger als in ihr. Das Wegdämmern des Gottesglaubens zehrt nicht am Ich, sondern lässt es erstarken. Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam. Zudem ist er Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

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Die Menschheit ist vom Wachstum besessen

Das Klima wandelt sich. Das Eis schmilzt. Eine Million Arten stehen vor der Auslöschung. Die Menschheit verschiebt das ökologische Gleichgewicht mit völlig unvorhersehbaren Folgen. Manchmal auf eine Art und Weise, die sich als tödlich erwiesen hat. Tim Jackson schreibt im Prolog seines neuen Buchs „Wie wollen wir leben?“: „Der endliche Planet, den wir unsere Heimat nennen, wird durch die massive Ausweitung menschlicher Aktivitäten vielleicht unwiderruflich verändert. Alles unter dem verführerischen Banner des Fortschritts.“ Derzeit ist jedoch „Postwachstum“ scheinbar ein Begriff und eine Gedankenwelt, auf die man noch nicht verzichten kann. Selbst in Zeiten eines Umbruchs ist die Menschheit immer noch vom Wachstum besessen. Tim Jackson ist Direktor des Centre for the Understanding of Sustainable Prosperity. Außerdem lehrt er als Professor für nachhaltige Entwicklung an der University of Surrey (UK).

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Für Geld machen Menschen fast alles

Es gibt eine ökonomische Theorie der Motivation. Sie unterstellt, dass man so gut wie jeden Menschen dazu bringen kann, so gut wie alles zu tun, wenn man ihm nur genug Geld dafür zahlt. Da Geld alle anderen Motivationen ersetzen kann, betrachten es die meisten Ökonomen als austauschbar mit allen anderen Motivationen. Sie sehen darin gewissermaßen eine neutrale gemeinsam Währung, in der man sämtliche Motivationen ausdrücken kann. Jonathan Aldred stellt fest: „Das ergibt ein eindimensionales Bild der menschlichen Motivation, nach dem Geld ganz einfach zu bereits vorhandenen Motiven hinzukommt oder ersetzt, falls sie nicht vorhanden sind.“ Jonathan Aldred ist Direktor of Studies in Ökonomie am Emmanuel College. Außerdem lehrt er als Newton Trust Lecturer am Department of Land Economy der University of Cambridge.

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Mikroben sind zahlreicher als menschliche Zellen

Im Körper eines Menschen leben vermutlich mehr mikrobielle als menschliche Zellen. Symbiotische Organismen kolonisieren diverse Körperregionen. Als Beispiele nennt Lucy F. Jones Mund, Haut, Vagina, Bauchspeicheldrüse, Augen und Lunge. Und viele von ihnen leben im Darmtrakt. Mit ziemlicher Sicherheit leben auf dem Gesicht Hunderte mikroskopisch kleine Milben, vielleicht sogar Tausende. Diese vermehren sich, legen Eier und am Ende ihres Lebens explodieren sie, ohne dass man es bemerkt. Wissenschaftler vermuteten, dass Mikroben im Körper den menschlichen Zellen um ein Zehnfaches überlegen sind. Diese Zahl wurde mittlerweile auf ein Verhältnis von etwa drei zu eins herunterkorrigiert, was immer noch erstaunlich genug ist. Lucy F. Jones ist Journalistin und schreibt regelmäßig zu wissenschaftlichen Themen, Gesundheit, Umwelt und Natur für die BBC, The Guardian und The Sunday Times.

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Der Mensch versteht die Welt nur in ihrem Werden

Die Menschen können die Welt als ein Geflecht aus Ereignissen begreifen, aus einfacheren Geschehnissen und komplexeren. Letztere lassen sich auf einfachere zurückführen. Carlo Rovelli nennt Beispiele: „Ein Krieg ist kein Ding, sondern eine Menge aus Ereignissen. Ein Gewitter ist keine Sache, sondern eine Gesamtheit aus Abläufen.“ Und der Mensch? Er ist gewiss kein Ding, sondern ein komplexer Prozess, in den Luft ein- und ausströmt, aber auch Nahrung, Informationen, Licht, Sprache usw. Der Mensch ist ein Knoten unter Knoten in einem sozialen Beziehungsgeflecht. Dieses Netzwerk besteht aus chemischen Prozessen, aus Emotionen, die ein Mensch mit seinesgleichen austauscht. Lange Zeit haben die Menschen die Welt in Begriffen einer Ursubstanz zu begreifen versucht. Seit dem Jahr 2000 ist Carlo Rovelli Professor für Physik an der Universität Marseille.

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Stephen Hawking war ein Mann mit einer Mission

In der Physik gibt es unterschiedliche Theorien für unterschiedliche Größenordnungen. Für die atomare und subatomare Skala benutzen die Physiker in der Regel die Quantentheorie. Für die Alltagsskala verwenden sie die Isaac Newtonsche Physik als effektive oder approximative Theorie. Und für die kosmische Skala , welche die Gravitation dominiert, die Allgemeine Relativitätstheorie. Leonard Mlodinow ergänzt: „Man kann Schreiben in analoger Weise analysieren. Da sind die Wortwahl, die Sätze, die Abschnitte, die Kapitel, das Buch.“ Man hat Anliegen und Werkzeuge auf jeder Ebene, einige für das große Ganze und andere zur Analyse des Wesentlichen. Stephen Hawking war ein Mann mit einer Mission. Allerdings war er nicht immer davon besessen gewesen, die Dinge richtig zu machen. Leonard Mlodinow, Physiker und Autor, lehrte am California Institut of Technology in Pasadena.

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