Der untere Inn ist ein Paradies für Wasservögel

Am unteren Inn balzten die Schellenten. Zu Hunderten. Über viertausend. Die Weibchen fielen mit ihren kleineren braunen Köpfen weniger auf. Aber die Zählung ergab, dass die Erpel tatsächlich klar überwogen. Damals, im März, wimmelte es nur so von Enten. Denn auch Reiherenten, Tafelenten und die überall häufigen Stockenten waren zu Tausenden da. Josef H. Reichholf ergänzt: „Kleine Krickenten flogen in Gruppen um die Insel und gaben die hellen „krrick, krrick“-Rufe von sich, die ihnen ihren Namen eingetragen haben.“ Am Spätnachmittag kamen Schwärme von Lachmöwen an. Als es zu dämmern begann, bildeten sie weiße Flächen auf dem Wasser, so dicht an dicht schwammen sie. Den Tag hatten sie draußen auf den schneefrei gewordenen Fluren verbracht und nach Würmern gesucht. Josef H. Reichholf lehrte an der Technischen Universität München 30 Jahre lang Gewässerökologie und Naturschutz.

Der untere Inn ist für Wasservögel eine Raststation

Mit rauen Schreien und schwerem Flügelschlag wuchteten einige Graureiher vorbei. Die großen Vögel lösten keine Panik unter den Enten aus. Diese kannten die Harmlosigkeit der Reiher. Flötende Rufe kündeten das Eintreffen von Brachvögeln an. Auch sie hatten tagsüber auf den Fluren, vor allem auf den Wiesen nach Nahrung gesucht. Nun fielen sie auf den Schlickflächen am Rand einer großen Insel zum Übernachten ein. Dort trippelten bereits einige Kampfläufer. Dabei handelt es sich um langbeinige Watvögel, die vornehmlich an der Grenze von Land und Wasser nach Nahrung suchen.

In wenigen Wochen, ab Ende April, fechten sie ihre Kämpfe auf speziellen Balzplätzen aus. Wie einst bei Ritterspielen. Josef H. Reichholf stellt fest: „Hier am unteren Inn taten sie dies nur andeutungsweise. Ihre Brutgebiete liegen viel weiter im Norden und Nordosten. Der untere Inn ist für sie wie für viele andere Wasservögel eine Raststation auf dem Frühjahrszug.“ Hier können sie weitgehend ungestört verweilen, Nahrung suchen und gleichsam auftanken für die noch zu bewältigende Reise, bevor sie am Ziel sind.

Der Frühjahrszug ist die interessanteste Zeit am Fluss

Irgendwo in Nord- und Nordosteuropa liegt es, bei manchen Arten jenseits des Polarkreises. Lachmöwen flogen Schwarm auf Schwarm auf ihren weithin sichtbaren Schlafplatz zu. Plötzlich brausten Schwärme von Staren heran. Sie hielten sich über der Höhe der Uferbäume und drehten einige Runden über der Insel, die offensichtlich ihr Ziel war. Schließlich ließen sie sich mit Aufrauschen auf das Weidengebüsch fallen, das diese bedeckt. Es war bereits schwarz von Staren und es kamen immer mehr.

Josef H. Reichholf und sein Begleiter hatten Mühe, die Größe der Schwärme zu schätzen. An ein Zählen war nicht mehr zu denken. Vögel waren überall in der Luft. Wichtig war es, sich bei den Registrierungen nicht ablenken zu lassen von anderen ins Blickfeld geratenen Schwärmen oder von Rufen seltener Arten. Dutzende verschiedener Wasservogelarten waren hier. Der Frühjahrszug gehört zu den interessantesten Zeiten am Fluss. Da ist die Vielfalt groß. Die Vögel, zumal die Enten, tragen mit ihrem Brutkleid das Prachtgefieder, das sie auszeichnet und eindeutig charakterisiert. Quelle: „Flussnatur“ von Josef H. Reichholf

Von Hans Klumbies