Die Biologie wirkt an der Gestaltung der Kultur mit

Alle mentalen Fähigkeiten greifen in den Prozess der menschlichen Kultur ein. Ohne die Fähigkeit Bilder, Affekte und Bewusstsein zu erzeugen, ist der kulturelle Geist nicht vorstellbar. Gedächtnis, Sprache, Fantasie und Vernunft sind die maßgeblichen Elemente kultureller Prozesse. Sie erfordern jedoch die Erzeugung von Bildern. Antonio Damasio ergänzt: „Was die kreative Intelligenz angeht, die für die tatsächliche kulturelle Praxis und ihre Erzeugnisse verantwortlich ist, so kann sie ohne Affekte und Bewusstsein nicht funktionieren.“ Interessanterweise sind die Affekte und das Bewusstsein auch genau die Fähigkeiten, die überlebt haben. Denn sie wurden in den Fängen der rationalistischen und kognitiven Revolution vergessen. Antonio Damasio ist Professor für Neurowissenschaften, Neurologie und Psychologie an der University of Southern California und Direktor des dortigen Brain and Creative Institute.

Gefühle und Vernunft stehen in einem Wechselspiel

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gelangten Charles Darwin, William James, Sigmund Freud, Emile Durkheim und andere zu der Erkenntnis, dass die Biologie an der Gestaltung kultureller Vorgänge mitwirkt. Bis allerdings die Beziehung zwischen Biologie und Kultur zu einem anerkannten Thema der wissenschaftlichen Forschung wurde, sollten noch Jahrzehnte vergehen. Seit dem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts setzten sich die Soziobiologie und das aus ihr hervorgegangene Fachgebiet der Evolutionspsychologie nicht nur dafür ein, den kulturellen Geist aus biologischer Sicht zu betrachten. Sondern sie argumentierten auch, kulturbezogene Merkmale würden biologisch weitergegeben.

Man konzentrierte sich vor allem auf den Zusammenhang zwischen Kultur und den genetischen Replikationsprozess. Die Tatsache, dass die Welt der Gefühle und die Welt der Vernunft in einem endlosen Wechselspiel stehen und dass kulturelle Ideen, Gegenstände und Praktiken in ihren Domänen und Widersprüchen gefangen sind, stand nicht im Mittelpunkt dieser Betrachtungen. Das gleiche gilt für die Wege, auf denen der kulturelle Geist das Drama des Menschseins bewältigt und die Möglichkeiten des Menschen ausnutzt. Und die Art, wie kulturelle Selektion die Arbeit des kulturellen Geistes und die Errungenschaften der genetischen Weitergabe ergänzt.

Gefühle erzeugen zwingende Gedanken und Handlungen

Antonio Damasio möchte die Affekte, das Drama des Menschlichen oder die kulturelle Selektion nicht dadurch in den Vordergrund rücken, dass er andere Elemente des Kulturprozesses ausschließt. Vielmehr richtet er die Aufmerksamkeit nur deshalb auf den Affekt, weil er hofft, dass er damit in die Beschreibung der biologischen Grundlagen der Kulturen stärker einbezogen werden kann. Gefühle erzeugen nicht nur Bedenken sowie zwingende Gedanken und Handlungen. Sondern sie dienen auch als Schiedsrichter für die Qualität der Reaktion.

Antonio Damasio erläutert: „Das liegt zu einem großen Teil daran, dass die Nutzeffekte kultureller Erfindungen am Ende von einer Gefühlsschnittstelle als mehr oder weniger leistungsfähig eingestuft werden.“ Wenn beispielsweise das Gefühl von Schmerzen zum Motiv für die Schaffung einer Lösung wird, durch die der Schmerz verschwindet, zeigt sich der Effekt in Form eines nachlassenden Schmerzgefühls. Dies ist das entscheidende Signal dafür, ob die Mühe sich gelohnt hat. Quelle: „Im Anfang war das Gefühl“ von Antonio Damasio

Von Hans Klumbies