Freie Märkte fördern Ungleichheiten

Nur eine naive Verteidigung des freien Marktes verlässt sich vollständig auf dessen selbstheilende Kräfte. In Wahrheit pflegen in dem sich selbst überlassenen Markt außer Ungleichheit vor allem Oligopole, Monopole und Kartelle zu entstehen. Dadurch wird der Wettbewerb geschwächt und das Gegenteil des freien Marktes erreicht wird. Die Verbesserung der Produkte lässt nach, stattdessen steigen für die Konsumenten die Preise und für die Unternehmen die Gewinne. Derartige Verzerrungen des Wettbewerbs sind laut Otfried Höffe paradoxerweise von der ökonomischen Rationalität her gegeben. Denn unter der Voraussetzung der entsprechenden Macht erzielt man entweder mit gleichen Mitteln einen größeren Profit oder erreicht denselben Profit mit geringerem Einsatz. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

Vertrauen und Reputation sind wertvolle Güter

Wegen dieses „Gesetzes der rationalen Wettbewerbsverzerrung“ herrscht der Wettbewerb, der das Gemeinwohl fördern soll, nicht spontan, sondern braucht steuernde Gegenkräfte. Diese schaffen einen Rahmen, der das Gemeinwohl fördert. Otfried Höffe ergänzt: „Die Gegenkräfte müssen nicht allesamt zwangsbewehrt sein. Manchmal bringen das schon Lob und Tadel, Achtung und Verachtung zustande.“ Denn selbst bei rein ökonomischen Geschäften erweisen sich Vertrauen und Reputation als nicht materielle und doch kostbare Güter, die man zwar leicht verlieren, aber nur schwer wiedergewinnen kann.

Sowohl kluge Geschäftsleute als auch kluge Kunden setzen daher die nichtmateriellen Güter nicht aufs Spiel; schon unterhalb zwangsbefugter Autoritäten schaffen sie eine Atmosphäre, die das Gemeinwohl fördert. Wo derartige Anreize aber nicht ausreichen, ist dann doch eine zwangsbewehrte Rechtsordnung vonnöten. Sie hat als erstes das Recht, persönliches Eigentum und einen freien Wettbewerb zu gewährleisten. Sodann für eine faire Ordnung des Wettbewerbs zu sorgen, die die empfindliche Balance zwischen den Märkten und der staatlichen Kontrolle wahrt.

Die Menschenrechte sind dem Markt überlegen

Schließlich gibt es Dinge, die man nicht etwa kontingenterweise, sondern grundsätzlich mit Geld nicht kaufen kann. Otfried Höffe erklärt: „Diese prinzipielle Grenze des Marktes ist im Prinzip allen Kulturen bewusst. Dem Abendland spätestens seit den frühen Philosophen, seit Sokrates, Platon und Aristoteles bekannt.“ Die nach Ansicht konstitutioneller Demokratien wichtigste Grenze des Marktes liegt bei den Menschenrechten und der Menschenwürde. Gemeint ist hier nicht, dass sie erforderlich vor dem Markt schützen – dafür ist der Sozialstaat zuständig.

Vielmehr kommt es auf etwas Grundsätzlicheres an. Wegen ihres absoluten inneren Wertes über allen Preisen erhaben, sind die Menschenrechte und die Menschenwürde in der Welt der Preise, dem Markt, grundsätzlich ohne Ort. Werden sie trotzdem dort verhandelt, so haben sie ihr Wesen, den absoluten Wert, schon verloren. Markt und Menschenrechte sind untereinander schlechthin inkompatibel. Die Menschenrechte sind dem Markt und ebenso aller politischen Herrschaft normativ kompromisslos überlegen. Quelle: „Kritik der Freiheit“ von Otfried Höffe

Von Hans Klumbies