Das Kino verschränkt den Konsum mit der Kunst

Die Welt des Konsums entwickelt sich seit den 1920er Jahren zur neuen Kultursphäre. Es findet sozusagen eine Konsumrevolution statt. Andreas Reckwitz erläutert: „Güter, die bisher primär instrumentellen Zwecken dienten, kulturalisiert man nun mehr und mehr. Und sie erhalten einen narrativen, ästhetischen, expressiven oder ludischen Selbstzweck.“ Mit dem Konsum weitet sich jenseits von bürgerlicher Kunst und Kultur das Feld dessen, was Kultur sein kann, deutlich aus. Zentral ist: Die Güter in einer kommerziellen Marktkonstellation buhlen um die Gunst des Konsumenten. Daher koppelt man Kultur nun nicht mehr an den Staat, sondern an die Ökonomie. In einzelnen Segmenten lassen sich hier bereits Mechanismen von kultureller Innovation und Differenzierung nach Art eines „Modezyklus“ beobachten. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

Bei den meisten Gütern handelt es sich um Massenkultur

Allerdings gelten in der organisierten Moderne laut Andreas Reckwitz zwei Einschränkungen: „Zum einen ist die Kulturalisierung der Güterwelt im Vergleich zur folgenden Spätmoderne begrenzt. Die meisten Güter sind weiterhin primär. Es sind solche des zweckrationalen Gebrauchs oder aber versprechen den sozialen Nutzen des Statuserhalts.“ Zum anderen ist der Singularitätswert dieser Objekte häufig limitiert. Man standardisiert sie meistens im Sinne im Fordismus. Es handelt sich in deshalb um eine Massenkultur.

Auch das konsumierende Subjekt ist in der organisierten Moderne im Wesentlichen nicht auf Unverwechselbarkeit, sondern auf die Demonstration allgemeingültiger Normalität aus. Den audiovisuellen Medien kommt im Rahmen dieser postbürgerlichen Kultur ein spezifischer Stellenwert zu. Dies gilt insbesondere für den Kinofilm als Zentrum dessen, was man die Kulturindustrie genannt hat. In ihm verschränkt sich das neue Feld des Konsums mit dem alten der Kunst. Filme sind eindeutig kulturalisierte Güter, sie machen narrativ-hermeneutische und ästhetische Offerten.

Jeder Film ist unverwechselbar und anders

Zugleich ist jeder Film dem Anspruch nach neu, unverwechselbar und anders. In der Sphäre des Films herrscht noch deutlicher als in der bürgerlichen Kunst das Regime des ästhetisch Neuen, somit der Anspruch auf immer wieder neue Originalität und Überraschung. Andreas Reckwitz schreibt: „Wegweisend ist das soziale Feld des Films darin, dass es seit den 1920er Jahren auf breiter Front einen hyperkompetitiven Markt um ein kulturelles Gut etabliert, dessen jeweiliger Wert unsicher und umstritten ist.“

Die Kulturindustrie betreibt in Maßen auch eine Singularisierung von Subjekten, und zwar in Form der Stars. Trotz aller Typisierung gilt: Wenn der Star Anziehungskraft ausüben will, muss er als einzigartig empfunden werden. Der Star beerbt hier in gewisser Weise das Künstlersubjekt: Hier wie dort wird subjektive Besonderheit gesellschaftlich anerkannt und glorifiziert – nur freilich keine Einzigartigkeit des Werks, sondern eine der Performance des Subjekts selbst und seines Glamours. Quelle: „Die Gesellschaft der Singularitäten“ von Andreas Reckwitz

Von Hans Klumbies