Während der Konsument von funktionalen Gütern erwartet, dass sie einen Nutzen erfüllen, erwartet er von kulturell-singulären Gütern Authentisches. Andreas Reckwitz nennt Beispiele: „Authentisch soll der Urlaubsort sein – und ebenso die Politikerin, der Yoga-Kurs, die Musik oder das Essen.“ Entsprechend ist der Prozess der Singularisierung der Güter zugleich immer ein Prozess der Authentifizierung, das heißt der Beobachtung, der Bewertung, Hervorbringung und Aneignung als authentisch. Die spätmoderne Ökonomie ist eine Ökonomie von Authentizitätsgütern. Nun ist Authentizität ein vieldeutiger Begriff, der nicht zufällig aus dem semantischen Pool der Romantik stammt. Bereits in diesem historisch-kulturellen Kontext waren Einzigartigkeit und Authentizität eng miteinander verknüpft. Das Authentische erscheint beispielsweise bei Jean-Jacques Rousseau als das Gegenteil des Künstlichen. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.
Authentizität ist ein Affekt- und Erlebnisbegriff
Das Echte wird prämiert und empfunden, wohingegen das Inauthentische bloß fake ist, ein So-tun-als-ob. Ist einer sozialen Entität – sei es ein Mensch, eine Gruppe, ein Ort oder ein Ding – eine besondere, eigentümliche Struktur zu eigen, dann ist sie in den Augen des Betrachters authentisch, folgt sie dagegen nur den allgemeinen Regeln des Immergleichen, dann ist sie es nicht. Authentizität ist ein Affekt- und Erlebnisbegriff: Etwas wird unmittelbar als authentisch erlebt und empfunden – es affiziert und erscheint als echt.
Andreas Reckwitz erklärt: „Der Eindruck von Authentizität hat oft einen spontanen Charakter, aber dahinter verbirgt sich die Eigenkomplexität, Dichte und Andersheit einer Entität.“ Aus soziologischer Sicht basiert Authentizität dabei auf einer Paradoxie, denn im Raum des Sozialen ist ja alles gemacht und im strengen Sinne fake – nichts ist natürlich. Das gilt auch und gerade für die Welt der ökonomischen Güter: Sie sind alle fabriziert und zirkulieren außerdem in der Regel auf Märkten. Authentizität ist nicht von Natur aus da, sie wird auf- und ausgeführt.
Kunstwerke können verstören oder rätselhaft sein
In ästhetischer Perspektive kann Authentizität als immanente Stimmigkeit zwischen einer Entität und ihrem Kontext umschrieben werden: in ethischer als Vertrauens- und Glaubwürdigkeit. Man kann die Singularisierung von Gütern überhaupt als einen Prozess der Authentifizierung begreifen: Wenn es einem Gut gelingt, als singulär bewertet und erlebt zu werden, dann wirkt es authentisch. Ein Gut, das die Kriterien zur Aufnahme in den Kreis der Singularitäten nicht erfüllt, gilt als unauthentisch.
Für Kunstwerke gilt offenbar, dass sie sich nicht bruchlos in die spätmoderne Positivkultur der Affekte einordnen, sie vielmehr Unbehagen oder Zweifel evozieren, verstören, rätselhaft, auch sperrig oder schräg sein können. Das heißt nicht, dass es sich bei ihnen um negative Singularitäten handelt – sie werden ja wertgeschätzt –, sondern vielmehr um widersprüchliche Singularitäten. Für die – teilweise harmonistische und dem Schönen verpflichtete – Kunst der bürgerlichen Kultur mag dies so eindeutig nicht der Fall gewesen zu sein. Quelle: „Die Gesellschaft der Singularitäten“ von Andreas Reckwitz
Von Hans Klumbies