Im institutionellen Kern der Singularisierung und Kulturalisierung der spätmodernen Ökonomie befindet sich das, was man die creative industries, die cultural economy oder die creative economy nennt. Andreas Reckwitz weiß: „Die creative economy ist die treibende Kraft der postindustriellen Wirtschaft.“ In einer engen Definition umfassen die creative industries die Architektur, die Werbung, die Kunst, das Kunsthandwerk, die Musik, Film und Video, das Design, die Mode, die darstellenden Künste, Computerspiele, Softwareentwicklung und Computerdienste, schließlich Medien aller Art, ob Print, Hörfunk, Fernsehen oder Online. In einer etwas weiter gefassten Definition schließt die creative economy auch die Branchen des Tourismus und des Sports ein. Sie geh darin in die sogenannte experience economy – Erlebnisökonomie – über. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.
Kulturelle Singularitätsgüter sind auf dem Vormarsch
Der spätmoderne Kulturkapitalismus geht allerdings weit über die genannten Branchen hinaus. Andreas Reckwitz erläutert: „Die Kulturalisierung und Singularisierung der Ökonomie bedeutet vielmehr, dass auch Wirtschaftszweige, die sich in der organisierten Moderne der Produktion industrieller Gebrauchsgüter oder den klassischen Dienstleistungen widmeten, sich in Richtung kultureller Singularitätsgüter umformatieren.“ In anderen Worten: Die gesamte Güter- und Dienstleistungsproduktion der westlichen Ökonomie wird mehr und mehr postindustrialisiert und nimmt so Züge einer creative economy an.
Sie wird auch über spezielle kulturaffine Branchen hinaus insgesamt zu einer Kultur- und Singularitätsökonomie. Auch die Landwirtschaft, die Automobil- oder Bauindustrie, die Produktion von funktionalen Gütern wie beispielsweise Uhren oder Laufschuhen oder traditionsreiche Dienstleistungen wie die Gastronomie oder die medizinische Behandlung verlassen immer mehr die alte Logik der Massenproduktion funktionaler Güter zugunsten der postindustriellen Logik der kulturellen Singularitätsgüter. Sie gewinnen zunehmend ihr Profil beispielsweise über Bioprodukte mit Authentizitätsanspruch, Automarkten mit Erlebnisqualitäten, über Zeitmesser oder Sportschuhe als Designobjekte, solitäre Architektur, gastronomische Originalität oder maßgeschneiderte Gesundheitspakete.
Die creative economy gleicht sich dem Feld der Künste an
Zu Recht hat John Howkins, Professor für Creative Economy an der Lincoln University, darauf hingewiesen, dass ein Indikator für diese Ausdehnung der creative economy im internationalen Bedeutungszuwachs jener Güter zu finden ist, für die Fragen des Urheberrechts relevant werden. Die Güter der Singularitätsökonomie haben in der Regel identifizierbare Urheber, sie haben Autoren, welche die Neuheit und Einzigartigkeit des Gutes in die Welt gesetzt haben und daraus komplizierte Rechtsansprüche ableiten – ob nun in Form des Copyright, des Patents, der Marke oder des Designs.
Andreas Reckwitz erklärt: „Für die Güter der creative economy gilt, dass sich das klassische ökonomische Dreieck von Produzent, Produkt und Konsument nun in jene Trias von Autor, Werk und Rezipient/Publikum verwandelt hat, wie man sie aus dem Feld der Künste kennt.“ So wie das Kunstwerk immer schon ein besonderes Gut dahingehend war, dass es Originalität, Einzigartigkeit und kulturellen Wert geltend machen konnte und eine Zuschreibung auf eine Autorfunktion stattfand, so erhalten auch die Güter der creative economy immer mehr den Charakter von Werken in einem weiteren Sinne. Quelle: „Die Gesellschaft der Singularitäten“ von Andreas Reckwitz
Von Hans Klumbies