Die Kultur zeichnet sich durch eine Doppelstruktur von Moment und Dauer aus

Singuläre Güter besitzen eine eigentümliche Zeitstruktur, die sich von derjenigen funktionaler Güter grundsätzlich unterscheidet. Andreas Reckwitz erläutert: „Letztere werden vernutzt und abgenutzt, wodurch es im Laufe der Zeit zu einem sukzessiven Verlust des Gebrauchswertes kommt.“ Dies gilt für Dinge, Informationen und Dienstleistungen: Elektrogräte werden irgendwann defekt, Informationen veralten und die Wohnung, die gestern geputzt wurde, muss nächste Woche gereinigt werden. Ganz anders hingegen verhält es sich mit der temporalen Struktur der kulturell-singulären Güter: Sie enthalten eine extrem kurzfristige Orientierung am Erleben im Moment und eine extrem langfristige Orientierung an einem bleibenden kulturellen Wert. Genau diese zeitliche Doppelstruktur von Moment und Dauer ist für die Welt der Kultur generell kennzeichnend. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

Singuläre Güter können zum Klassiker werden

Während die Welt der instrumentellen Rationalität und der funktionalen Güter gewissenmaßen eine Sphäre der temporalen Mittelfristigkeit ist, in der die Güter zwar eine Weile vorhalten sollen, aber sie langfristig verbraucht oder technisch überholt sein werden, basiert die Kultursphäre auf einer Verschwendung im Moment und einer Dauerhaftigkeit des Wertes. Erleben ist per definitionem ein leiblich-psychischer Akt im flüchtigen Moment der Gegenwärtigkeit.

Andreas Reckwitz schreibt: „Indem jedes kulturelle Gut erlebt wird, hat seine Aneignung eine momentanistische Struktur. Am deutlichsten wird dies für jene Affektgüter, die von vornherein den Charakter von Ereignissen haben, etwa das Erleben eines Konzerts, eines Baseballspiels oder einer Urlaubsreise.“ Bei singulären Gütern wird zudem der einmal zugeschriebene Wert nicht verschlissen wie der Nutzen eines funktionalen Gutes, sondern lässt sich unter Umständen über Jahre oder Jahrzehnte bewahren und erneuern. Genau dies macht den Status des Klassikers aus.

Kulturelle Güter werden von Erinnerungen geprägt

Klassisch werden in diesem Sinne können insbesondere dingliche Güter aufgrund ihrer materiellen Beständigkeit, aber natürlich auch mediale Formate bzw. Inhalte, Möbeldesigns, Altbauwohnungen, Städte und ganze Marken. An dieser Stelle kommt jedoch eine Verkomplizierung ins Spiel. Zum einen kann dem Erleben kultureller Güter via individuelle Erinnerung und via kollektives Gedächtnis eine Langfristigkeit zweiter Ordnung zukommen. Für funktionale Güter gilt dagegen, dass sie frei von Erinnerungen und von Moden sind.

Grundsätzlich gilt: Indem kulturelle Güter nicht nur benutzt, sondern auch erlebt werden, werden sie erinnerbar. Erinnert wird schließlich nie der routinisierte Gebrauch, sondern allein das affektiv besetzte Erleben. Tatsächlich macht die Erinnerung an ein in der Vergangenheit erlebtes singuläres Ereignis häufig einen großen Teil seines empfundenen Wertes aus, so dass es langfristig nachwirken und gar identitätsstiftend werden kann. In herausgehobenen Fällen handelt es sich dabei um öffentliche Ereignisse mit großem Affizierungsvermögen wie beispielsweise das Konzert in Woodstock 1969. Quelle: „Die Gesellschaft der Singularitäten“ von Andreas Reckwitz

Von Hans Klumbies