Der Bürger muss dem Staat vertrauen können

Dass Staaten stark von ökonomischen Interessen dominiert werden, ist kein neues Phänomen. Im England des späten 18. Jahrhunderts bis tief ins 19. Jahrhundert war dies nicht anders. Richard David Precht stellt fest: „Neu ist allerdings, dass die mit Abstand mächtigsten Großunternehmen keine nationalen Unternehmen mehr sind.“ In einer solchen Lage stellt sich die Frage nach dem Staat und den Bürgern anders als in den vergangenen Jahrzehnten. Was halten sie in Zukunft zusammen? Wie achtet der Bürger den Staat? Und wie schützt der Staat den Bürger? Die Fragen bedingen einander, denn das entscheidende Wort heißt „Vertrauen“. Vertrauen die Menschen dem Staat, dass er sie vor skrupellosen Geschäftsinteressen schützt?“ Der Philosoph, Publizist und Autor Richard David Precht zählt zu den profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.

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Energie kann unterschiedliche Formen annehmen

Die industrielle Revolution und die schon einige tausend Jahre zuvor erfolgte landwirtschaftliche Revolution haben vor allem eines bewirkt: eine Bevölkerungsexplosion! Sie haben auch dazu geführt, dass heute sogar mehr Menschen von einem Landwirt ernährt werden können. Zudem liegt der Lebensstandard von Millionen Menschen heutzutage höher als vor dem Industriezeitalter. Malte Rubach erläutert: „Zu welchem Preis wir diesen Lebensstandard erkaufen, wissen wir auch. Dass Ressourcen endlich sind, selbst wenn sie sich regenerieren können, ist ein Naturgesetz, das bereits bei der Energie beginnt.“ Physiker kennen den Energieerhaltungssatz, der alles andere als Esoterik ist. Der Energieerhaltungssatz besagt, dass Energie zwar innerhalb eines Systems, auch des Erdsystems, unterschiedliche Formen annehmen kann. Aber die gesamte Energie im System strebt immer zu einem Gleichgewicht. Der Referent und Buchautor Dr. Malte Rubach hat Ernährungswissenschaften in Deutschland, der Türkei und den USA studiert.

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Die Aufklärung suchte nach Gewissheiten

Die europäische Aufklärung ist ganz durchtränkt vom Geiste der Kritik. Vor allem die aufklärerische Bibelkritik hat das kritische Denken damals sogar in die Religion getragen. Denn sie arbeitete die historischen und subjektiven Bedingungen der Entstehung von Bibeltexten heraus. Dadurch wurde der Anspruch einer direkten Gottesbotschaft durch diese Forschungen zur Historizität der Bibel stark relativiert. Silvio Vietta erläutert: „Die Aufklärung verfolgte dann auf der Grundlage der Erkenntnisse neuzeitlicher Naturwissenschaften über den Kosmos und auch Menschen das Ziel, endlich klar zwischen falschen und richtigen Urteilen über die Welt zu unterscheidenden. Sie suchte in Bezug auf die Wahrheit nach „Gewissheit“. Der Vorreiter dieser Denkbewegung war René Descartes. Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.

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Die Digitalisierung ist eine Herausforderung

Im Zuge der digitalen Revolution erleben die Menschen heute einen öffentlichkeitswirksamen Bewusstseinswandel. Immer wieder liest man von den Herausforderungen der Digitalisierung und den Gefahren. Aber es gibt auch Hoffnungen, die mit dem technischen Fortschritt wie der künstlichen Intelligenz verbunden sind. Markus Gabriel ergänzt: „Aus unserer alltäglichen Erfahrung kennen wir den Eindruck einer zunehmenden gesellschaftlichen Beschleunigung.“ Das hängt sicherlich mit dem exponentiellen Wachstum der Rechenleistungen der Computer zusammen. In diesem Kontext wirkt „die These vom erweiterten Geist“ besonders plausibel. Sie besagt, dass die menschliche psychologische und mentale Wirklichkeit längst nicht mehr auf den Leib eines Menschen beschränkt ist. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Der bürgerliche Konsum war nachhaltig

Mit dem Bericht des Club of Rome von 1972 erhielt die alte Vorstellung des Konsums einen Dämpfer. Dessen Essenz im vulgären wie im eleganteren Sinne von Mehr an Quantität und Qualität bedeutete. Ulf Poschardt erklärt: „Direkt nach den sozialistischen Utopien der Sechzigerjahre begann die Zeit der bürgerlichen Utopien.“ In diesen war die Verantwortung des Konsumenten die staatsbürgerliche Fortschreibung seiner Freiheiten. Der bürgerliche Konsum war in der Tendenz nachhaltig, zumindest wenn er sich um repräsentative Symbolik bemühte. Allerdings versäumten es die bürgerlichen Politiker und Intellektuellen, bis auf wenige Ausnahmen, sich diesen Ideen zu verschreiben. Dabei hatten es konservative Bürger immer so gehalten: Nachhaltig ist, was man vererben kann und man nicht wegeschmeißen muss. Seit 2016 ist Ulf Poschardt Chefredakteur der „Welt-Gruppe“ (Die Welt, Welt am Sonntag, Welt TV).

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Das Christentum basiert auf einer Vorstellungswelt

Noch nie war Europa mit dem Christentum identifiziert worden. Erst die Spätantike leitete diesen Wandel ein, bevor er sich im Mittelalter zu einem regelrechten Kampfbegriff entwickelte. Jürgen Wertheimer fügt hinzu: „Anderen ist er eine Chiffre für Hochmut und Ausgrenzung.“ Wie auch immer man dazu stehen mag, dieser Begriff verweist auf eine Vorstellungswelt. Diese hat vielleicht weniger mit dem historischen Mittelalter als mit einer Sehnsucht sehr viel späteren Zeiten nach Zusammengehörigkeit zu tun. So schwärmt der romantische Dichter Novalis 1799: „Es waren schöne, glänzenden Zeiten, wo Europa ein christliches Land war, wo eine Christenheit diesen menschlich gestalteten Weltteil bewohnte. Ein großes gemeinschaftliches Interesse verband die entlegensten Provinzen dieses weiten geistlichen Reichs.“ Jürgen Wertheimer ist seit 1991 Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Komparatistik in Tübingen.

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Die Geldschöpfung verursacht Finanzkrisen

In einer Reise durch die Geldgeschichte zeigt der der renommierte Ökonom Thomas Mayer in seinem neuen Buch „Die Inflationsfalle“, wie ein Übermaß neuen Geldes immer wieder zu Krisen, Umbrüchen und Neuordnungen geführt hat. Im ersten Teil erklärt er, wo das Geld eigentlich herkommt und wie es sich über die Zeit gewandelt hat. Dabei verfolgt er auch die Globalisierung des Geldes. Im zweiten Teil betont Thomas Mayer, dass die Geldschöpfung immer wieder für Geld- und Finanzkrisen verantwortlich war. Außerdem vollzieht er nach, welche Rolle das Geld bei der Integration der europäischen Nationalstaaten unter einem europäischen Dach und bei der Errichtung eines modernen Versicherungsstaats gespielt hat. Thomas Mayer ist promovierter Ökonom und ausgewiesener Finanzexperte. Seit 2014 ist er Leiter der Denkfabrik Flossbach von Storch Research Institute.

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Viele Menschen haben kaum Kontakt zur Natur

Tausende Wissenschaftler beschäftigen sich mit der Beziehung zwischen Mensch und Natur – oder ihrem Fehlen. Lucy F. Jones weiß: „IN den USA haben Ärzte zwischen April 2018 und 2019 knapp 170 Rezepte für „Parkaufenthalte“ ausgestellt.“ Damit eine Behandlungsmethode in das Gesundheitssystem aufgenommen wird, müssen die Wirksamkeitsnachweise höchste Standards erfüllen. Doch was ist mit den Menschen, die überhaupt keine Zeit in der Natur verbringen wollen? Die wie Woody Allen sagen würden: „Ich liebe die Natur, solange sie mir vom Hals bleibt.“ Viele Menschen treffen die Entscheidung, städtisch zu leben, umgeben von vielen anderen Menschen, mit kaum oder nur wenige Kontakt zur Natur, geschweige denn zur Wildnis. Lucy F. Jones ist Journalistin und schreibt regelmäßig zu wissenschaftlichen Themen, Gesundheit, Umwelt und Natur für die BBC, The Guardian und The Sunday Times.

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Geld verleiht seinen Besitzern magische Kräfte

Schon 500 v. Chr. verlieht Geld seinen Besitzern geradezu magische Kräfte. Nicht nur alle denkbaren Güter konnte man damit kaufen, sondern auch menschliche Beziehungen und Macht. Etwa indem man Gefolgsleute, Söldner und Prostituierte mietete. Fabian Scheidler erläutert: „Mit dem Geld gab es erstmals einen Stoff, der sich in fast alles andere konvertieren ließ.“ Die Geldwirtschaft zerschnitt das komplexe Geflecht menschlicher Beziehungen und ersetzte es durch eine Wettkampfarena. In dieser konkurrierten vereinzelte Individuen miteinander um die Anhäufung von Geld. Das lateinische Wort in-dividuum ist nicht zufällig die Übersetzung des griechischen á-tomos: das Unteilbare. In Wissenschaft und Philosophie herrschte damals die Vorstellung, dass die Welt aus unverbundenen Atomen besteht, die durch einen leeren Raum jagen. Der Publizist Fabian Scheidler schreibt seit vielen Jahren über globale Gerechtigkeit.

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Der Tod ist allgegenwärtig

Der Tod ist für Michael Wolffsohn keineswegs ein Tabu in Deutschland. Der anonyme und fremde Tod ist sogar ein Dauerthema in Kultur und Literatur, Natur und Geschichte. Der fremde, anonyme Tod ist allgegenwärtig. Was wäre das Kino und das deutsche Fernsehen ohne Krimis und Tod. Michael Wolffsohn ergänzt: „Tote, im Dutzend billiger und quotenträchtiger. Je mehr Tote, desto besser, weil unterhaltsamer.“ So gesehen wird der Tod wahrlich nicht verdrängt. Es ist aber stets der Tod der anderen. Der andere ist gestorben, nicht ich. Wie schön, wie beruhigend. Selbst beim Tod nahestehender Menschen, so Elias Canetti, fühlt man trotz allem Schmerz eine Art von Erleichterung: „Gottlob ich nicht, noch nicht.“ Prof. Dr. Michael Wolffsohn war von 1981 bis 2012 Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München.

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Autoritäre brauchen fremde Feinde

Auch in Europa brauchen Autoritäre fremde Feinde, um ihren Autoritarismus zu rechtfertigen. Immer aus dem Ausland – in Gestalt von „Eurokraten“ und Migranten – brechen die Katastrophen herein. Roger de Weck ergänzt: „Um sie abzuwenden, ist eine Politik der harten Hand das Allheilmittel. Überrollen uns „islamische Invasoren“, drängt sich eine geistig-moralische Wende auf.“ Was in friedlichen Zeiten verboten war, gebietet nunmehr der Existenzkampf. Es ist nun an der Zeit, sich moralischen Bedenken zu entledigen. Das christliche Abendland braucht unbarmherzige Retter. Für den nüchternen Hanseaten Helmut Schmidt war Politik „pragmatisches Handeln zu sittlichen Zwecken“. Für die Neue Rechte ist Politik die Freiheit der Macht. Helmut Schmidt verwarf gleichermaßen eine Moral ohne Politik und eine Politik ohne Moral. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

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Das Christentum lehnte die Gelehrsamkeit ab

In der Spätantike und im Frühmittelalter kam es zu einer Kritik wie auch zum Verlust weltlichen Wissens. Beter Burke stellt fest: „Maßgebliche christliche Autoren lehrten Gelehrsamkeit rundweg ab.“ Einer von ihnen war Tertullian (ca. 155 – ca. 240), der behauptete, seit Jesus Christus bedürfen wir des Forschens nicht mehr. Ein weiterer war Augustinus, der die „eitle Wissbegier“ kritisierte. Das Frühmittelalter gilt jedoch heute nicht mehr als die Zeit der „Dunklen Jahrhunderte“. Doch der Verlust von Wissen in den Jahren 500 bis 1000 lässt sich kaum leugnen. Der Niedergang der Städte ging mit dem Verlust der Fähigkeit des Lesens und Schreibens einher. Peter Burke lehrte 16 Jahre an der School of European Studies der University of Sussex. Im Jahr 1978 wechselte er als Professor für Kulturgeschichte nach Cambridge ans Emmanuel College.

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Es gibt eine kulturelle Klassengesellschaft

In der Spätmoderne existiert wieder eine Klassengesellschaft. Diese gibt es jedoch nicht nur im engen materiellen Sinne. Vielmehr handelt es sich auch und gerade um kulturelle Klassen. Neben den ungleich verteilten materiellen Ressourcen unterscheiden sich die Klassen hinsichtlich ihrer Lebensstile grundsätzlich voneinander. Das gilt auch für ihr kulturelles Kapital. Seit den 1980er Jahren wandelt sich die nivellierte Mittelstandsgesellschaft zur kulturellen Klassengesellschaft. Andreas Reckwitz ergänzt: „Tatsächlich war es die heute vergangene industrielle Moderne, die sich in Richtung einer weitgehend klassenlosen Gesellschaft entwickelte.“ Dies galt nicht nur für ihre realsozialistische, sondern auch für ihre westliche Version. Deren sozialstrukturellen Ausformung hat Helmut Schelsky treffend als „nivellierte Mittelstandsgesellschaft“ auf den Punkt gebracht. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Die Veränderung ist keine Illusion

Die Unterscheidung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist keine Illusion. Carlo Rovelli erklärt: „Sie ist die Zeitstruktur der Welt, auch wenn sie nicht die des Präsentismus ist. Die zeitlichen Beziehungen zwischen Ereignissen sind komplexer, als wir einst dachten, aber deswegen keineswegs trügerisch.“ Die Beziehungen der Abstammung bilden keine globale Ordnung, sind aber deswegen nicht illusorisch. Die Veränderung, das Geschehen, ist keine Illusion. Die Physik hat nur entdeckt, dass sie sich nicht nach einer allumfassenden globalen Ordnung vollzieht. Was ist „real“? Was „existiert“? Die Antwort von Carlo Rovelli lautet: „Die Frage ist falsch gestellt, weil sie alles und nichts besagt.“ Denn das Adjektiv „real“ hat tausend Bedeutungen. Und ihrer noch mehr hat das Wort „existieren“. Seit dem Jahr 2000 ist Carlo Rovelli Professor für Physik an der Universität Marseille.

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Zwänge schränken Freiheiten ein

Viele kommunitaristische Denker neigen zu folgender Ansicht: Eine dominierende gemeinschaftliche Identität sei lediglich eine Sache der Selbsterkenntnis, nicht aber der Wahl. Für Amartya Sen ist es jedoch schwer zu glauben, dass ein Mensch wirklich keine Wahl hat, zu entscheiden, welche relative Bedeutung er den verschiedenen Gruppen beimisst, denen er angehört. Und dass er seine Identitäten lediglich zu entdecken braucht, so als handle es sich um ein rein natürliches Phänomen. In Wirklichkeit treffen alle Menschen ständig Entscheidungen über die Prioritäten, die sie ihren verschiedenen Zugehörigkeiten und Mitgliedschaften beimessen. Die Freiheit, über die persönlichen Loyalitäten und Gruppen, denen man angehört, selbst zu entscheiden, ist eine besonders wichtige Freiheit. Amartya Sen ist Professor für Philosophie und Ökonomie an der Harvard Universität. Im Jahr 1998 erhielt er den Nobelpreis für Ökonomie.

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Der weiße Mann ist toxisch

Im Titel seines neuen Buches „Der gekränkte Mann“ steckt für Tobias Haberl eine tiefe Wahrheit. Denn vieles, was in den modernen Gesellschaften des Westens gerade beschwerlich und bedrohlich ist, lässt sich damit erklären, dass sich die Vorstellung vieler Menschen von Männlichkeit gewandelt hat. Ja man attackiert die Männlichkeit sogar immer öfter und verurteilt sie. In den letzten Jahren standen die mittelalten weißen Männer ganz schön unter Druck. Sie mussten sich anhören wie toxisch sie sind und es sich bei ihnen im Grunde um ein Auslaufmodell handelt. Zudem stellte man sie als Zivilisationsirrtum dar, der für jede Menge Unheil auf der Welt verantwortlich sei. Der Literaturwissenschaftler Tobias Haberl schreibt für das „Süddeutsche Zeitung Magazin“. Sein letztes Buch „Die große Entzauberung – Vom trügerischen Glück des heutigen Menschen“ wurde ein Bestseller.

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Die Einigkeit von Herz und Seele führt zum Glück

„Wenn mein Herz mit mir einig ist und die Seele auf mich hört, so werde ich glücklich sein.“ Das ist der Sinn eines alten ägyptischen Papyros, das vielleicht 2000 v. Chr. entstanden ist. Das „Herz“ war im alten Ägypten sowohl Sitz der Gefühle als auch des Verstandes. Albert Kitzler erklärt: „Man hatte offenbar schon eine Vorstellung davon, dass es neben der rationalen auch eine emotionale Intelligenz gibt.“ Was sich genau hinter dem Ausspruch verbirgt, dürfte jedoch nicht mehr aufzuklären sein. Anscheinend will der Autor sagen, dass das Glück von der Authentizität und Wahrhaftigkeit der Person abhängt. Das heißt, von der Übereinstimmung seines Denkens, Wollens, Handelns und Fühlens, von der Kohärenz und Stimmigkeit der gesamten Lebensführung. Der Philosoph und Jurist Dr. Albert Kitzler ist Gründer und Leiter von „MASS UND MITTE“ – Schule für antike Lebensweisheit.

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Markus Gabriel weist den Wertepluralismus zurück

Der Wertepluralismus meint, in der Moral gelte: Andere Länder, andere Sitten. Jedes Land werde von einer Kultur geprägt, die einen eigenen Moralkodex habe. Und einige Länder bildeten Gruppen, die miteinander kommunizieren können. Markus Gabriel erläutert: „So stellt man sich dann den Westen im Unterschiede zum Osten oder Europa im Unterschied zu Afrika als Werteordnungen vor.“ Der Irrtum besteht seiner Meinung nach jedoch in der Annahme, es gäbe voneinander abgegrenzte Wertesysteme. Diese Überzeugung führt schnell zur zurückweisenden Annahme der Inkommensurabilität. Also der Vorstellung, es gäbe radikal voneinander verschiedene und nicht mit demselben Maß messbare Moralsysteme. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Flüsse sind phantastische Lebensräume

Wo das Wasser schnell strömte und sauber war, lebten die Bachforellen und ein paar weitere für den Fischfang weniger attraktive Fischarten. In stillen, an Wasserpflanzen, die am Bodengrund wurzeln, reichen Buchten und Altwasser wühlten Schleien und dicken Karpfen den Schlamm auf. In ihm suchen sie Würmer und andere tierische Nahrung. Barben, Nasen oder Äschen sind an mittleren Flussabschnitten häufiger zu angeln. Josef H. Reichholf ergänzt: „Dort, wo der Fluss flach überströmte, feinkiesige Kiesbänke ausgebildet hatte. Flussbarsche durchsuchten am liebsten die waldartig aufgewachsenen Bestände von Unterwasserpflanzen.“ Hechte dagegen lauerten in der Deckung des ins tiefere Wasser vorgedrungenen Röhrichts auf Beute. Solche Erfahrungen machten die Angler, lange bevor man eine fischereifachliche Einteilung der Fließgewässer nach sogenannten Fischregionen vornahm. Josef H. Reichholf lehrte an der Technischen Universität München 30 Jahre lang Gewässerökologie und Naturschutz.

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Gott durchdringt die gesamte Materie

Zenon der Gründer der Stoa, war im Jahr 312 von Zypern nach Athen gekommen. Er und seine Anhänger wurden als Stoiker bekannt. Dies geschah aufgrund der Angewohnheit Zenons, seinen Unterricht in einer bemalten Stoa, einem Säulengang, abzuhalten. Tom Holland erklärt: „Wie bereits Aristoteles beschäftigten sie sich mit der Spannung zwischen einer himmlischen, von mathematischen Gesetzen bestimmten Ordnung und einem sublunaren Reich, das von Zufall beherrscht war.“ Ihre Lösung war ebenso radikal wie elegant. Die leugneten, dass eine solche Spannung überhaupt existierte. Die Stoiker argumentierten, dass die Natur selbst göttlich war. Gott belebte das gesamte Universum, und er war aktive Vernunft: der „Logos“. Er ist vermischt mit der Materie. Der Autor und Journalist Tom Holland studierte in Cambridge und Oxford Geschichte und Literaturwissenschaft.

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Es gibt keine ewigen unveränderlichen Werte

Das Ringen um gemeinsame Werte und verbindliche Regelungen ist in sozialen und politischen Gemeinschaften oftmals sehr schwierig. Dennoch bleibt dieser mühsame Prozess unvermeidbar. Auch die Berufung auf die Vernunft oder auf unveränderliche ewige Werte kann diese Auseinandersetzung nicht überflüssig machen. Denn es gab ja zu keinem historischen Zeitpunkt einen weltweiten Konsens über die angeblich ewigen Werte. Axel Braig ergänzt: „Zudem erscheint die von Immanuel Kant beschworene Vernunft als so lebensfern und abstrakt.“ Deshalb hat Friedrich Nietzsche ihr seine „große Vernunft des Leibes“ entgegengestellt. Es erscheint nicht ratsam, sich allein auf diese leibliche Vernunft zu verlassen. Dennoch lässt es sich nicht leugnen, dass sinnliche Erfahrungen und konkrete Ereignisse bei vielen Menschen starke Gefühle auslösen. Axel Braig wandte sich nach Jahren als Orchestermusiker und Allgemeinarzt erst spät noch einem Philosophiestudium zu.

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Das Absolute ist relativ

Wozu dient Strafrecht? Sogenannte absolute Theorien beantworteten das früher mit Verweisen auf überhistorische, natürliche und religiöse Prinzipien. Dazu zählten Vergeltung, Ausgleich von Schuld und anderes. Thomas Fischer stellt fest: „Solche Theorien halten der Überprüfung nicht stand, weil sie sich auf einer rein begriffsfixierten Ebene bewegen. Sie nehmen die Worte und Begriffe für die Wirklichkeit.“ Denn was zum Beispiel Schuld und was Ausgleich ist, ist ja gerade die Frage. Und diese ist nicht absolut zu beantworten, sondern nur nach Maßgabe der jeweils historisch geltenden Rationalität. Das „Absolute“ in der menschlichen Zivilisation ist, wie die Geschichte lehrt, in jeder Hinsicht relativ. Die Gerechtigkeit durch das Strafrecht muss man daher anders definieren. Thomas Fischer war bis 2017 Vorsitzender des Zweiten Senats des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe.

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Alle Kulturen besitzen ihre Gründungsmythen

Alle Kulturen beziehen sich sowohl in ihrer Entstehungsphase als auch in ihrer Weiterentwicklung auf ihre Gründungsmythen. Beginnt die Erinnerung oder die Bindung daran zu verblassen, verliert der große Organismus einer Kultur langsam an Energie und Charakter. Oswald Spengler ist der Autor des kulturphilosophischen Werks „Der Untergang des Abendlandes“. Er bezeichnete den Prozess, in dem die lebendigen Geister eines Volkes erlöschen, als den Übergang von der Kultur zur Zivilisation. Erstere verkörpert ein vielversprechendes und kreatives Anfangsstadium. Letztere hingegen Endstadium und Verfall der gesamten Kultur. Isabella Guanzini weiß: „Um eine Kultur am Lebne zu erhalten, bedarf es immer wieder des Rückgriffs auf die eigenen Gründungsmythen.“ Denn jede Renaissance ist stets auch Erinnerung an die eigenen Ursprünge. Isabella Guanzini ist Professorin für Fundamentaltheologie an der Universität Graz.

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Meistens funktioniert der Wettbewerb nicht richtig

Verfechter der freien Marktwirtschaft argumentieren oft, die Aufteilung des nationalen Einkommenskuchens hänge vom Wirken unpersönlicher Marktkräfte ab. Das ist für Joseph Stiglitz vergleichbar mit den physikalischen Kräften, die das Körpergewicht eines Menschen festlegen. Niemand möchte das Gravitationsgesetz widerrufen. Manchmal zeigt die Waage an, dass man zu viele Pfunde drauf hat. Dafür kann man nicht die Schwerkraft verantwortlich machen, sondern muss sich um seine Essgewohnheiten kümmern. Joseph Stiglitz stellt fest: „Aber die wirtschaftswissenschaftlichen Gesetze unterscheiden sich von den Gesetzen der Physik. Märkte gestaltet man durch die staatliche Rechtsordnung, und auf den meisten funktioniert der Wettbewerb nicht richtig. Die Rechtsordnung legt insbesondere fest, wer wie viel Marktstärke besitzt.“ Joseph Stiglitz war Professor für Volkswirtschaft in Yale, Princeton, Oxford und Stanford. Er wurde 2001 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet.

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Das narrative Denken ist ein großartiges Medium

Fritz Breithaupt klärt in seinem neuen Buch „Das narrative Gehirn“ darüber auf, warum Menschen so viel Zeit mit Narrationen verbringen. Eine seiner Thesen lautet: „In den Narrationen erleben wir die Erlebnisse von anderen mit und teilen ihre Erfahrungen. Das ist möglich, weil wir uns in Narrationen ja an die Stelle von anderen versetzen können und dann tatsächlich „ihre“ Erfahrungen selbst machen.“ Man kann auch narrative und mentale Erfahrungen machen und zugleich die Handlungen nicht ausführen. Somit verdoppelt man sein Leben. Man kann auch bereits Getanes ein zweites Mal miterleben oder sich eine geplante Handlung vor Augen führen. Dies fängt bei minimalen Reaktionen an und endet bei den großen Lebensentscheidungen. Insofern ist narratives Denken ein großartiges Medium des Erlebens und Planens. Fritz Breithaupt ist Professor für Kognitionswissenschaften und Germanistik an der Indiana University in Bloomington.

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