Der Tod ist allgegenwärtig

Der Tod ist für Michael Wolffsohn keineswegs ein Tabu in Deutschland. Der anonyme und fremde Tod ist sogar ein Dauerthema in Kultur und Literatur, Natur und Geschichte. Der fremde, anonyme Tod ist allgegenwärtig. Was wäre das Kino und das deutsche Fernsehen ohne Krimis und Tod. Michael Wolffsohn ergänzt: „Tote, im Dutzend billiger und quotenträchtiger. Je mehr Tote, desto besser, weil unterhaltsamer.“ So gesehen wird der Tod wahrlich nicht verdrängt. Es ist aber stets der Tod der anderen. Der andere ist gestorben, nicht ich. Wie schön, wie beruhigend. Selbst beim Tod nahestehender Menschen, so Elias Canetti, fühlt man trotz allem Schmerz eine Art von Erleichterung: „Gottlob ich nicht, noch nicht.“ Prof. Dr. Michael Wolffsohn war von 1981 bis 2012 Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München.

Bilder von Kriegen beenden die Gemütlichkeit

Die eigene Reaktion auf den Tod anderer gleicht in gewisser Weise dem Muster einer Komödie. Bei der Komödie glaubt der Zuschauer, er lache über den anderen, den Nachbarn, und nicht über sich selbst. In der modernen Medien- und Massengesellschaft ist der Tod geradezu Teil der Volksbelustigung. Doch nicht nur in der fernsehenden Gegenwart, in ferner zurückliegenden Zeiten ebenso. Zum Beispiel in der Antike. Man denke zum Beispiel an die schrecklichen Gladiatorenkämpfe im Alten Rom.

Die Alten waren also nicht besser als die Menschen, die heute leben. In der Gegenwart ist diese Art des Todes und des Tötens, meistens jedenfalls und zumindest in den wohlhabenden Ländern des Westens, eher virtuell, eher medial vermittelt. Medial und trivial, also seicht, platt, abgedroschen, niedrig. Michael Wolffsohn fügt hinzu: „Doch der medial vermittelte Tod ist keineswegs immer virtuell oder trivial. Oft trifft er uns ins Mark: Bilder von Krisen, Kriegen und Katastrophen beenden jäh die Gemütlichkeit, und das Gemüt, die Seele, leidet.“

Der Tod ist ein Menschheitsthema

Aber irgendwie verdrängt man diese Bilder, man vergisst sie nicht, aber verdrängt sie, um den Alltag seelisch zu bewältigen. Ist dieses Verdrängen auch ein Tabuisieren? Man kann es so sehen. Doch ist diese Sichtweise wirklich zutreffend? Eine allgemeine Antwort kann man nicht geben, nur eine individuelle, von Mensch zu Mensch, von Fall zu Fall. Sterben live, auf jeden Fall nicht mehr privat, sondern öffentlich, fast weltöffentlich. Wieder nicht nur medial, fernsehend.

Auch in der sehr ernst zu nehmenden Literatur und eben den Tod nicht tabuisierend, sondern beklemmend thematisiert. Auch in der Hochkultur und Weltliteratur ist das öffentliche Beschreiben des Todes kein Phänomen der vermeintlich so indiskreten Gegenwart. Sondern es ist ein, sogar das Menschheitsthema, außer der Liebe. Schon im Buch der Bücher, der Bibel, sind Tod und Bestattung allgegenwärtig. Der Tod ist ein Teil des Lebens und die Bestattung der Toten ist ein Kennzeichen des Menschen. Quelle: „Tacheles“ von Michael Wolffsohn

Von Hans Klumbies