Der weiße Mann ist toxisch

Im Titel seines neuen Buches „Der gekränkte Mann“ steckt für Tobias Haberl eine tiefe Wahrheit. Denn vieles, was in den modernen Gesellschaften des Westens gerade beschwerlich und bedrohlich ist, lässt sich damit erklären, dass sich die Vorstellung vieler Menschen von Männlichkeit gewandelt hat. Ja man attackiert die Männlichkeit sogar immer öfter und verurteilt sie. In den letzten Jahren standen die mittelalten weißen Männer ganz schön unter Druck. Sie mussten sich anhören wie toxisch sie sind und es sich bei ihnen im Grunde um ein Auslaufmodell handelt. Zudem stellte man sie als Zivilisationsirrtum dar, der für jede Menge Unheil auf der Welt verantwortlich sei. Der Literaturwissenschaftler Tobias Haberl schreibt für das „Süddeutsche Zeitung Magazin“. Sein letztes Buch „Die große Entzauberung – Vom trügerischen Glück des heutigen Menschen“ wurde ein Bestseller.

Millionen gekränkter Männer sind ein politisches Problem

Auch Tobias Haberl findet, dass es jetzt mal reicht mit der Alleinherrschaft der weißen Männer, gleichzeitig geht ihm die Aggressivität der Gender-Debatte ziemlich auf die Nerven. Der Männlichkeit ist die Selbstverständlichkeit abhandengekommen. Das ist gut, weil sich gesellschaftliche Normen verschoben haben. Das ist aber auch heikel, weil Millionen gekränkter Männer ein politisches Problem sind. Es geht in dem Buch „Der gekränkte Mann“ um die Sehnsucht nach einer Männlichkeit, die sich nicht verleugnet, aber auch nicht anbiedert.

Im Moment sind weiße Männer die Geisterfahrer der modernen Gesellschaft, über die alles gesagt werden darf – nur nichts Gutes. Tobias Haberl stellt fest: „Verdächtig ist jeder, der weiß, heterosexuell, über vierzig und mit seiner Identität einigermaßen einverstanden ist.“ Die meisten Männer sind weder glühende Feministen noch Frauenfeinde, sondern irgendwas dazwischen. Im Moment sind viele von ihnen verunsichert, weil sie mit fragwürdigen Geschlechtsgenossen in einen Topf geworfen werden, als steckte in jedem Mann ein möglicher Teufel.

Männer und Frauen müssen gleichberechtigte Partner sein

Gemeinsam mit vielen anderen Männern hat sich auch Tobias Haberl in den letzten Jahren verändert. Er ist vorsichtiger geworden, nachdenklicher, gleichzeitig mutiger, wenn es darum geht, für Überzeugungen einzustehen, die ihm wichtig sind. Manchmal bildet sich Tobias Haberl ein, dass früher alle zusammen freier und lässiger waren, nicht so gebremst und gegängelt. Dass damals alles echter, unmittelbarer, irgendwie aufregender war. Aber vielleicht stimmt das gar nicht, und wenn doch, haben wahrscheinlich nur weiße Männer davon profitiert.

Tobias Haberl fordert, dass Männer und Frauen wieder Partner und keine Gegner mehr sind. Er fände es schön, wenn es den Feminismus eines Tages nicht mehr bräuchte, weil Männer und Frauen sich nicht mehr daran erinnern können, dass sie mal gegeneinander gekämpft haben. Dies ist dann der Fall, wenn alle in gegenseitiger Wertschätzung neben- und miteinander leben. Manchmal scheint das Ziel weit weg, dann wieder ganz nah. Es lautet: „Kein moderner Mann, sondern ein guter Mensch zu sein.“

Der gekränkte Mann
Verteidigung eines Auslaufmodells
Tobias Haberl
Verlag: Piper
Gebundene Ausgabe: 255 Seiten, Auflage: 2022
ISBN: 978-3-492-07113-0, 22,00 Euro

Von Hans Klumbies