Gott durchdringt die gesamte Materie

Zenon der Gründer der Stoa, war im Jahr 312 von Zypern nach Athen gekommen. Er und seine Anhänger wurden als Stoiker bekannt. Dies geschah aufgrund der Angewohnheit Zenons, seinen Unterricht in einer bemalten Stoa, einem Säulengang, abzuhalten. Tom Holland erklärt: „Wie bereits Aristoteles beschäftigten sie sich mit der Spannung zwischen einer himmlischen, von mathematischen Gesetzen bestimmten Ordnung und einem sublunaren Reich, das von Zufall beherrscht war.“ Ihre Lösung war ebenso radikal wie elegant. Die leugneten, dass eine solche Spannung überhaupt existierte. Die Stoiker argumentierten, dass die Natur selbst göttlich war. Gott belebte das gesamte Universum, und er war aktive Vernunft: der „Logos“. Er ist vermischt mit der Materie. Der Autor und Journalist Tom Holland studierte in Cambridge und Oxford Geschichte und Literaturwissenschaft.

Die Grundstruktur des Kosmos war göttlich

Gott durchdringt die gesamte Materie und formt sie so, strukturiert sie und bringt sie in die Welt ein. Ein Leben im Einklang mit der Natur war also ein Leben im Einklang mit Gott. Mann oder Frau, Grieche oder Barbar, Freier oder Sklave – alle waren gleichermaßen mit der Fähigkeit ausgestattet, das Richtige vom Falschen zu unterscheiden. Diesen Funken des Göttlichen in jedem Sterblichen bezeichneten die Stoiker als „syneidesis“ – Mitwissen, Gewissen, Bewusstsein.

Doch manifestierte sich nicht nur im der gesamten Menschheit eigenen Gewissen das Naturgesetz. Tom Holland erläutert: „Wenn die ganze Grundstruktur des Kosmos göttlich war, dann folgte daraus, dass alles notwendigerweise zum Besten bestellt war.“ Jenen, denen dieses Verständnis fehlte, mochte es wohl so vorkommen, dass Tyche, die Göttin des Schicksals, eine launenhaftes, unberechenbares Wesen war. Die Stoiker hingegen vermochten im Universum etwas Lebendiges zu sehen.

Das Schicksal ist vorherbestimmt

In diesem Universum hängen die Erklärungen für alles, was geschieht, wie die Maschen eines unendlichen Netzes zusammen. Dieses Netz ist tief hinein in die Zukunft ausgeworfen. Für sie war das Wirken der Tyche nicht unberechenbar. Cicero sagt: „Denn der Mensch, der die Gründe zukünftiger Ereignisse versteht, versteht notwendigerweise auch, was die Zukunft bringen wird.“ Es liegt für Tom Holland auf der Hand, warum die Lehre der Stoa auf römische Politiker so reizvoll wirkte.

Da waren erstens ihre Eroberungen und ihre Weltherrschaft. Zweitens der Reichtum, den sie erworben hatten. Und drittens die wimmelnden Massen von entwurzelten und nach Italien verschleppten Sklaven. Dazu kam vierten die Spitzenposition, die sie einnahmen, die Würde, der Ruhm. All das war vom Schicksal so vorherbestimmt. Daher war es wohl nicht überraschend, dass die führenden Männer Roms irgendwann die Weltherrschaft ihrer Stadt als eine Ordnung zu verstehen begannen, die Allgemeingültigkeit beanspruchte. Quelle: „Herrschaft“ von Tom Holland

Von Hans Klumbies