Autoritäre brauchen fremde Feinde

Auch in Europa brauchen Autoritäre fremde Feinde, um ihren Autoritarismus zu rechtfertigen. Immer aus dem Ausland – in Gestalt von „Eurokraten“ und Migranten – brechen die Katastrophen herein. Roger de Weck ergänzt: „Um sie abzuwenden, ist eine Politik der harten Hand das Allheilmittel. Überrollen uns „islamische Invasoren“, drängt sich eine geistig-moralische Wende auf.“ Was in friedlichen Zeiten verboten war, gebietet nunmehr der Existenzkampf. Es ist nun an der Zeit, sich moralischen Bedenken zu entledigen. Das christliche Abendland braucht unbarmherzige Retter. Für den nüchternen Hanseaten Helmut Schmidt war Politik „pragmatisches Handeln zu sittlichen Zwecken“. Für die Neue Rechte ist Politik die Freiheit der Macht. Helmut Schmidt verwarf gleichermaßen eine Moral ohne Politik und eine Politik ohne Moral. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

Reaktionäre vertreten eine Politik ohne Moral

Genau für eine Politik ohne Moral stehen aber die Reaktionäre. Sie halten sich für Realpolitiker, zitieren fröhlich Niccolò Machiavelli und seine „Discorsi“. Der Florentiner schreibt: „Wo es um das Sein oder Nichtsein des Vaterlandes geht, gibt es kein Bedenken, ob gerecht oder ungerecht, mild oder grausam, löblich oder schimpflich.“ Niccolò Machiavelli fügt hinzu: „Denn was man von ferne kommen sieht, dem ist leicht zu begegnen.“ Reaktionäre dagegen blicken zurück.

Möchtegern-Machiavellis à la Trump begehen den doppelten Denkfehler, moralfreie Politik sei bereits auch Realpolitik, und Machtpolitik sei immer erfolgreich. Roger de Weck stellt fest: „Ihre Haltung sprengt auch die berühmte Unterscheidung des Soziologen Max Weber zwischen der Gesinnungsethik und der Verantwortungsethik.“ Im ersten Fall zählt die Treue zu den eigenen Werten, auch wenn das zunächst unerwünschte Folgen hat. Im zweiten Fall kommt es auf die absehbaren Folgen des eigenen Tuns an, auch wenn die eigenen Werte zunächst zurückstehen müssen.

Reaktionäre fordern ein brachiales Regieren

Wer die Macht als Befreiung von der Moral feiert, dem fehlt sowohl die Verantwortung als auch die Gesinnung. Parteien der Neuen Rechten führen ihre inneren Machtkämpfe ganz besonders unerbittlich, zumal sie viele „verhaltenskreative“ Mitglieder anziehen. Roger de Weck weiß: „Nicht nur in der AfD oder in der Lega ist das Niedermachen von Gesinnungsfreunden gang und gäbe. Überall fordern und praktizieren Reaktionäre ein brachiales Regieren, als würde das ausreichen.“

„Eines der Dramen der Rechten ist ihre fehlende Einsicht in die Notwendigkeit langfristigen Denkens“, schrieb 1979 selbstkritisch ihr Vordenker Alain de Benoist. Inzwischen hat die Neue Rechte dazugelernt – dank de Benoist. Deutsche schwingen die „Moralkeule“, so Martin Walser in seiner heftig umstrittenen Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Sie nahm vorweg, was mittlerweile zum konservativen Kanon zählt. So schreibt die „Neue Zürcher Zeitung“: „Der hässliche Deutsche trägt keinen Stahlhelm mehr – er belehrt die Welt moralisch.“ Quelle: „Die Kraft der Demokratie“ von Roger de Weck

Von Hans Klumbies