Der Geist bringt technische Innovationen hervor

Ein Grund für die Hochschätzung der geistigen Leistung kann bereits ihrem Anteil an den technischen Innovationen entnommen werden. Ein prominentes Beispiel für eine echte Erfindung ist bekanntlich das Rad. Für dieses hat es kein Vorbild in der Natur gegeben. Volker Gerhardt erklärt: „Konstruktion und Installation eines Rads verdanken wir allein dem geistigen Einfall eines homo sapiens.“ Ob die Idee aber etwas taugt, zeigt sich nur im folgenden Fall. Ein geschickter homo faber muss in der Lage ist, ein sich drehendes und belastbares Rad zu bauen, das der praktischen Belastung standhält. Für Volker Gerhardt haben homo sapiens und homo faber vieles gemeinsam. Aus den modernen Unterscheidungen zwischen den beiden Typen geht das nicht hervor. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

Das Selbst und das Ich formen das Bewusstsein

Möglich wird das durch die konstitutive Verbindung zwischen physischer Selbststeuerung und intellektueller Orientierung. Nur wer einen Dualismus zwischen Körper und Geist behauptet, muss erstaunt sein, dass es so etwas gibt. Schon das handwerkliche Können ist Ausdruck einer mit der Selbstorganisation der körperlichen Prozesse eng verbundenen Intelligenz. Diese Intelligenz ist mehr als das, was Friedrich Nietzsche seinen Zarathustra die „große Vernunft des Lebens“ nennen lässt.

Denn Friedrich Nietzsche bezieht seine Formel exklusiv auf die Lustmaximierung und Leidvermeidung des einzelnen Lebens. Dadurch unterwirft er sowohl das Selbst als auch das Ich einem Diktat. Nämlich der Organisation durch den Leib. Laut Volker Gerhard kann das so nicht sein. Beide Instanzen des Bewusstseins, also Selbst und Ich, sind bereits als Ausdruck der vom Leib selbst benötigten sozialen Verbindung zu anderen Leibern zu verstehen. Das soziale Handeln ist dann eine projektive Übertragung einer organisatorischen Leistung. Diese wird in der Selbsterhaltung und Selbstbewegung des Leibes erbracht.

Das Bewusstsein ist dem Menschen näher als der Körper

Volker Gerhardt stellt fest: „Zu beachten ist überdies, dass die Selbstorganisation lebendiger Wesen nicht auf den jeweils eigenen Leib beschränkt ist. Sie dient in allen Fällen immer auch dem nicht nur physischen Austausch, sondern auch dem sozialen Austausch mit der Umwelt.“ Den Umgang mit seinen Mitmenschen koordiniert eine Person durch eine umfassend verstandene „Vernunft des Leibes“. In der Selbstauszeichnung seines Könnens spricht ein Mensch eher von dem, was er seinen bewussten Leistungen verdankt, als vom Anteil seines körperlichen Geschicks.

Fast jedem Mensch ist das Bewusstsein näher als der Körper. Vor allem bietet er die größere Chance, sich seine Fähigkeiten als persönlichen Verdienst zuzurechnen. Den Körper hat man ohnehin. Und damit er sich seiner Geschicklichkeit ausweisen kann, braucht er Anleitung, Konzentration und nicht selbst besondere Kenntnisse. So schiebt sich das von Kenntnissen, Regeln und beharrlichen Wollen geleitete Bewusstsein immer wieder in den Vordergrund. Es ist evident, dass sich alles, was mit der Tätigkeit des Bewusstseins zu tun hat, mit größerem Recht der Person und nicht ihrer körperlichen Konstitution zurechnen lässt. Quelle: „Humanität“ von Volker Gerhardt

Von Hans Klumbies