Ironischerweise fällt die neue Empfindsamkeit für die wüste Natur in der Epoche der Romantik zeitlich mit der besseren Zugänglichkeit der Natur zusammen. Ger Groot erläutert: „Denn gerade in den unwirtlichen Alpen wird die Infrastruktur ausgebaut. Und auch die Entwicklungen in der Klettertechnik machen Fortschritte. Durch das Gebirge werden trittfeste Wege angelegt, wodurch so etwas wie „Tourismus“ möglich wird.“ Und im Jahr 1786 kommt es zur Erstbesteigung des Mont-Blanc-Gipfels. Dieses Jahr markiert den Beginn des alpinen Bergsports. Ihn prägt eine Mischung aus technischem Können und einem tief empfundenen Respekt vor den Wundern der Natur. Diese konnten dank der neuen technischen Möglichkeiten zum Objekt einer „sublimen“ Erfahrung werden. Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam und ist Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.
Vielleicht ist die Welt letztlich nur blindes Chaos
So hat sich die Bühne, auf welcher der Mensch Auge in Auge mit dem steht, was ihn in seinem Innersten bewegt, wiederum radikal gewandelt. Der Mensch sucht seine religiöse Wahrheit nicht mehr in Institutionen oder Kirchen. Wichtiger ist ihm die unmittelbare Erfahrung dieser Wahrheit in der überwältigenden, nackten, ihn umgebenden Natur. Er hat sich aus seiner Einbettung befreit. Im Angesicht des Göttlichen steht er nun allein. Dabei unmittelbar konfrontiert mit dem Allmächtigen, mit der unverhüllten Innerlichkeit seiner strikt individuellen Seele.
Auch wenn diese romantische Religiosität noch stark im Lichte der Sehnsucht nach einer Gottesschau steht. Das Tor zur Auflösung dieser letzten Garantie ist damit bereits aufgestoßen. Die Welt, so heißt es Anfang des 19. Jahrhunderts zum ersten Mal, geht womöglich überhaupt nicht auf eine Harmonie oder gar Kohärenz zurück. Vielleicht ist sei letztlich nur blindes Chaos. In diesem waltet kein ordnender Schöpferwille mehr. Der Denker, der diesen unerhörten Gedanken äußert, ist Arthur Schopenhauer.
Bei Arthur Schopenhauer dominiert der Wille
Unter Arthur Schopenhauer stilvoller Feder und reichen Vorstellungskraft, nimmt eine Welt- und Menschensicht Gestalt an, die zu beinahe der gesamten westlichen Philosophietradition in Widerspruch steht. Immanuel Kant hatte jede Möglichkeit ausgeschlossen, die Wirklichkeit, so wie sie an sich ist, zu erkennen. Die Menschen haben nur ein Wissen von der Welt, wie sie ihnen erscheint. Der einzige Begriff, den sie direkt von ihr haben können, ist der des „Ichs“.
Er kenne sein „Ich“ durchaus, sagt Arthur Schopenhauer. Nur ist das nicht das vernünftige und ausgewogene Prinzip, das Immanuel Kant daraus macht. Wenn er in sein Inneres hineinschaut, sieht er keine Vernunft. Sondern Arthur Schopenhauer erkennt eine Dynamik von Hunger, Begierde und Strebenskraft. Er sieht, dass darin alles zutiefst von seinem Willen bewegt wird. Viel stärker als die Vernunft, die ihn mit Mühe in Schach zu halten versucht, offenbart sich der Wille als die tiefste Wahrheit des „Dings-an-sich“, das sein „Ich“ ist. Quelle: „Und überall Philosophie“ von Ger Groot
Von Hans Klumbies