Wolfgang Schmidbauer weiß mit dem Mangel zu leben

Es gibt Menschen, die eine Sache schon beim kleinsten Mangel ablehnen. Mit solch einer Haltung zeigt man nur, dass man nichts verstanden hat. Wolfgang Schmidbauer weiß: „Die Reparatur ist ein unterschätzter Teil der Lebenskunst. Diese Einsicht ist vor allem in japanischen Traditionen verankert.“ Dafür stehen zwei Begriffe: „Wabi“ und „Sabi“. Ursprünglich bedeutete Wabi Armut und Rückzug in die Einsamkeit und ein bescheidenes Leben in der Natur. Sabi war gleichbedeutend mit verwelkt und gealtert. Die Begriffe wurden aber schon seit dem 14. Jahrhundert positiv besetzt. Gegen die laute, prunkvolle, perfektionistische Ästhetik einer dominanten Kultur wurden Wabi und Sabi zur Suche nach Schönheit an überraschender Stelle. Gefunden wird sie beispielsweise im Löwenzahn in einer Pflasterfuge oder in einer Flechte auf einem Felsen. Der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer ist Autor zahlreicher Fach- und Sachbücher, die sich millionenfach verkauften.

Weiterlesen

Für den Sinn des Lebens gibt es keine Garantie

Das menschliche Streben nach Veränderung und Verbesserung, die Suche, ist nicht als Makel und Beweis für die Unvollkommenheit des Menschen zu verstehen, sondern als kreative und schöpferische Fähigkeit, mit Unsicherheit und Wandel umzugehen. Dabei handelt es sich um eine unerlässliche Kompetenz in jedem lebendigen Zusammenhang. Ina Schmidt erläutert: „Gerade in einer globalen, mobilen und gut vernetzten Welt, die ebenfalls den Gesetzen sozialer und organischer Zusammenhänge gehorcht, brauchen wir mehr denn je kompetente Suchende.“ Diese Überzeugung gilt auch dann, wenn man erst einmal nichts zu verstehen glaubt und sich auf folgende Einsicht des Denkers Georg Christoph Lichtenberg beschränken muss: „Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll.“ Ina Schmidt gründete 2005 die „denkraeume“, eine Initiative, in der sie in Vorträgen, Workshops und Seminaren philosophische Themen und Begriffe für die heutige Lebenswelt verständlich macht.

Weiterlesen

Michel de Montaigne kritisiert die Zukunftsgläubigkeit

Michel de Montaigne hält es für einen guten Ratschlag, lieber das Gute, das die Gegenwart einem Menschen bietet, zu ergreifen und sich damit zufrieden zu geben, anstatt immer hinter dem herzulaufen, was in der Zukunft kommen soll. Denn in die Zeit, die kommen wird, kann der Mensch doch nicht ergreifen, sogar noch viel weniger als die Vergangenheit. Michel de Montaigne schreibt: „Unglücklich ist, wer sich um die Zukunft sorgt.“ Seiner Meinung ist es ein weit verbreiteter Irrtum, dass die Natur selbst den Menschen einen gangbaren Weg zeigt, um sie für die Weiterführung ihres Werkes einzuspannen. Sie erzeugt dieses Trugbild, da ihr mehr am menschlichen Handeln als an der richtigen Erkenntnis liegt.

Weiterlesen

Die Vernunft setzt sich gegen das Glück der Menschen durch

Die idealistische Philosophie der bürgerlichen Epoche hatte das Allgemeine, das sich in den isolierten Menschen durchsetzen sollte, unter dem Titel der Vernunft zu verstehen versucht. Der Mensch erscheint als ein gegen die anderen in seinen Trieben, Gedanken und Interessen vereinzeltes Ich. Die Überwindung dieser Vereinzelung, der Aufbau einer gemeinsamen Welt geschieht laut Herbert Marcuse durch die Reduktion der konkreten Individualität auf das Subjekt des bloßen Denkens, das vernünftige Ich. Herbert Marcuse erklärt: „Die Gesetze der Vernunft bringen unter Menschen, deren jeder zunächst nur seinem besonderen Interesse folgt, schließlich eine Gemeinsamkeit zustande.“ Dabei können einige Formen der Anschauung und des Denkens als allgemeingültig sichergestellt werden. Aus der Vernünftigkeit eines Individuums lassen sich gewisse allgemeine Maximen des Handelns gewinnen.

Weiterlesen

Julian Barnes hinterfragt die Relevanz von Erinnerungen

Julian Barnes beschreibt in seinem Roman „Vom Ende einer Geschichte“ die Erinnerungen Tony Websters, die in den 60er-Jahren in einer Schule im Zentrum von London ihren Ausgangspunkt beginnen. Der pensionierte Tony Webster erinnert sich an seine Schulfreunde Adrian, Tony, Colin und Alex, mit denen er eine Viererbande bildete. Die Jungs waren hungrig nach Büchern, nach Sex, orientiert an den Maximen der Leistung, aber auch kleine Anarchisten. Während Tony in Bristol Geschichte studiert, wird Veronica Mary Elizabeth Ford für zwei Studienjahre seine Freundin. Auf die beiden trifft wahrscheinlich die Vermutung zu, dass es Menschen gibt, die füreinander geschaffen sind, aber dies nicht wissen. Darum müssen sie in der Folge ihres Lebens viel Leid ertragen.

Weiterlesen

Ralf Dahrendorf seziert den Totalitarismus in Europa

Der Totalitarismus fällt für Ralf Dahrendorf aus dem Bild des Forschritts heraus, sowohl von der traditionellen zur rationalen Herrschaft als auch vom Autoritarismus zur Verfassung der Freiheit. Die viel zitierte Definition des Totalitarismus von Carl Friedrich lautet: „Der Totalitarismus ist eine Ideologie, eine typisch von einem Mann geführte Einheitspartei, eine terroristische Polizei, ein Kommunikationsmonopol und eine zentral verwaltete Wirtschaft.“ Beim Begriff des Totalitarismus denkt man sofort an Adolf Hitlers deutschen Nationalsozialismus und Josef Stalins sowjetischen Kommunismus. In beiden Systemen war das Ziel der totalen Kontrolle durch Mobilisierung erkennbar. Autoritäre Regimes gestatten dennoch große Bereiche der Privatheit und der Apathie. Ralf Dahrendorf schreibt: „Demokratie mobilisiert, tut dies aber, um Kontrolle zu dezentralisieren. In totalitären Regimes ist Mobilisierung das Instrument der zentralisierten Kontrolle.“

Weiterlesen

Rebekka Reinhard setzt auf die geistige Freiheit

Viele Menschen zeichnen sich laut Rebekka Reinhard durch ein übermäßiges Sicherheitsdenken, die Verliebtheit in das eigene Ich, einen moralischen Relativismus und Phantasielosigkeit aus. Sie sind darauf geeicht, jeglichen Irrtum als Zeitverschwendung und teuren Fehlschlag einzustufen. Sie haben verlernt, im Ungewissen zu bleiben, das Unvorhergesehene und Uneindeutige nicht nur auszuhalten, sondern auch neugierig zu bejahen. Trotz seiner vielfältigen Möglichkeiten schnell und sicher von einem Ort zu einem anderen zu gelangen und Expertenwissen nutzen zu können, sind die Menschen heutzutage bemerkenswert desorientiert. Rebekka Reinhard schreibt: „Allerdings nutzen wir die Desorientierung nicht wie Odysseus dazu, das Unbekannte zu erforschen und uns und unser Leben neu zu entdecken. Wir wissen ja oft nicht einmal, dass wir desorientiert sind.“

Weiterlesen

Das Genie und die Lebenswut der Sylvia Plath

Schon zwei Jahre nach dem Tod von Sylvia Plath waren ihr Leben und ihre Dichtung zu einem schwer entschlüsselbaren Mythos verwoben. Nur eines ist klar, die Wut ist ein fester Bestandteil ihres Lebens, wie sie selbst in ihren Tagebüchern zugibt: „Eines kann ich sagen; Ja, ich will gelobt werden von der Welt und will Geld und Liebe und bin wütend auf alle, die weiter sind als ich, vor allem, wenn ich sie kenne und wenn sie ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie ich.“ Keine vier Jahre später nachdem sie diese Sätze geschrieben hat, wird die inzwischen zweifache Mutter, die mit ihren Kindern allein in London lebt, in ihrer Küche den Gashahn aufdrehen und den Kopf in den Backofen stecken, um zu sterben.

Weiterlesen

Rebekka Reinhard lehrt die Kunst des Irrens

Rebekka Reinhard untersucht die Gründe und Auswirkungen des übersteigerten Sicherheitsdenkens der meisten Menschen mit der Sicht einer Philosophin und skizziert als Alternative die Irrfahrten des Odysseus. Die Autorin setzt an die Stelle von Sicherheit den Mut und die Neugierde. Die Menschen sollten sich wieder auf das Ungewöhnliche einlassen, Fremdes als Bereicherung anerkennen und die eigenen Mängel ohne Klagen annehmen. Rebekka Reinhard ruft ihre Leser dazu auf, sich der philosophischen Kunst des Irrens hinzugeben. Der Sinn des Lebens besteht für sie darin, zu staunen und diese Welt weiser zu verlassen, als man sie betreten hat.

Weiterlesen